n-tv, 25.10.2015

http://www.welt.de/politik/ausland/article148000763/Auch-Deutsche-unter-den-Attentaetern.html

Linkes Dilemma im Kampf um Kobane

"Rojava kann ohne Hilfe nicht überleben"

Im Herbst 2014 werden die Kämpfer von Kobane weltberühmt, weil sie sich dem IS entgegenstellen. Was hat der kurzzeitige Hype den Kurden in Syrien gebracht? Und woher rührt die verbreitete Faszination für das Projekt Rojava? Der Bochumer Politikwissenschaftler Ismail Küpeli hat gerade ein Buch über den "Kampf um Kobane" herausgebracht und erklärt im Interview mit n-tv.de, in welcher Gefahr sich das im Westen gerne romantisch verklärte kurdische Selbstverwaltungsprojekt befindet.

n-tv.de: Vor einem Jahr war Kobane über Wochen das Topthema in den Medien. Was ließ die syrische Grenzstadt zu solch einem starken Symbol werden?

Ismail Küpeli: Wir haben ein Bedürfnis danach, mehr über Kräfte zu erfahren, die gegen den IS erfolgreich sind. In Kobane schien es zum ersten Mal möglich, dass der IS besiegt werden könnte. Vorher hatten die Dschihadisten eine Millionenstadt wie Mossul und größere Städte in Syrien einfach überrannt. Ausgerechnet im kleinen Kobane stellten sich die Kurden dem IS entgegen – und konnten den Angriff recht schnell stoppen.

Jetzt ist die Aufmerksamkeit wieder weg. Der IS ist aber immer noch vor den Toren Kobanes. Ist das ein Problem?

Mit der Aufmerksamkeit ist oft auch die politische Unterstützung weg. Das spüren die Aktivisten vor Ort unmittelbar. Wenn die Welt es ernst meinte mit dem Anti-IS-Kampf, müsste die Unterstützung aber eher zunehmen.

Trotzdem ist etwas hängengeblieben. Vor allem für Linke von der Türkei bis Deutschland wurde Kobane zu einem Symbol dafür, dass das emanzipatorische Projekt Rojava (syrisches Westkurdistan) geschützt werden müsse. Woher kommt die linke Faszination für Rojava?

Die Begeisterung ist zum Teil naiv. Man meint, dass in Rojava etwas sichtbar wird, was man sich für die ganze Region wünscht, was aber nicht zu existieren scheint. Allerdings werden viele bestehende Bewegungen gar nicht wahrgenommen, in der Türkei etwa die Frauen- und Umweltbewegung und lokale kurdische Initiativen gegen die großen Staudammprojekte. Dadurch erscheint zum Beispiel die Rolle der Frauen in Rojava umso leuchtender. Der militärische Kampf scheint außerdem für manche von außen bewundernswerter als kleine, mühselige Projekte auf lokaler Ebene.

Nun verdanken es die nordsyrischen Kurden aber ausgerechnet den USA, dass sie noch existieren. Aus linker Sicht ist es aber ein Problem, dass die USA an etwas Gutem beteiligt gewesen sein könnten. Wie lässt sich dieser Konflikt auflösen?

Die USA, die ja sonst in der Weltpolitik eher kritisiert werden, haben da eine nachhaltigere Rolle gespielt, als andere. Natürlich haben die USA wie jede Großmacht Interessen. Aber ohne sie ist der Kampf gegen den IS nicht zu gewinnen. In der westlichen Linken mag die ablehnende Haltung gegen das Eingreifen der USA verbreitet sein. Die kurdischen Kampfverbände sehen sich aber auch als Linke und haben die Hilfe der USA ausdrücklich gewünscht.

Wie beurteilen Sie als Politologe die von den Kurden selbst aufgebaute Verwaltung in Rojava? Ist die Bewunderung dafür gerechtfertigt?

Auf der politischen Ebene ist schon viel da: Es gibt diese Ideen von Basisdemokratie, Pluralismus und Gleichberechtigung der Geschlechter. Vieles wurde auch schon verschriftlicht. Das Grundproblem ist, dass trotzdem immer mehr Menschen aus dem Gebiet fliehen. Das liegt an den Kämpfen und an der türkischen Blockade, durch die die Grundversorgung bedroht ist. Da stellt sich die Frage: wie kann ein solches Projekt ohne Bevölkerung überleben?

Manche sehen in der Selbstverwaltung von Rojava sogar ein Modell für ganz Syrien, irgendwann nach dem Krieg. Ist das zu Ende gedacht?

Auf der theoretischen Ebene ließe sich viel übernehmen, denn die pluralistische Idee hinter dem 'Projekt Rojava' passt gut zu einem Staat wie Syrien mit einer ethnisch und religiös vielfältigen Bevölkerung. Realpolitisch spielen aber andere Dinge eine Rolle. Natürlich wirft die arabische Oppositionsbewegung den Kurden vor, dass sie insgeheim einen kurdischen Nationalstaat etablieren wollen. Es ist also kaum vorstellbar, dass die syrische Opposition sich jemals darauf einlassen würde, das Rojava-System auf ganz Syrien zu übertragen. Zumal man damit die Kurden in eine Führungsposition brächte.

Die Sorge vor einem Kurdenstaat treibt nicht nur die Araber, sondern auch die Türken um. Ist das für die Kurden selbst ein Thema?

Zwischen den syrischen Kurden in Rojava mit ihrer PYD und den nordirakischen Kurden mit ihrer Autonomieregion und Präsident Massoud Barzani gibt es kaum Gemeinsamkeiten auf politischer Ebene. Das sind völlig andere Projekte. Ein Zusammengehen von Rojava und Nordirak ist undenkbar. In der Türkei ist die Lage der Kurden noch einmal völlig anders. Ich habe sogar den Eindruck, dass sich das Projekt in Rojava ideologisch eher von der Idee eines Nationalstaates entfernt. Man stellt sich die Frage, ob ein Staat überhaupt die Lösung für die sozialen Probleme wäre.

Wie steht die Bundesregierung zu Rojava?

Das erste Problem für die Bundesregierung ist, dass die kurdischen Kräfte in Nordsyrien der türkischen PKK nahestehen. Deshalb und wegen der Kooperation mit der Türkei ist die Haltung der Bundesregierung zur PYD offen feindselig. Andererseits braucht es die kurdischen Kräfte in Syrien, wenn man gegen den IS vorgehen will - und auch das ist ein Interesse der Bundesregierung. Die Ziele Deutschlands sind also widersprüchlich. Bisher war das Vorgehen so, dass man klammheimlich etwas duldet, um diese Ziele trotzdem zu erreichen.

Wird Rojava eine unfertige Utopie bleiben?

Das hängt sehr vom Verhalten der USA im nächsten Jahr ab. Und davon, ob das Bündnis zwischen PYD und arabischen Gruppen zustande kommt. Die wollen gemeinsam die IS-Hochburg Rakka angreifen. Das wäre eine Möglichkeit für die Bundesregierung, die PYD indirekt zu unterstützen. Ohne externe Unterstützung, gleich welcher Art, ist das Projekt in Gefahr. Die Türkei spielt zusätzlich eine negative Rolle für Rojava. Erstens wegen der Grenzblockade und zweitens verfolgt die Türkei weiterhin die Idee einer Pufferzone genau auf dem kurdisch besiedelten Gebiet.

Mit Ismail Küpeli sprach Nora Schareika

Ismail Küpeli ist Politikwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum. Er beschäftigt sich mit der Türkei und Syrien, der Kurdenbewegung und dem Islamischen Staat.

Kurdische Parteien und Milizen

Kurden in der Türkei, in Syrien und im Irak sind jeweils unterschiedlich organisiert. Ein kurzer Überblick:

Syrien

Die wichtigste Kurdenpartei in Syrien ist die Partei der Demokratischen Union (PYD).
Der militärische Arm der PYD sind die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Hinzu kommen die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) Sie sind diejenigen, die mithilfe von US-Luftschlägen zum Beispiel Kobane vom IS befreit haben.
In Syrien gibt es drei kurdische Kantone, die zusammengenommen "Rojava" bilden - Westkurdistan.

Türkei

Die PKK ist die in den 1970er-Jahren gegründete Arbeiterpartei Kurdistans. Sie wird von der EU, den USA und der Türkei als Terrororganisation eingestuft.
Der militärische Arm der PKK ist die HPG. Teile von ihr sind wegen des Dauerkonflikts mit den türkischen Streitkräften in den Nordirak geflohen.

Irak

Der Nordirak ist die einzige autonome kurdische Provinz und steht unter kurdischer Verwaltung. Es gibt diverse kurdische Parteien. Präsident ist Massoud Barzani.
Die Streitkräfte der irakischen Kurden, die irgendwann auch in die nationale Armee eingegliedert werden sollen, sind die Peschmerga. (nsc)