Der Spiegel, 04.11.2015

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Hilfe für Kurdenmiliz: Obama setzt auf Guerilla-Krieg gegen den IS

Von Raniah Salloum

Die USA haben neue Verbündete im Krieg gegen den "Islamischen Staat" gefunden: Sie unterstützen den syrischen PKK-Ableger mit Waffen und Spezialkräften. Die Allianz ist riskant - sie könnte den IS noch stärken.

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Die erste Offensive der neu ausgerufenen "Demokratischen Kräfte Syriens" hat begonnen. Im Nordosten des Landes rückt die Allianz Dorf für Dorf gegen die Dschihadisten des "Islamischen Staats" (IS) vor. Bald schon sollen sie dabei von bis zu fünfzig Beratern der US-Spezialkräfte unterstützt werden. "Wir werden mit Hilfe der internationalen Koalition den Süden der Provinz Hasaka von den Dschihadisten befreien", kündigte ein Sprecher der Allianz optimistisch in einer Videobotschaft an.

Die US-geführte internationale Koalition gegen den IS unterstützt die wichtigsten Milizen der neu ausgerufenen Allianz schon seit Längerem aus der Luft. Jetzt sollen zusätzlich US-Spezialkräfte am Boden eingesetzt und Nachschub an Waffen abgeworfen werden.

Es scheint, als hätten die USA im zweiten Anlauf einen Partner in Syrien gefunden im Kampf gegen den IS. Der erste Versuch war ein Debakel: Das US-Verteidigungsministerium stellte dieses Jahr sein 500 Millionen Dollar teures Ausbildungsprogramm für syrische Rebellen gegen den IS wieder ein, nachdem nur fünf Absolventen übrig geblieben waren.

Doch die Zusammenarbeit mit den "Demokratischen Kräften Syriens" stellt US-Präsident Barack Obama vor ein neues Dilemma: Zu viel Hilfe könnte die Konflikte in Syrien zusätzlich befeuern.

Wichtigster Partner - der syrische PKK-Ableger

Denn bisher werden die "Demokratischen Kräfte Syriens" vor allem von einer einzigen Miliz geprägt: den syrisch-kurdischen "Volksverteidigungseinheiten" (YPG), also dem syrischen Ableger der türkisch-kurdischen "Arbeiterorganisation Kurdistans" (PKK).

Diese erfahrenen Guerilla-Kämpfer haben sich als die schlagkräftigste Truppe im Kampf gegen den IS erwiesen. Auch zahlenmäßig sind sie ihren Bündnispartnern - syrisch-arabischen und syrisch-turkmenischen Milizen - weit voraus: Die YPG werden auf bis zu 40.000 Kämpfer geschätzt, vor allem syrische Kurden, aber auch irakische, türkische und iranische, die nach Syrien gereist sind. Die Partnermilizen zählen zusammen rund 4000 Kämpfer.

Viele Syrer, vor allem arabische, misstrauen den YPG. Denn diese verfolgen ihr eigenes, nationalistisch-kurdisches Ziel: Sie wollen im Norden Syriens autonome Gebiete errichten. Die Menschenrechtsorganisation "Amnesty International" hat Fälle dokumentiert, in denen die YPG Zivilisten anderer Ethnien vertrieben haben, weil sie diese pauschal für IS-Unterstützer hielten.

"Eine größere Unterstützung für die YPG im Norden Syriens könnte zu einem arabisch-nationalistischen Backlash und möglicherweise sogar zu größerer Unterstützung für den IS führen", glaubt der US-Thinktank "The Washington Institute for Near East Policy" (Winep).

Das heißt: Werden die "Demokratischen Kräfte Syriens" weiterhin als vor allem kurdisch-nationalistische Kraft wahrgenommen, wäre ein rasanter Siegeszug riskant. Rücken sie in arabischen Gebieten vor, könnte dies den Dschihadisten neue Unterstützer zutreiben. Denn das Misstrauen zwischen Kurden und Arabern sitzt tief in Syrien.

USA können nur leichte Waffen liefern

Dazu kommt ein zweites Problem: Die mit den USA verbündete Türkei stuft die PKK und damit auch ihren syrischen Ableger als Terrororganisation ein. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte am Mittwoch, die Türkei wolle sie so lange bekämpfen, bis der letzte kurdische Aufständische "liquidiert" sei.

So lange der Krieg zwischen Ankara und der PKK tobt, können die USA ihren Partner in Syrien also nur begrenzt unterstützen. Schwere Waffen sind tabu.

"Ein Teil von schweren US-Waffen würde unweigerlich bei der PKK enden und ihr möglicherweise einen symbolischen Schlag erlauben wie den Abschuss eines türkischen Kampfjets", glauben die Experten vom Winep. Ein solches Szenario würde die US-türkischen Beziehungen wohl auf Jahre vergiften und den türkisch-kurdischen Konflikt weiter anheizen.