FAZ, 09.11.2015

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Russlands Einsatz in Syrien

Assads zweite Luftwaffe

Der russische Einsatz in Syrien ist schlagkräftig und erscheint langfristig angelegt. Amerikanische Offiziere äußern sich beeindruckt über die Leistungsfähigkeit der Russen - und büßen möglicherweise ihre eigene Bewegungsfreiheit ein.

von Nikolas Busse

Amerikanischen Schätzungen zufolge fliegen russische Kampfflugzeuge wie die Sukhoi Su-24 bis zu 90 Einsätze am Tag.

Russlands Eintritt in den syrischen Bürgerkrieg hat den Westen überrascht, denn mit diesem Schritt hatte offenbar niemand gerechnet. Da es sich im Unterschied zur Ukraine nicht um eine verdeckte Operation handelt, kann man sich inzwischen ein recht genaues Bild vom russischen Einsatz in dem nahöstlichen Land machen. Dabei fällt zweierlei auf: Er ist schlagkräftig, und er dient bisher vor allem der Stabilisierung des Regimes.

Nikolas Busse Autor: Nikolas Busse, Stellvertretender verantwortlicher Redakteur für Außenpolitik. Folgen:

Amerikanische und deutsche Forschungseinrichtungen, die das russische Engagement in den vergangenen Wochen ausgewertet haben, weisen darauf hin, dass der Umfang des Einsatzes geringer erscheint als die Wirkung, die von ihm auf dem Schlachtfeld ausgeht. Den Kern bildet eine Luftwaffenkomponente mit Jagdbombern, Erdkampfflugzeugen, Kampfhubschraubern und Drohnen zur Aufklärung. Zu Beginn der Operation wurden etwa 34 Flugzeuge gezählt und zwölf Hubschrauber.

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© F.A.Z., Nato Militärübung der Nato: Im Zeichen des Dreizacks

Da der Einsatz noch im Aufbau erscheint, können sich diese Zahlen aber auch schon erhöht haben. Auf alle Fälle handelt es sich um Flugzeuge, die geeignet sind, Bodentruppen im Gefecht zu unterstützen. Sie sind also als Luftunterstützung für die Truppen des syrischen Regimes und seiner Alliierten (Hizbullah, iranische Revolutionsgarden, schiitische Milizen aus dem Irak) gedacht. Ergänzt wird das von einem verstärkten Bataillon russischer Marineinfanteristen (geschätzt 600 Mann), ausgerüstet mit Schützenpanzerwagen, Kampfpanzern und Artillerie.

Wenige Angriffe gegen Terrorgruppe „Islamischer Staat“

Die Operation besteht derzeit vor allem aus Luftangriffen, mit denen die Russen am 30. September begonnen haben. Soweit bekannt ist, konzentrierte sich der Großteil der Einsätze in einer ersten Phase auf Gebiete im Norden und Westen Syriens, vor allem von der Provinz Latakia nach Idlib und in die Provinzen Homs und Hama. Dort operieren einige der stärksten Widersacher des Regimes, die dessen Truppen einige Verluste zugefügt haben. Es handelt sich aber vornehmlich nicht um Kräfte der Terrorgruppe „Islamischer Staat“, sondern um andere Gegner Assads, darunter offenbar auch Gruppen, die vom amerikanischen Geheimdienst CIA ausgebildet und bewaffnet wurden. Auch in der Provinz Aleppo kam es zu Angriffen.

Die russischen Flugzeuge schafften anfangs zwanzig bis dreißig Einsätze pro Tag, bei denen geschätzt je zehn bis zwölf Ziele getroffen wurden. Die syrische Luftwaffe, die in den vergangenen Kriegsjahren deutliche Verluste hinnehmen musste, scheint dabei unterstützende Angriffe zu fliegen. Die Zahl der Einsätze konnte in der Zwischenzeit offenbar kontinuierlich gesteigert werden. Das russische Verteidigungsministerium meldete Ende Oktober 71 Einsätze innerhalb von 24 Stunden, bei denen 118 „terroristische Ziele“ angegriffen worden seien. Nach amerikanischen Schätzungen kamen die Russen an einigen Tagen auf fast 90 Einsätze, was sogar an den jüngsten Durchschnitt der Operation „Inherent Resolve“ herankommt, die unter amerikanischer Führung Luftschläge gegen den IS fliegt.

Wird Russland auch Bodentruppen schicken?

Amerikanische Offiziere äußern sich beeindruckt über die Leistungsfähigkeit der Russen, die unter anderem eine ganze Palette an präzisionsgelenkter Munition und Freifallbomben zum Einsatz bringen, darunter bunkerbrechende Waffen. Der russische Einsatz wird auch als Demonstration der Fähigkeiten des russischen Militärs gesehen, das nach schwacher Leistung im Georgien-Krieg 2008 grundlegend modernisiert wurde. Besonders der Abschuss von Marschflugkörpern aus dem Kaspischen Meer nach Syrien gilt als Beleg für einen bemerkenswerten technologischen Fortschritt der Russen, auch wenn vier davon in Iran abstürzten.

Ein Aspekt, der zunehmend Beachtung findet, sind die Flugabwehrsysteme, die Russland nach Syrien verlegt hat. In Verbindung mit ebenfalls dort stationierten Mehrzweckkampfflugzeugen können sie zur Abwehr gegnerischer Flugzeuge oder Raketen genutzt werden. Da keine Gruppe der Aufständischen über diese Waffen verfügt, sind solche Systeme in Syrien nur zur Abwehr auswärtiger Kräfte zu gebrauchen. Das können in diesem Fall nur die Vereinigten Staaten, die anderen Teilnehmer der von Washington geführten Anti-IS-Koalition und Israel sein. Russland könnte mit seiner Flugabwehr einen Schirm über das Operationsgebiet der syrischen Truppen und ihrer Verbündeten spannen. Auch das wäre eine willkommene Hilfe für Assad, weil das syrische Flugabwehrsystem durch den Krieg als beschädigt und geschwächt gilt.

Ein Engagement am Boden bleibt fraglich

Das bedeutet also, dass die von Amerika geführte Allianz womöglich im Norden und Westen Syriens ihre Bewegungsfreiheit einbüßt. Einsätze müssten künftig mit den Russen abgesprochen werden. Nur amerikanische Tarnkappenflugzeuge wären hier gegen russischen Willen einsatzfähig. Auch die israelische Luftwaffe kann in diesen Gebieten wohl keine Schläge mehr führen, um die Weitergabe iranischer Waffen an die libanesische Hizbullah zu unterbinden, so wie es das in den vergangenen Jahren gelegentlich getan hat. Es ist schwer vorstellbar, dass Russland seinem Alliierten Iran in dieser Frage in den Rücken fallen würde.

Unklar ist bisher, ob Russland sich auch am Boden engagieren will. Das bisher eingesetzte Bataillon kann nach Einschätzung von Fachleuten allenfalls den russischen Stützpunkt am Flughafen von Latakia sichern. Es gibt allerdings Berichte, dass das syrische Regime in einer Offensive schon mit Artillerie unterstützt wurde. Für weiter gehende Operationen wäre der Verband wohl zu klein. Sollten die Russen sich für eine Beteiligung am Bodenkrieg entscheiden, dann gilt die Entsendung von mindestens einer Brigade (etwa 3000 bis 5000 Mann) als notwendig. Ausgeschlossen ist das nicht, da die Russen zu Luft und zur See Material und Truppen nachführen können. In Latakia haben sie Unterkünfte für bis zu 2000 Soldaten gebaut. Der logistische Aufwand, den sie treiben, lässt vermuten, dass sie sich auf eine längere, wenn nicht gar dauerhafte Präsenz in Syrien einrichten. Den Amerikanern ist nicht entgangen, dass neben großen Feldküchen auch Tänzer und Sänger ins Einsatzgebiet gebracht wurden, um die Soldaten bei Laune zu halten.