Süddeutsche Zeitung, 23.10.2015 Mit aufs Familienfoto Die türkische Regierung möchte
an EU-Gipfeln teilnehmen. Das ist Teil der langen Wunschliste, mit der
sich das Land seine Hilfe in der Flüchtlingskrise entgelten lassen will.
In Brüssel überlegt man nun, wie man Ankara entgegenkommen kann. Hinter der Türkei liegt ein langer Weg in Richtung Europa. Schon 1987 gab das Land ein Beitrittsgesuch bei der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ab. Seit 2005 laufen Beitrittsverhandlungen mit der EU, ein Ende ist nicht absehbar. Nun aber glaubt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine Abkürzung gefunden zu haben. Nicht direkt zur Mitgliedschaft - aber doch zu einem wichtigen Privileg, das mit der Mitgliedschaft verbunden ist: der Teilnahme an den EU-Gipfeln. Kürzlich, beim Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Istanbul, sprach die türkische Seite das Thema an. Es ist Teil der langen Wunschliste, mit der sich die türkische Seite ihre Hilfe in der Flüchtlingskrise entgelten lassen will. Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu sagte, die Türkei wolle "aufs Familienfoto". Die Sache hat allerdings den Haken, dass die EU-Gipfel nicht einfach nur Familientreffen sind. Sie sind ein zentrales Machtorgan im komplizierten Gefüge der EU. Zusammensetzung, Arbeitsweise und Abstimmungsverfahren dieser Europäischen Räte sind genau geregelt in Abschnitt 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dort ist auch festgelegt, wer außer den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer an den Sitzungen teilnehmen darf - etwa der Präsident der EU-Kommission. Schon dem Präsidenten des Europäischen Parlaments ist dieses Recht verwehrt. Er kann lediglich "gehört" werden. Martin Schulz darf zu Beginn der Gipfel die Position des Parlaments darlegen, danach muss er die Beratungen verlassen. Rein rechtlich ist da also kein Platz für den Präsidenten der Türkischen Republik. "Das kommt nicht infrage", sagt denn auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok (CDU). Denkbar seien allenfalls Sondertreffen mit der Türkei, etwa zur Sicherheitspolitik. Das erfordere aber, dass die Türkei ihre Blockade der Kooperationvon EU und Nato beende. Ein brüskes Nein allerdings ist das letzte, was man dem Mann aus Ankara jetzt zur Antwort geben will. Gerade erst ist eine EU-Delegation aus der Türkei zurückgekehrt, die mit technischen Verhandlungen über die Umsetzung des Aktionsplans begonnen hat, mit dem die Türkei der EU in der Flüchtlingskrise helfen soll. In dem Plan geht es um finanzielle und logistische Unterstützung für die Türkei, die dafür sorgen soll, dass weniger Flüchtlinge weiter gen Europa ziehen. Die Gespräche hätten in einer "positiven und engagierten Atmosphäre" stattgefunden, heißt es. Klar aber ist, dass die Türken auf Gegenleistungen warten, bei der Visa-Liberalisierung zum Beispiel, aber eben auch bei den dem wahlkämpfenden Erdoğan so wichtigen Gesten der Anerkennung. Die EU-Botschafter in Brüssel haben bereits darüber beraten, wie man der Türkei in der Gipfelfrage entgegenkommen könnte. Nachgedacht wird über verschiedene Formeln. So hat es auch in der Vergangenheit schon Einladungen an Beitrittskandidaten zu Treffen außerhalb des formellen Gipfels gegeben. In der Hochphase der Ukraine-Krise gab es auch Treffen mit Präsident Petro Poroschenko. Denkbar sind zudem regelmäßige Gipfel, wie es sie mit China gibt und mit Russland gab. Dadurch würde die Türkei als bedeutender Partner der EU hofiert, allerdings auch noch weniger als bisher als dieses gesehen: als Beitrittskandidat. URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-mit-aufs-familienfoto-1.2705446
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