junge Welt, 03.11.2015 http://www.jungewelt.de/2015/11-03/034.php Amtshilfe für Erdogan Deutschland verbietet den Mitgliedern der linken türkischen Band Grup Yorum die Einreise. Musiker wollen sich nicht einschüchtern lassen Von Peter Schaber Am 14. November soll die türkische Musikgruppe Grup Yorum im nordrhein-westfälischen Oberhausen auftreten – unter dem Motto »Eine Stimme und ein Herz gegen Rassismus«. Die in ihrer Stammbesetzung aus zwölf Musikern bestehende Band spielt in ihrem Heimatland vor einem Millionenpublikum. Gegründet im Jahr 1985, in einer Zeit der Militärdiktatur und schwerster Repression gegen die revolutionäre Linke, wurde Grup Yorum zu einer Stimme der Unterdrückten Anatoliens, bis heute bleibt sie ihrem politischen Anspruch verbunden. Das dürfte der Grund dafür sein, dass die Bundesrepublik nun versucht, das Konzert in Oberhausen zu verhindern. Als die Künstler Visumsanträge stellten, bekamen sie vom deutschen Konsulat in der Türkei den Bescheid, dass ihnen die Einreise verweigert werde, da elf von ihnen im Schengener Informationssystem (SIS) gelistet seien. Das SIS ist eine Datenbank europäischer Polizei- und Sicherheitsbehörden, in der etwa zur Fahndung ausgeschriebene oder »unerwünschte« Personen gespeichert werden. Wie und warum man auf diese Liste kommt, ist schwer in Erfahrung zu bringen, denn die Datenbanken sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. »Wir sind in den 30 Jahren unseres Bestehens Hunderte Male ins Ausland gereist, diese willkürlichen Entscheidungen sind politisch motiviert«, heißt es in einer ersten Stellungnahme der Musiker. Tatsächlich trat Grup Yorum erst im Juni in Deutschland auf. Die Listung im Schengener Informationssystem muss also erst seit kurzem bestehen. Unklar bleibt, worauf sie beruht. Auf Nachfrage wollte weder die deutsche Botschaft in Ankara noch das Innenministerium in Berlin Auskunft über die Hintergründe geben. Auszuschließen ist nicht, dass es einen Zusammenhang mit den jüngsten Verhandlungen zwischen der deutschen und der türkischen Regierung in Sachen Flüchtlingsabwehr gibt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sicherte AKP-Premier Ahmet Davutoglu Finanzhilfen und Visaerleichterungen zu, auch eine stärkere Unterstützung von Ankaras »Antiterroroperationen« war im Gespräch. Letztere richten sich seit langem gegen die gesamte Opposition im Land und werden von Menschenrechtsgruppen als »willkürlich« kritisiert. Immer wieder ist auch Grup Yorum von Verhaftungen und Konzertverboten betroffen, weil ihnen Nähe zur verbotenen Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKP-C) unterstellt wird. Nach dem Besuch der Kanzlerin in Ankara mehren sich die Anzeichen für eine verstärkte Hilfe für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: Wenige Tage nach der Visite von Angela Merkel in der Türkei stürmte das Landeskriminalamt Sachsen Räumlichkeiten kurdischer Aktivisten in Dresden und nahm einen Mann als »Verantwortlichen« der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) fest. Etwa gleichzeitig wurde Grup Yorum der Ablehnungsbescheid zugestellt. »Worum es genau geht, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen«, erklärt Julia Wiedemann von der Bundesgeschäftsstelle der Linkspartei gegenüber junge Welt. »Aber wir vermuten, dass es einen Zusammenhang mit dem Merkel-Besuch in der Türkei gibt. Ansonsten lässt sich schwer erklären, warum Leute im Juni reingelassen wurden und jetzt plötzlich nicht.« Es sei allerdings auch nicht bekannt, was in der Türkei gegen die Bandmitglieder vorliege. Allerdings könne man nicht ausschließen, dass die Türkei irgendwelche Anschuldigungen erhebe. Das zeige auch der Fall von Maite Mola, der Vizevorsitzenden der Europäischen Linken. Im Februar sei sie auf einem Foto von einer Demonstration neben jemandem mit einem Anti-Erdogan-Poster zu sehen gewesen. Nun, kurz vor der anstehenden Wahlbeobachtung, habe der türkische Staat dieses Foto hervorgeholt und Mola der »Verunglimpfung des Präsidenten« bezichtigt. »Das zeigt auch, wie dieses System von aus dem Hut gezauberten Anklagen funktioniert. Das läuft wahrscheinlich so, dass immer schon Sachen in der Schublade liegen, die dann, wenn es drauf ankommt, hervorgekramt werden«, sagte Wiedemann. Grup Yorum will sich von dieser Praxis nicht einschüchtern lassen. »Das Verbot werden wir nicht akzeptieren. Nun ist jeder Migrant in Deutschland, der mit einer Saz und Gitarre in der Hand die Straße entlangläuft, ein potentieller Teil des Grup-Yorum-Kollektivs«, zeigt sich der Yorum-Musiker Ihsan Cibelik kämpferisch.
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