Die Presse, 31.10.2015 http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4855713/Wahlkampf-im-Schatten-der-PKK Wahlkampf im Schatten der PKK Die prokurdische Partei HDP kann erneut mit ihrem Einzug ins Parlament rechnen. Sie zieht linksliberale Wähler an und grenzt sich von Gewalt ab. Die PKK beobachtet den Aufstieg der HDP bisweilen mit Misstrauen. unserer Korrespondentin Susanne Güsten (Die Presse) Istanbul. Die Kurdenpartei HDP hat die politischen Gewichte in Ankara verändert wie kaum ein Akteur in den vergangenen Jahren. Der Parlamentseinzug der Demokratischen Partei der Völker (HDP) mit rund 13 Prozent nach der Parlamentswahl vom Juni machte die Hoffnung der Regierungspartei AKP auf eine Fortsetzung ihrer Alleinregierung zunichte. Ein wichtiger Grund für den Erfolg der HDP ist die Ausrichtung der Partei als linksliberale und auch für Nichtkurden wählbare Reformkraft unter ihrem Vorsitzenden Selahattin Demirtaş. Doch die HDP hat ein großes Problem: Sie macht Politik im Schatten der PKK-Kurdenrebellen. Offiziell hat die HDP nichts mit der als Terrororganisation verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu tun: „Wir sind nicht der politische Arm der PKK“, sagte Demirtaş kürzlich in einem Fernsehinterview. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Es ist undenkbar, dass die HDP im Kurdengebiet einen Kandidaten aufstellt, der von der PKK abgelehnt wird. Mehrmals besuchten HDP-Delegationen den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan und die Führung der Rebellen in den nordirakischen Kandil-Bergen. Die PKK versteht sich als wahre Vertreterin und Beschützerin der Kurden – und setzt diesen Anspruch auch dann mit Gewalt durch, wenn es der HDP schadet. So töteten PKK-Mitglieder im Juli zwei Polizeibeamte im Schlaf, weil sie dem türkischen Staat eine Mitverantwortung für den Tod von mehr als 30 Menschen bei einem islamistischen Selbstmordanschlag in der Stadt Suruç an der syrischen Grenze gaben. Die PKK-Morde lösten wiederum eine überharte Reaktion der türkischen Regierung aus, die eine neue Spirale der Gewalt in Bewegung setzte. Mehrere hundert Menschen sind seitdem ums Leben gekommen. Vergeblich forderten Demirtaş und andere HDP-Politiker die Rebellen auf, die Kämpfe einzustellen. Mit offener Verachtung wies die PKK-Führung die Appelle der Kurdenpolitiker zurück. Die HDP habe keine Erfolge vorzuweisen, die der Partei das Recht geben würden, Forderungen zu stellen, sagte PKK-Führungsmitglied Duran Kalkan. Möglicherweise kam den PKK-Hardlinern der Wahlerfolg der HDP vom Juni ungelegen, weil er den Politikern eine bis dahin nie da gewesene Popularität und Legitimation verschaffte. Der 42-jährige Demirtaş ist ein über die Parteigrenzen hinweg respektierter Politiker, der als modernes, prowestliches Gesicht der Kurdenbewegung ein ganz anderes Bild abgibt als die PKK-Befehlshaber in ihren Kampfmonturen. Doch in Südostanatolien machen die Männer in den Kampfuniformen mehr als deutlich, dass sie das Sagen haben. Schwer bewaffnete Minderjährige errichteten in den vergangenen Monaten in mehreren kurdischen Städten Barrikaden und riefen eine „Autonomie“ aus, die einer Gewaltherrschaft der PKK glich. Sprengfallen töteten Soldaten, Polizisten und Zivilisten – darunter Kinder – gleichermaßen. Auch auf Krankenwagen wurde geschossen – anschließend beklagten Kurdenvertreter, dass der Staat die Verwundeten nicht versorge. Lokale HDP-Verwaltungen machten bei den Aktivitäten der Radikalen mit, indem sie den PKK-Trupps die Baumaschinen zur Verfügung stellten, mit denen Gräben ausgehoben wurden. Es ist kein Wunder, dass die politischen Gegner der HDP in Ankara kritisieren, dass sich die Kurdenpartei nur ungenügend von der PKK absetze. Die Gewalt der PKK macht es für die HDP zugleich schwer, sich in den westtürkischen Großstädten als gewaltlose Reformpartei zu präsentieren. Trotz dieser Widersprüche kann die HDP auch an diesem Sonntag fest damit rechnen, mehr als zehn Prozent der Stimmen einzufahren und im Parlament von Ankara vertreten zu sein. Dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit Rücksicht auf rechtsnationale Wähler die Friedensverhandlungen mit der PKK abgebrochen und einen harten Kurs in der Kurdenfrage eingeschlagen hat, stellt sicher, dass die HDP weiterhin bei den Kurden die politische Kraft Nummer eins ist: Der Meinungsforscher Murat Gezici schätzt, dass rund die Hälfte aller Kurden in der Türkei die HDP wählen. Zudem profitiert die HDP von Protestwählern, die befürchten, dass Erdoğan als Präsident noch mehr Machtbefugnisse an sich reißen könnte. Diese Wähler wollen Erdoğan durch eine möglichst starke Opposition zügeln. Seit dem Anschlag von Ankara am 10. Oktober, bei dem jedes dritte der 102 Todesopfer ein HDP-Mitglied war, erhebt die HDP zudem den Vorwurf, die Regierung arbeite mit der Terrormiliz Islamischer Staat zusammen. Im Staatsapparat gebe es Strukturen, die den IS schützten, sagt Demirtaş. ("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2015) |