Der Standard, 01.11.2015

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Prinzip Hoffnung für die neue Syrien-Diplomatie

Analyse

Gudrun Harrer

Die Teilnehmer der großen Syrien-Konferenz in Wien haben einen diplomatischen Neustart ausgerufen. Die Basis ist das bisherige Scheitern in Syrien

Wien – Der am Freitag in Wien ausgerufene Neustart der Syrien-Diplomatie folgt dem Prinzip Hoffnung: Die Beteiligten sind sich nicht einig, wohin genau sie der Weg führen wird. Denn dazu fehlt ein wichtiges Element: die Entscheidung über die mittelfristige Zukunft des Regimes von Bashar al-Assad. Aber sie sind sich in anderen Grundsatzfragen einig: dass der "Islamische Staat" (IS) und andere jihadistischen Gruppen bekämpft und besiegt werden müssen und dass man zumindest versuchen sollte, den syrischen Staat in seinen Grenzen und mit seinen Institutionen zu erhalten.

Das klingt zwar nicht nach viel: Es ist aber dennoch ein radikaler Bruch mit der vergangenen Syrien-Diplomatie. Nicht umsonst beziehen sich die Reaktionen auf Wien, die man bisher von der anerkannten syrischen Exilopposition gehört hat, auf "Genf 1" vom Sommer 2012: Dort stand noch der Abgang von Bashar al-Assad im Mittelpunkt aller Fahrpläne in ein Nachkriegssyrien.

Einigung zu Assad momentan unmöglich

Die Assad-Frage ist nun verschoben – ganz einfach, weil eine Einigung im Moment völlig unmöglich wäre. Und gerade das erklärt wiederum das groß angelegte Format der Wiener Gespräche: Es sollte beweisen, wie breit der Konsens in den Bereichen ist, in denen man einen hat. Dass nicht alle Staaten über die Prioritätenliste glücklich sind – allen voran Saudi-Arabien -, ist ebenso klar. Aber diese Staaten wollen sich auch nicht außerhalb des Prozesses ansiedeln und sich dadurch ihres Einflusses begeben.

Nüchtern lässt sich sagen, dass derartig aufgesetzte Prozesse – die mit der Hypothese beginnen, dass man sich im Laufe des Weges über das exakte Ziel einigen kann, über das im Moment keine Einigung zu erreichen wäre – keine besonders günstigen Prognosen haben.

Probiert und gescheitert

Der israelisch-palästinensische Oslo-Prozess fällt dazu ein: Schon in einem frühen Stadium entgleiste er gerade wegen der Diskrepanz der Vorstellungen, was bei der israelisch-palästinensischen Separation eigentlich herauskommen sollte.

Aber zu Syrien hat man – siehe Genf, auch das damals eine US-russische Initiative – den anderen Weg eben schon probiert; er ist gescheitert. Und mit dem IS ist in der Tat ein neuer formidabler Gegner erwachsen, der die Genugtuung über einen eventuellen Sturz Assads deutlich verderben könnte.
Die frommen Wünsche

Und so beginnt das Wiener Papier, in dem die gemeinsamen Standpunkte zusammengefasst sind, quasi mit Wünschen an das Christkind: Syrien soll als Staat gerettet und die Rechte aller Gruppen (das heißt auch der Parteigänger Assads) sollen geschützt werden. Auch dass Syrien Wahlen braucht, werden Staaten, die noch so eine unterschiedliche Sicht auf Syrien haben wie Saudi-Arabien und der Iran – wo Religionsführer Khamenei am Wochenende diesen Vorschlag wiederholte – unterschreiben: Die Forderung sagt absolut nichts aus, solange nicht die Frage geklärt ist, ob Assad noch einmal antreten kann oder nicht. Es bleibt zu sehen, ob die beteiligten Staaten trotzdem, auch ohne Klarheit darüber, bereit sind, genügend Druck auf die von ihnen gesponserten Gruppen in Syrien auszuüben.

Es ist so, als ob jemand eine Idee zu einem Film hätte – Drehbuch gibt es jedoch noch keines, und die Schauspieler sind auch noch nicht ausgesucht. Ein ganz wichtiger Auswahlprozess ist jedoch bereits im Gange: nämlich, wer zu den Guten gehört, zur Opposition, die am Tisch sitzen wird. Das ist bei der Exilopposition nicht besonders schwer – bei den kämpfenden Rebellen in Syrien schon viel mehr. Fast alle haben irgendwann einmal mit Gruppen oder Individuen kooperiert, die für einen demokratischen Prozess gar nicht infrage kommen.

Moskaus Annäherung

Auffallend in dieser Beziehung sind Moskaus Annäherungsversuche an die "Freie Syrische Armee" (FSA), deren Angehörige für Assad ja bis dato genauso Terroristen sind wie alle anderen. Es findet soeben eine Aufwertung der FSA statt, die militärisch ja nie das Heft in der Hand gehabt hat.

Aufgewertet werden ebenso die syrischen Kurden, deren Unterstützung die USA hinauffahren, um die Russen in Nordsyrien – und bei der angestrebten Rückeroberung Raqqas – auszubremsen. Aber während Saudi-Arabien allgemein ein verstärktes US-Engagement begrüßt, ärgert sich die Türkei, dass dies unbedingt zugunsten einer PKK-nahen Gruppe sein muss.

Resolution möglich

Man sieht: Auch zu einem Konsens, wer im Kampf gegen den IS welche Rolle übernimmt, ist es noch ein weiter Weg.

Im Wiener Einigungspapier steht auch noch der – angesichts der syrischen Abwesenheit in Wien fast utopisch anmutende – Satz, die Syrer sollten selbst über Syrien entscheiden. Hier kommt die Uno ins Spiel, deren Syrien-Sondergesandter Staffan de Mistura, Autor eines Dialogfahrplans, in Wien dabei war. Und eine Uno-Sicherheitsratsresolution ist denkbar, die den Wiener Konsens zementiert. (Gudrun Harrer, 2.11.2015)

Bei den Syrien-Gesprächen in Wien waren vertreten:

Staaten: Ägypten, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irak, Iran, Italien, Jordanien, Katar, Libanon, Oman, Russland, Saudi-Arabien, Türkei, USA, Vereinigte Arabische Emirate.

Institutionen: Europäische Union, Vereinte Nationen