junge Welt, 04.11.2015

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Staatsterror nach der Wahl

Türkei: Staatsmacht geht nach der Abstimmung hart gegen kurdische Bewegung vor

Von Nick Brauns

Nach den Parlamentswahlen am Sonntag setzt die islamisch-konservative Regierungspartei AKP auf Krieg: Während türkische Kampfflugzeuge in der Nacht zum Dienstag Rückzugsgebiete der PKK-Guerilla im Nordirak bombardierten, setzten Armee und Polizei ihre Straf­expeditionen gegen Hochburgen der kurdischen Bewegung im Osten des Landes fort.

In der Nacht zum Dienstag wurde, begründet mit dem »Kampf gegen Terrorismus«, eine Ausgangssperre über die Stadt Silvan im Bezirk Diyarbakir verhängt. Strom, Internet und Telefon wurden abgeschaltet. Ein 22jähriger Mann starb laut der Nachrichtenagentur Firat News durch Polizeischüsse. Auf einem Hügel am Stadtrand fuhren Kampfpanzer auf, Polizeifahrzeuge drangen in die Stadt ein. Mitglieder der Patriotisch-Revolutionären Jugendbewegung (YDG-H) errichteten Barrikaden zum Schutze von drei selbstverwalteten Stadtvierteln und leisten bewaffneten Widerstand.

In den vergangenen Wochen hatte es bereits fünf Ausgangssperren über Silvan gegeben. In dieser Zeit seien zahlreiche Wohnhäuser durch Beschuss aus Haubitzen schwer beschädigt worden, berichtete ein Korrespondent des Fernsehsenders Med Nuce gegenüber junge Welt über den Einsatz von Kriegswaffen gegen die Zivilbevölkerung in Silvan.

Am Dienstag rückten Polizeisondereinheiten auch in die Stadt Yüksekova in der Provinz Hakkari ein. Hier hatte die prokurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) am Sonntag ein Rekordergebnis von 93,7 Prozent der Stimmen erhalten. Gepanzerte Bulldozer räumten Barrikaden, während Panzerfahrzeuge Wohnhäuser unter Beschuss nahmen. Zwei junge Männer starben nach Medienberichten bei Gefechten zwischen der Polizei und der YDG-H.

Ein Istanbuler Gericht verbot die aktuelle Ausgabe der regierungskritischen Wochenzeitschrift Nokta, zwei leitende Redakteure wurden am Dienstag der Staatsanwaltschaft zum Verhör vorgeführt. Das Blatt hatte neben einem Bild von Präsident Recep Tayyip Erdogan getitelt: »Am 2. November beginnt der Bürgerkrieg in der Türkei«.