Neue Zürcher Zeitung, 23.10.2015

http://www.nzz.ch/international/naher-osten-und-nordafrika/diplomatisches-abtasten-zu-syrien-1.18634890

USA und Russland am Gesprächstisch

Diplomatisches Abtasten zu Syrien

Moskau will nach seiner militärischen Intervention nun offenbar sein politisch-diplomatisches Ziel darlegen. Washington kann es sich gar nicht leisten, nicht hinzuhören.

von Peter Winkler, Washington

In verschiedenen Gesprächsrunden in Wien haben am Freitag die Aussenminister der USA, Russlands, der Türkei und Saudiarabiens versucht, die diplomatischen Bemühungen für ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien zu neuem Leben zu erwecken. Die Begleitmusik dazu hatte in den letzten Tagen der russische Präsident Putin an einer jährlich veranstalteten Gesprächsrunde mit westlichen Journalisten und Russlandexperten in Sotschi geliefert.

Widersprüchliches aus Sotschi

Zum einen geisselte er die USA, denen er vorwarf, ein Doppelspiel zu betreiben und Terroristen zu unterstützen. Washingtons Versuch, Terroristen in moderate und radikale Gruppen einzuteilen, sei reine Wortakrobatik. Doch gleichzeitig berichtete Putin auch von seiner Begegnung mit Asad, bei welcher der syrische Diktator sich bereit gezeigt habe, mit gewissen Oppositionsgruppen zusammenzuarbeiten. Er habe Asad gefragt, was er dazu meine, wenn man in Syrien eine bewaffnete Opposition finden sollte, die wirklich den Terrorismus und die Terrormiliz Islamischer Staat bekämpfte, und wenn man diese Opposition unterstützen würde, so wie Moskau das mit den Regierungstruppen mache. Asad soll geantwortet haben, er würde dies positiv betrachten.

Die Unschärfe in Putins Darstellung ist sicherlich gewollt. Aber die Äusserungen deuten darauf hin, dass auch der Kreml ein politisch-diplomatisches Ziel mit seiner Intervention in Syrien verfolgt. Da könnten sich Berührungspunkte mit den Zielen der USA, der Türkei und der Saudi ergeben.

Die grosse Frage bleibt natürlich, welche Rolle Asad und seiner Führungsclique in Damaskus in diesen Planspielen zugeteilt würde. Washington ist vom apodiktischen «Asad muss gehen» insofern abgerückt, als dass der Zeitpunkt des Abgangs nicht mehr zwingend am Anfang eines Übergangsprozesses steht. Ob Russland überhaupt an einen Regimewechsel in Damaskus denken will, ist unklar. Putins Versuchsballon mit einer «gemässigten Opposition» in Syrien könnte auch ein Manöver sein, gewisse syrische Gruppen zu einer Zusammenarbeit mit Asad zu ermuntern, um dann alle anderen nicht kooperationswilligen in den grossen Topf des Terrorismus werfen zu können.

Handlungsdruck

Washington hat aber gar keine andere Wahl, als jeden noch so schwach erscheinenden Strohhalm für eine Lösung des Syrien-Konflikts genauer anzuschauen. Die ursprüngliche amerikanische Strategie, den Islamischen Staat mit Luftangriffen in die Schranken zu weisen und dann mit der Hilfe verbündeter Oppositionsgruppen und deren Bodentruppen zu vertreiben, hat bisher nur im kurdischen Norden einigen Erfolg gehabt. Seit der Intervention der Russen an der Seite Asads ist selbst mit einer verstärkten Unterstützung bestehender Oppositionsgruppen mit Waffen und Munition kaum mehr als ein militärisches Patt erreichbar.

Putin muss sich seinerseits Gedanken darüber machen, wie er seine militärische Intervention eines nicht allzu fernen Tages mit erhobenem Kopf beenden kann. Denn mit jedem Tag steigt das Risiko, dass seine Streitkräfte Rückschläge erleiden, die sich selbst dem Heimpublikum nicht mehr verheimlichen lassen. Beide Seiten sind somit an einem Fortgang der Gespräche interessiert. Ohne konkrete Ergebnisse zu präsentieren, gaben Kerry und Lawrow am Freitagabend in Wien bekannt, sie wollten sich nächste Woche erneut treffen.