Die Presse, 05.11.2015

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Türkische Medien gegen „Volkskünstler“

Die auflagenstarke Zeitung „Sabah“ prangert bekannte Künstler an, die gegen die Regierung wettern.

Duygu Özkan (Die Presse)

Die Absicht des Berichtes wird nicht versteckt geschweige denn dezent umschrieben. Eine „Lüge“ sei es, durfte man am Mittwoch in der türkischen, außerordentlich regierungstreuen Zeitung „Sabah“ lesen, wenn sich diese Schauspieler und Schriftsteller als „Künstler des Volkes“ betitelten. Denn sie alle zeichne eine Gemeinsamkeit aus: ihre Feindschaft gegen das Vaterland und in weiterer Lesart ihre Abneigung gegen die regierende AKP. Die Riege der über ein Dutzend Künstler, die von „Sabah“ für ihre regierungsfeindlichen Äußerungen öffentlich gerügt werden, ist durchaus sehenswert. Pianist Fazil Say ist darunter, die beliebten Sänger Mahsun Kırmızıgül und Atilla Taş oder auch Schauspieler Tarık Akan, Frauenschwarm der 1970er, der seinen Beruf später mit politischem Aktionismus verband.

Nun verbindet die Künstler tatsächlich ihre oppositionelle Haltung zur türkischen Regierung. In sozialen Medien hatten sie sich zum Wahlergebnis vom Sonntag – die AKP hat die absolute Mehrheit zurückerobert – besorgt bis negativ geäußert, und das ist für ein inoffizielles Regierungsorgan wie „Sabah“ ein guter Grund, seinen Lesern zu zeigen, wer die „Volksfeinde“ sind. Im selben Blatt war bereits von den „skandalösen Vorwürfen“ der Schriftstellerin Elif Şafak zu lesen, die gegenüber einer italienischen Zeitung von mangelnder Pressefreiheit in der Türkei sprach, von unfairen Wahlen und einem Wahlkampf der Angst.


Preis des Laizismus für Fazil Say

Mit dem Pianisten Fazil Say ficht die AKP seit geraumer Zeit einen Kleinkrieg aus. Seine Anti-AKP-Tweets haben ihm eine mehrmonatige Haftstrafe eingebracht, Say konnte inzwischen einen Freispruch erwirken. Erst Ende Oktober wurde dem bekennenden Atheisten in Frankreich der Preis des Laizismus übergeben, was im frommen Teil der Türkei naserümpfend zur Kenntnis genommen wurde.

Diese Künstler, schlussfolgert also die auflagenstarke Zeitung „Sabah“, würden mit ihren Äußerungen die AKP-Wähler, ja ihr eigenes Volk demütigen. Und dennoch seien sie diejenigen, die als Verlierer hervorgehen würden, denn das Volk wende sich von ihnen ab. Ganz so stimmt das allerdings auch nicht, zumal die Regierungskritiker (noch) ihre eigenen Blätter haben, in denen sie ihrerseits die AKP-Anhänger kritisieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2015)