welt.de, 05.11.2015

http://www.welt.de/politik/ausland/article148486076/Das-neue-Anti-IS-Buendnis-will-das-Kalifat-spalten.html

Syrien-Krieg

Das neue Anti-IS-Bündnis will das Kalifat spalten

Kurden, Christen, Sunniten – eine religionsübergreifende Allianz hat den Kampf gegen den Islamischen Staat aufgenommen. Ihr Vormarsch könnte der Anfang vom Ende der IS-Terrorherrschaft sein. Von Alfred Hackensberger

Die Soldaten sind in Reih und Glied angetreten. Vorne stehen die Kommandanten, flankiert von Fahnenträgern. Dann erklärt der Oberbefehlshaber den Beginn der Offensive gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) geben sich große Mühe, einen möglichst offiziellen Eindruck zu machen. Sie sind erst letzten Monat gegründet worden, als Allianz verschiedener Ethnien und Konfessionen.

In Syrien galt so ein Bündnis bisher als ein Ding der Unmöglichkeit. Doch nun kämpfen kurdische, arabische und christliche Milizen gemeinsam gegen die IS-Extremisten. "Die Offensive in der Provinz Hasaka ist auf zwei, drei Wochen angesetzt", sagte Gabriel Kino, Sprecher des christlichen Militärrats der Assyrer (MFS) am Telefon. Das Ziel: den IS aus der gesamten Provinz zu vertreiben. Kino ist zuversichtlich: "Alle Gruppen der SDF sind beteiligt, und wir vermuten, wir könnten noch schneller gewinnen als geplant."

Sein Optimismus hat Gründe: Das Pentagon hat gerade 50 Tonnen Waffen und Munition für die Rebellen abgeworfen. Rund 50 Soldaten von US-Spezialeinheiten wurden geschickt, um die SDF zu beraten. Aber noch viel wichtiger: Amerikanische Kampfjets fliegen zum Schutz der SDF-Bodentruppen Bombenangriffe gegen den IS. Diese Kooperation hatte sich in der kurdischen Stadt Kobani an der Grenze zur Türkei (Link: http://welt.de/themen/tuerkei-politik) bewährt und auch in den anschließenden Kämpfen im Norden Syriens. Mithilfe amerikanischer Bomben konnte die Kurdenmiliz YPG dem IS dort mehr als 10.000 Quadratkilometer abnehmen. Der erfolgreiche Feldzug brachte die Kurden bis 40 Kilometer vor Rakka, die Hochburg des IS.

Die Führung der SDF hatte bei der Bekanntgabe ihrer Offensive nichts Näheres über die Ziele verlautbart. Es hieß nur, die Operation werde so lange fortgeführt, bis "alle Gebiete im Süden von Hasaka befreit sind". In den letzten Tagen kristallisierte sich jedoch die Hauptstoßrichtung heraus. Es ist die vom IS besetzte Stadt al-Haul. Sie liegt etwa 30 Kilometer südöstlich von Hasaka, unweit der Grenze Syriens (Link: http://welt.de/themen/syrien-konflikt) zum Irak. Die SDF sollen schon mehrere Dörfer in der Umgebung der Kleinstadt mit vormals rund 4000 Einwohnern eingenommen haben. Zudem fielen einige strategisch wichtige Hügel und fünf Posten entlang der Grenze in ihre Hände. Das Gebiet wird ständig von US-Kampfflugzeugen bombardiert. Nach Angaben des amerikanischen Zentralkommandos wurden zahlreiche Fahrzeuge und Stellungen des IS ausgeschaltet. Laut Oberst Steve Warren, dem Sprecher der US-Operation gegen den IS, hat die neue Rebellenallianz seit Beginn der Offensive am Wochenende insgesamt 225 Quadratkilometer erobert.

Weil die Kurden sich streiten, muss die Offensive warten

Die Einnahme von al-Haul wäre der erste Schritt, um den Grenzverkehr in den und aus dem Irak zu kontrollieren. Sollten weitere Gebiete im Süden von den SDF eingenommen werden, dann hätten sie den direkten Nachschubweg des IS nach Sindschar und Mosul abgeschnitten. Für die Extremisten wäre es ungleich schwieriger, die Versorgung der beiden Städte und ihrer dort stationierten Kämpfer aufrechtzuerhalten. Außerdem bestünde die Möglichkeit, dass die SDF weiter nach Süden in die Provinz Deir Asur vordringen und den IS noch mehr unter Druck setzen.

Die Hasaka-Offensive ist mit der Militärführung der Autonomen Kurdenregion im Irak abgesprochen. Nach Recherchen der "Welt" gab es mehrere Treffen zwischen Vertretern der SDF und der Autonomieregierung in Erbil. Das ist keine Überraschung, denn die Operationen bedeuten eine Entlastung für die kurdischen Milizen im Irak, die den IS in der irakischen Stadt Sindschar angreifen wollen. Einige Tausend kurdische Peschmerga sollen Sindschar mithilfe von Milizen der Jesiden befreien. Auch dort helfen Bomber der USA. In den letzten beiden Wochen haben US-Kampfflugzeug insgesamt 57 Angriffe geflogen.

Die Offensive auf Sindschar wurde schon mehrfach verschoben. Grund sind interne Probleme der Kurden. Die kurdische Regionalregierung im Nordirak will möglichst keine Kämpfer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) aus der Türkei dabeihaben. Man befürchtet, die linke Miliz könnte die Befreiung Sindschars für sich ausnutzen. Dabei hat die PKK von Anfang an dort den IS bekämpft. Sie war es auch, die letztes Jahr gemeinsam mit der syrischen Kurdenmiliz YPG als erste jesidische (Link: http://www.welt.de/145756828) Flüchtlinge auf dem Bergmassiv von Sindschar rettete.

Die Hasaka-Offensive der neuen syrischen Rebellenallianz hat auch andernorts im Irak strategische Bedeutung. Sollten sich die SDF tatsächlich entlang der syrisch-irakischen Grenze bis in den Süden festsetzen, dann kommt der IS auch in der irakischen Großstadt Mossul in Schwierigkeiten. Dort stehen Peschmerga und arabische Milizen bereit, die nur auf den Befehl zum Angriff warten. Und dann ist da ja noch Rakka. Mit einer erfolgreichen Hasaka-Offensive haben die SDF den Rücken für den Sturm auf die IS-Hochburg frei. "Ja, die Stadt steht auf unserer Liste", bestätigt Kino von der christlichen MFS-Miliz. "Wenn wir Rakka einnehmen, können wir auf unseren Sieg über den IS trinken."

In Hasaka stemmt sich der IS mit aller Gewalt gegen eine Niederlage. Innerhalb von 48 Stunden sprengten sich fünf Selbstmordattentäter in mit Sprengstoff beladenen Fahrzeugen in die Luft. Einer davon traf einen SDF-Konvoi von 70 Fahrzeugen in der Nähe von al-Chatunia, keine zehn Kilometer von al-Haul entfernt. Der Lastwagen des Selbstmörders war mit fünf Tonnen Explosivstoffen beladen. Dutzende von arabischen und kurdischen Kämpfern wurden dabei getötet. Die SDF-Milizen besitzen keine modernen Panzerabwehrraketen, mit denen sie Selbstmordfahrzeuge, die bevorzugte Waffe des IS, zerstören könnten. Von Rakka aus schickten die Terroristen allein in den Monaten Juli bis Oktober insgesamt 45 dieser Bombenwagen gegen die umliegenden Stellungen ihrer Gegner los.

Die SDF könnten deutsche Milan-Raketen gut gebrauchen, wie sie die Kurden im Nachbarland Irak (Link: http://welt.de/themen/irak-politik) erhielten. Die Bundesregierung hat dorthin mindesten 500 Stück dieser lenkbaren Panzerabwehrwaffe geschickt und damit den Krieg zugunsten der Peschmerga gewendet. "Diese Raketen wären natürlich wunderbar", sagte Kino, der MFS-Sprecher. "Aber wir alle haben gelernt, auch ohne sie den IS zu besiegen."