junge Welt, 02.11.2015

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Manipulation befürchtet

Türkei: Bereits während der Parlamentswahlen kam es zu Verstößen. AKP in Hochrechnungen vorn

Von Kevin Hoffmann, Istanbul

Bereits kurz nachdem am Sonntag morgen die ersten Stimmlokale für die Parlamentswahlen in der Türkei öffneten, gab es die ersten Meldungen über Verstöße. Vor allem in den vorwiegend von Kurden bewohnten Gebieten im Osten des Landes kam es zu Einschüchterungen durch schwerbewaffnete Einsatzkräfte. Diese hatten sich vor und zum Teil in den Wahllokalen postiert. In Lice wurde Hunderten Menschen aus »Sicherheitsgründen« der Weg zum Wahllokal von Soldaten versperrt. In Yüksekova haben Soldaten Ausweise beschlagnahmt, um deren Inhaber an der Abstimmung zu hindern. Journalisten berichten aus Sur in Diyarbakir, dass sie von Militärs bedroht wurden.

Auch im Westen der Türkei kam es zu Zwischenfällen. Im Istanbuler Bezirk Beyoglu griffen AKP-Anhänger vermeintliche Wähler der Demokra­tischen Partei der Völker (HDP) an. Die Polizei gab Warnschüsse ab, mindestens ein HDP-Mitglied soll verletzt worden sein.

Mehr als 300 internationale Beobachter haben die Wahlen auf Einladung der HDP begleitet. Unter anderem in Agri, Batman, Mus, Adiyaman, Bitlis, Diyabakir und Teilen von Istanbul wurden diese von der Polizei daran gehindert, die Wahllokale zu betreten. Zum Teil wurden ihre Pässe beschlagnahmt, einige von ihnen wurden festgenommen.

Über 1.380 Personen wurden aufgegriffen, die versuchten, ein zweites Mal ihre Stimme abzugeben. Die Opposition befürchtet, dass bei dem Transport der Wahlurnen, dem Auszählen sowie dem Übertragen der Daten die eigentlichen Manipulationen stattfinden werden.

In ersten Hochrechnungen von Sonntag abend lag die islamisch-konservative Regierungspartei AKP deutlich vorn. Nach Auszählung von mehr als zwei Dritteln der Stimmen kommt die AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf mehr als 51 Prozent und würde damit die absolute Mehrheit erreichen. Die sozialdemokratische CHP würde 23 Prozent der Stimmen erhalten, die faschistische MHP käme auf elf Prozent. Die HDP würde mit rund zehn Prozent nur knapp wieder in das Parlament einziehen.