Süddeutsche Zeitung, 26.10.2015

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Waffenlieferungen an die Kurden? Ja, bitte!

Kurdish Peshmerga fighters keep watch during the battle with Islamic State militants on the outskirts of MosulBild vergrößern Ohne deutsche Waffen hätten sie keine Chance: Kurdische Peschmerga-Kämpfer im Januar 2015 nahe Mosul. (Foto: REUTERS)
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Den Kurden Gewehre zu geben, hat nichts mit profitablen Waffenexporten zu tun. Es ist Nothilfe für ein bedrängtes Volk.

Ein Kommentar von Joachim Käppner
Auf einem Felsen hoch über der Altstadt von Erbil trohnt eine wuchtige Zitadelle; der Burgberg im kurdischen Nordirak gilt als einer der ältesten dauerhaft besiedelten Orte der Welt, er bot eine sichere Zuflucht und hielt 1237 sogar dem Mongolensturm stand.

Wie so oft schon haben sich in den vergangenen Jahren Flüchtlinge in den uralten Bauten zusammengedrängt. Diese Menschen waren geflohen vor den Bruder- und Religionskriegen, die den Irak seit dem unseligen Feldzug der USA 2003 heimsuchen; die jüngste Geißel des geschundenen Landes ist die Horrormiliz Islamischer Staat (IS). Hunderttausende, nicht nur Kurden, sondern auch Christen, Jesiden und Araber sind vor ihr in die kurdische Autonomieregion im Nordirak geflohen. Im Verhältnis zur Bevölkerung dieses Gebiets wurden dort weit mehr Flüchtlinge aufgenommen als selbst in Deutschland.

Auf der Zitadelle von Erbil wehen nicht die schwarzen Fahnen des IS, wohl aber 30 Kilometer vor der Millionenstadt. Hier haben die kurdischen Krieger, die Peschmerga, die Islamisten zum Stehen gebracht, auch mithilfe deutscher Schnellfeuergewehre, Milan-Panzerabwehrraketen und Ausbildern der Bundeswehr, die den Verteidigern den Umgang mit diesen Waffen beibringen. Die Bekämpfung der Fluchtursachen, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen derzeit mit Kurdenvertretern in Erbil erörtert, ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen: Die Fluchtursache ist erst einmal der IS.

Die Deutschen leisten Nothilfe für ein bedrängtes Volk
Die Lieferung dieser Waffen an die Verteidiger Kurdistans ist alles andere als eine Militarisierung der Außenpolitik, wie Kritiker leichtfertig behaupten. Die irakischen Peschmerga haben in ihren Bergen vielen Eroberern widerstanden, selbst dem mörderischen Diktator Saddam Hussein, der ihre Dörfer mit Giftgas beschießen ließ.

Ein Traum von Kurdistan
Die Kurden kämpfen nicht nur gegen den "Islamischen Staat", sondern auch gegen die Unterdrückung ihrer Kultur in der Türkei, in Syrien, im Irak und in Iran. Seit Ende des Osmanischen Reiches. Überblick

Seit dessen Sturz 2003 haben die Kurden im Nordirak eine autonome Region aufgebaut, die fast Züge eines eigenen Staates trägt. Diesen verteidigen sie gegen einen gefährlichen und mit erbeuteten Panzern und Kanonen der irakischen Regierungsarmee ausgerüsteten Gegner wie den IS - und ohne die Hilfe der Deutschen und einer internationalen Koalition wäre das vielleicht unmöglich. Die Waffenlieferungen sind eine Nothilfe an die Bedrängten, wie sie etwa in den Dreißigerjahren die demokratischen Mächte Europas den Verteidigern der spanischen Republik gegen die Francofaschisten verweigerten.

Niemand kann garantieren, dass nicht Waffen in falsche Hände geraten
Die Waffen stammen aus älteren Bundeswehrbeständen, die Kurden zahlen nicht dafür; insofern hat dies nichts mit der üblichen Politik des profitablen Waffenexportes zu tun. Diese Politik steht in Deutschland zu Recht unter schwerer Kritik, weil sie zu oft Wirtschaftsinteressen vor Menschenrechte setzt. Die Entscheidung etwa, moderne Leopard 2-Panzer nach Katar zu liefern, das sich am Krieg in Jemen beteiligt, bietet schon Stoff zum Nachsinnen, was Exportrichtlinien eigentlich noch wert sind, wenn man sie man auf derart provokante Weise ignoriert.

Die Waffenhilfe für die Kurden hat aber einen politischen Preis. Die Empfänger sind in Fraktionen zerstritten, die prowestlichen irakischen Kurden zudem tendenziell verfeindet mit der linken türkisch-syrischen PKK. Niemand kann garantieren, dass nicht Waffen in falsche Hände geraten.

Gut möglich auch, dass die Waffen einen Prozess vorantreiben, vor dem von der Leyen ausdrücklich warnte: den Zerfall des Staates Irak, indem sich das ölreiche Herrschaftsgebiet der Kurden von ihm löst. Berlin möchte das nicht, schon aus Rücksicht auf andere Staaten mit kurdischen Minderheiten: die Türkei, Iran, von Syrien ganz abgesehen. Das sind die Risiken der Militärhilfe. Aber sie ist allemal besser, als einfach wegzusehen, wenn ein Volk um sein Leben kämpft.