Neues Deutschland, 21.11.2015

http://www.neues-deutschland.de/artikel/992038.kobane-bekommt-ein-gesundheitszentrum.html

Von Alexander Isele

Kobane bekommt ein Gesundheitszentrum

Projekt hat Signalcharakter für einen Aufbruch

Der Verein »Gesundheitszentrum Kobane« hat mit 170 freiwilligen Aufbauhelfern das erste Wiederaufbauprojekt in der zerstörten Stadt bewältigt. Es hat Platz für vier Arztpraxen, auch Operationen sind hier möglich.

Von der kurdisch-syrischen Stadt Kobane geht eine Signalwirkung aus: Der Islamische Staat ist nicht unbezwingbar. Nun soll von Kobane auch ein zweites Signal ausgehen: Der Wiederaufbau kann gelingen. Am Freitag wurde ein Gesundheits- und Sozialzentrum an die Selbstverwaltungsorgane des Kantons Kobane übergeben, das von mehr als 170 freiwilligen Aufbauhelfern in Selbstorganisation errichtet wurde.

Seit Juli dieses Jahres wurde an dem Zentrum gebaut. Die erste der bisherigen sieben Brigaden von Helfern erreichte die Stadt nur wenige Tage vor dem verheerenden IS-Attentat vom 25. Juni mit 234 Todesopfern, viele davon Aufbauhelfer. Gernot Wolfer, Industriefacharbeiter bei Siemens in Berlin-Moabit, schildert auf einer Pressekonferenz in Berlin anlässlich der Übergabe des Zentrums seine Gefühle als einer der Brigadisten: »Der IS-Angriff zielte darauf, den Wiederaufbau von Kobane zu verhindern, die Hoffnung zu zerstören, Angst zu verbreiten und so die Rückkehr der geflohenen Menschen zu verhindern.«

In der Tat hatten die Anschläge in diesem Punkt Erfolg. Auf einer EU-Konferenz zu Kobane wurden über 100 Wiederaufbauprojekte geplant, doch nach dem Anschlag verließen alle viele Hilfsorganisationen die Stadt.* Einzig Die Brigadisten für den Aufbau des Gesundheitszentrum blieben, und so sendet die Übergabe ein ganz wichtiges Signal, wie auch der Ko-Bürgermeister der Stadt, Ibrahim Haj Khalil, feststellte: »Ich bedanke mich bei euch. Ihr seid die einzige Organisation, die zurückgekommen ist und weiterarbeitet.«

Die Arbeiten fanden unter widrigen Bedingungen statt. Zum einen gab es kaum Baumaterial und nur sehr wenige Arbeiter. Zum anderen bekamen die Helfer keinerlei Unterstützung von offizieller Seite. Von türkischen Behörden wurden die Helfer auch konkret behindert; so wurde ihnen der Grenzübertritt über die nahe gelegene türkische Stadt Suruc verweigert.

Aber auch die deutschen Behörden reagierten nicht auf Anfragen, wie man den Transport von sieben Tonnen Bau- und Medizinmaterial bewältigen könne. Für Frank Jasenski, Rechtsanwalt und Vorsitzender des »Fördervereins Gesundheits- und Sozialzentrum Kobane«, ist dies der Grund, in Übereinkunft mit kurdischen Gruppen vehement einen humanitären Korridor zu fordern. »Die selbe Regierung, die verlangt, Fluchtursachen zu bekämpfen, verhindert aktiv den Wiederaufbau und eine Bereitstellung von medizinischer Versorgung.« Das Auswärtige Amt in Berlin rät von einem Aufenthalt in Kobane aufgrund der Sicherheitslage ab.

Das Gesundheitszentrum wird Platz für vier Arztpraxen haben, mit Extraräumen für Diagnostik, Röntgen und auch kleine Operationen. Beim Bau wurde auf eine nachhaltige Fertigungsweise Wert gelegt, mit Einheimischen besann man sich auf die traditionelle Technik, Lehmziegel zu brennen, die als zweite Wand mit Stroh für Dämmung sorgen.

Die Fertigstellung des Gebäudes wird für das Frühjahr 2016 anvisiert. Noch immer gibt es in der Stadt keine Stromversorgung, 50 000 Euro werden für Fotovoltaikanlagen benötigt. Ab Mitte Februar soll die letzte Freiwilligenbrigade die Arbeiten fertigstellen, dann der Umgang mit dem medizinischen Gerät gelehrt werden. Dass das Zentrum nicht die zerstörten Krankenhäuser ersetzen kann, ist klar. Aber es soll zur Ausbildung von Ärzten genutzt werden, die dann in den umliegenden Dörfern eine gesundheitliche Versorgung sicherstellen können.

Wie Projektleiterin Monika Gärtner-Engel auf der Pressekonferenz erklärte, ist die Bedeutung des Vorhabens nicht allein am Gebäude oder an der medizinischen Versorgung zu messen. Es habe auch politische Bedeutung: »Das Projekt hat einen Modellcharakter und steht dafür, wie ein demokratischer Aufbruch gelingen kann, nicht nur für Kobane, auch in der Region Rojava und darüber hinaus.«

Mahmud Sabri, Vertreter der kurdischen Partei der Demokratischen Union in Syrien, die in Kobane den Bürgermeister stellt und eine führende Rolle beim Versuch spielt, eine neue demokratische Ordnung zu etablieren, bedankte sich im Namen der syrischen Bevölkerung bei den Helfern: »Das Zentrum ist ein Aufbruch. Kobane hat gegen den Terror gekämpft. Lasst uns die Stadt zu einem Symbol für Frieden in der Welt machen.« Dafür brauche Kobane weiterhin jede Unterstützung.

* Die Redaktion wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die hier genannte MLPD-nahe Hilfsaktion nicht die einzige noch aktive in Kobane ist.