welt.de, 24.10.2015 http://www.welt.de/politik/ausland/article148000763/Auch-Deutsche-unter-den-Attentaetern.html Auch Deutsche unter den Attentätern Die türkische Polizei fahndet nach vier mutmaßlichen IS-Mitgliedern, die Selbstmordattentate in der Türkei planen sollen. Eines davon: Valentina S., deutsche Staatsbürgerin aus Mönchengladbach. Von Deniz Yücel Den Namen Ömer Deniz Dündar hört die türkische Öffentlichkeit nicht zum ersten Mal. Bereits nach dem blutigen Anschlag (Link: http://www.welt.de/politik/ausland/article147521424/Fuer-den-Staat-sind-wir-alle-doch-Terroristen.html%C2%A0) mit 102 Toten in Ankara war dieser Name als einer der beiden Attentäter genannt worden. Einige Tage später korrigierte die Staatsanwaltschaft diese Angabe. Nun steht der 22-Jährige erneut im Blickpunkt: als eines von vier mutmaßlichen IS-Mitgliedern, die im Vorfeld der vorgezogenen Parlamentswahl am 1. November "spektakuläre Selbstmordanschläge" planen sollen. Neben ihm stehen zwei weitere Männer auf der Fahndungsliste – und eine Frau: Valentina S. aus Mönchengladbach. Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" (Link: http://www.sueddeutsche.de/politik/islamischer-staat-heute-teenie-morgen-dschihadistin-1.2644311) , des NDR und des WDR zufolge hatte sich Valentina S. zusammen mit ihrer Freundin Merve D. Mitte 2013 in Syrien dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen und war später von dort in die Türkei eingereist. Anfang 2014 wurden beide Frauen von der türkischen Polizei aufgegriffen. Merve D. wurde freigelassen, Valentina S. nach Deutschland abgeschoben. Einige Monate später kehrte sie in die Türkei zurück, sehr wahrscheinlich nach Adiyaman. Im Oktober 2014 tauchten beide Frauen unter, zusammen mit den übrigen Mitgliedern der nach ihrem Anführer Mustafa Dokumaci benannten IS-Zelle von Adiyaman (Link: http://www.welt.de/147779125) . Valentina S. ist heute 20 Jahre alt, wurde in Kasachstan geboren und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Merve D. ist heute 19 Jahre alt, wuchs ebenfalls im Rheinland auf, ist aber offenbar türkische Staatsbürgerin. Die deutschen Sicherheitsbehörden vermuten, dass sich rund 100 Frauen aus Deutschland dem IS angeschlossen haben. Über Valentina S. und Merve D. hieß es auf Nachfrage der "Welt", dass keine weiteren Erkenntnisse vorlägen. Nach Informationen der "Welt" haben beide Frauen Ende 2013 oder Anfang 2014 nahe der nordsyrischen Stadt Aleppo geheiratet: Valentina S. den türkischen Staatsbürger Ömer Deniz Dündar, nach dem nun dringend gefahndet wird; Merve D. dessen Zwillingsbruder Mahmut Gazi Dündar, mit dem sie mittlerweile ein Kind hat und der ebenfalls der IS-Zelle aus Adiyaman angehören soll. In den vergangenen Monaten hat der IS in der Türkei mehrere Anschläge verübt. Das Ziel: prokurdische und linke Kreise. Anfang Juni starben auf einer Kundgebung der prokurdischen Demokratiepartei der Völker (HDP) in Diyarbakir (Link: http://www.welt.de/142043664) fünf Menschen durch zwei Bombenexplosionen; als Tatverdächtiger wurde der 20-jährige Orhan Gönder verhaftet. Mitte Juli jagte sich der 20-jährige Seyh Abdurrahman Alagöz in der Grenzstadt Suru (Link: http://www.welt.de/144244298) c inmitten von linken Aktivisten in die Luft, außer ihm selbst starben 32 Menschen. Dessen 25-jähriger Bruder Yunus Emre Alagöz war einer der beiden Selbstmordattentäter von Ankara. Der zweite Mörder von Ankara ist bislang nicht identifiziert; Angaben der Staatsanwaltschaft zufolge soll es sich dabei um einen arabischsprachigen Mann handeln. Alle übrigen Attentäter und zwei der vier Personen, nach denen jetzt gefahndet wird, stammen aus Adiyaman in Südanatolien. Attentäter wurde einen Tag vor dem Anschlag freigelassen Bis zum Verschwinden der Gruppe im Oktober 2014 hatten mehrere Eltern aus Adiyaman, darunter Mehmet Dündar, der Schwiegervater der beiden Frauen aus Mönchengladbach, einen langen und verzweifelten Kampf um ihre Kinder geführt. Mehrfach hatten sie die eigenen Söhne bei der Polizei angezeigt, Anfang 2015 sogar persönlich beim türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu vorgesprochen. Doch eingeleitete Ermittlungen wurden ergebnislos eingestellt; der Attentäter von Diyarbakir sogar einen Tag vor dem Anschlag festgenommen, aber wieder laufen gelassen. Ihre Geschichte kann man nur als systematisches wie skandalöses Wegschauen der Behörden bezeichnen. "Diese Anschläge hätten verhindert werden können. Es geschah vor aller Augen", sagte Mehmet Dündars Anwalt kürzlich im Gespräch mit der "Welt". Bereits nach dem Anschlag von Suruc hatten die Behörden eine Liste von 21 mutmaßlichen Mitgliedern der Dokumaci-Gruppe veröffentlicht, auf der auch Merve D. und Valentina S. standen. Einer davon ist nun tot, zwei wurden von der syrisch-kurdischen YPG-Miliz festgesetzt. Die anderen halten sich entweder in Syrien auf oder haben sich, womöglich mit falschen Papieren, in der Türkei versteckt. Mögliches Anschlagsziel könnten Selahattin Demirtas (Link: http://www.welt.de/politik/ausland/article143993396/Negatives-Bild-von-Oecalan-muss-ueberwunden-werden.html%C2%A0) und Figen Yüksekdag sein, die beiden Vorsitzenden der prokurdisch-linken HDP. "Wir wissen von Anschlagsplänen gegen uns beide", sagte Yüksekdag am Freitag. Kurz nach dem Attentat von
Ankara sorgte Ministerpräsident Davutoglu im kritischen Teil der türkischen
Öffentlichkeit für ungläubige Fassungslosigkeit, als er in einem Fernsehinterview
behauptete, die Behörden hätten keine Handhabe, gegen diese potenziellen
Selbstmordattentäter vorzugehen, solange sie nicht zur Tat schritten –
wurden in diesem Land doch schon unzählige Menschen bei weit geringeren
Indizien wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verhaftet und
verurteilt. |