Neue Zürcher Zeitung, 24.11.2015 http://www.nzz.ch/international/naher-osten-und-nordafrika/damaskus-traeumt-vom-frieden-1.18651570 Alltag im Bürgerkrieg Damaskus träumt vom Frieden Die Aktivisten sind entweder im Ausland, im Gefängnis oder tot. Berichte von Märtyrern machen in Damaskus die Runde. Die Einwohner sind jedoch kriegsmüde. von Monika Bolliger, Damaskus Der Freitagmorgen im Innenhof eines pittoresken alten Hauses der Damaszener Altstadt beginnt friedlich. Die Vögel zwitschern, die Sonnenstrahlen kriechen langsam die Hauswand hinunter entlang dem Jasminstrauch, der einen betörenden Duft verbreitet. Der Plattenboden mit Ornamenten und dem Brunnen in der Mitte liegt noch im Schatten. Aus der Ferne durchbricht der Ruf eines Muezzins die Stille, der Himmel ist strahlend blau. Dann erinnert ein Donnergrollen jäh an die Realität des Krieges. Wenige Kilometer von hier liegt Duma, ein von Rebellen kontrollierter Vorort von Damaskus. «Heute ist ein sehr schlechter Tag», schreibt Osama Nassar, der in Duma lebt. «Sie haben den Markt und die ganze Stadt bombardiert, es gab über 70 Tote.» Damaskus ist nur wenige Kilometer weg, aber für Osama unerreichbar. Duma ist unter Blockade des Regimes, Lebensmittel sind schwer erhältlich. Manche Aktivisten versuchen, mit Bildern von unterernährten Kindern im Internet auf ihr Leid aufmerksam zu machen. Humanitäre Organisationen fordern mehr Zugang zu Gebieten wie Duma, von denen es in Syrien Dutzende gibt. Dort ist die Lage der Zivilisten am prekärsten. Lachen als Schmerzmittel Weite Teile Syriens sind vom Krieg verwüstet, einschliesslich Vororten der Hauptstadt. Das Zentrum von Damaskus ist jedoch fest in der Hand des Regimes von Bashar al-Asad, ebenso die Verbindungsstrasse nach Beirut – dank der schiitisch-libanesischen Miliz Hizbullah, die Asad militärisch beisteht. Der geschwächten syrischen Armee läuft nämlich das Personal davon. Man sieht es schon daran, dass bisweilen Grauhaarige die Checkpoints bewachen, welche in allen Stadtvierteln stehen. Soldaten, deren Wehrdienst normalerweise zwei Jahre dauert, werden nach fünf Jahren immer noch nicht entlassen. Eine Rekrutierungskampagne ist im Gang – junge Männer werden von den Strassen eingesammelt. Ein 40-jähriger Regierungsbeamter, der seinen Dienst längst absolviert hat, erhält mitten im Gespräch einen Anruf, dass man ihn erneut einziehen will. Die wichtige Rolle schiitischer Milizen wie des Hizbullah in Syrien zeigt sich an den vielen Märtyrerbildern, welche in mehreren Vierteln der Altstadt zu sehen sind. Am Bab-Touma-Platz beim christlichen Viertel hängen Bilder von jungen Männern, die im Krieg starben, mit schiitischen Referenzen und Fotos des Felsendoms von Jerusalem im Hintergrund. Der Hizbullah und Asad propagieren sich noch immer als Achse des Widerstandes gegen Israel. Dabei führt der «Weg nach Jerusalem» inzwischen über verschlungene Umwege durch rebellische syrische Städte weit weg von der israelischen Grenze. Täglich hört man Kriegslärm, doch in der Altstadt nimmt der Alltag seinen Lauf, als ob nichts wäre. Dabei wurde auch das Bab-Touma-Viertel nicht von Angriffen der Rebellen aus den Vororten verschont. Die 23-jährige Ashtar al-Ahmad ist eines der Opfer. Sie liegt im Spital mit mehrfach gebrochenen Füssen, zudem hatte sie am ganzen Körper Verletzungen durch Granatsplitter. «Ich habe immer Witze gemacht, dass es mich schon nicht trifft», sagt die Studentin – und lacht. Ashtar hatte Glück. Geholfen haben auch ihr Durchhaltewillen und ihr positives Wesen. «Lachen ist besser als jedes Schmerzmittel», sagt sie. Die Abschlussprüfung in Grafikdesign durfte sie hier im Spital machen. «Ich war die Beste des Jahrgangs», sagt sie stolz. Danach konnte sie vor Freude erstmals wieder ihre Beine bewegen. Die Bewohner von Damaskus zucken mit den Schultern, wenn man sie auf die Gefahr anspricht. Die Lage habe sich etwas stabilisiert. Und man habe sich daran gewöhnt. «Berichte von Märtyrern sind zu einer Gewohnheit geworden, wie der Kaffee und die Lieder von Fairouz zum Frühstück», sagt Thaer Fattoum, ein Arabischlehrer an einer Mädchenschule von Damaskus. Der Schulalltag geht weiter, aber nicht ohne Spuren des Kriegs. Viele Mädchen wiesen leichte Formen von Depressionen auf, sagt die Schulpsychologin Tharaa Abdelhamid. Manche der Mädchen sind aus Orten geflohen, die vom Krieg verwüstet wurden. Die 15-jährige Sidra Fanari aus Aleppo meint, in Damaskus sei die Situation besser. In Aleppo konnte sie wegen der Kämpfe in der Stadt nicht mehr zur Schule gehen. Im Herzen der Altstadt von Damaskus ruht die Umajjaden-Moschee in alter Pracht. Der Eintritt beträgt immer noch 50 syrische Pfund, obwohl die Währung nur noch einen Achtel ihres einstigen Wertes hat. «Ohne Touristen können wir die Preise nicht anpassen», erklärt der freundliche Ticketverkäufer in formalem Hocharabisch, das er sich einst für die vielen ausländischen Arabischstudenten angeeignet hat. In diesen Tagen sinkt der Wert des Pfundes so schnell, dass es einem schwindlig wird. Der Dollarpreis, der vor dem Krieg 50 syrische Pfund betrug, steigt in einer Woche von 340 auf 380 Pfund. Die Ängste der Minderheiten Die Syrer fragen sich entsetzt, wie weit es noch gehen kann, sind doch die Preise längst in schwindelnde Höhen geklettert. Die Bedürftigsten erhalten Hilfe von humanitären Organisationen. Korruption hat zugenommen, und so auch Vorfälle, wo die einen die anderen ausnehmen. Doch die meisten helfen sich gegenseitig, verschulden sich bei Freunden, erhalten Geld von Verwandten im Ausland – oder packen ihre Koffer und verlassen das Land, wenn die Ersparnisse dafür noch reichen. «All unsere Verwandten sind ausgewandert», sagt eine Damaszenerin, die selber wegen einer behinderten Schwester, um die sie sich kümmern muss, im Land geblieben ist. Ihre Familie ist keine Ausnahme. Die Stadt ist zwar immer noch voller Leute – aber viele haben sich hierhergeflüchtet aus Aussenvierteln und anderen Landesteilen, die von Kämpfen und Zerstörung betroffen sind. Weggezogen ist nicht nur ein Grossteil der Mittelklasse und insbesondere der Jugend, die in Syrien keine Zukunft mehr sieht. Weg sind auch die jungen Aktivisten, die am Anfang Demonstrationen und andere friedliche Aktivitäten organisierten. Sie sind entweder im Ausland, im Gefängnis oder tot. Zurückkehren aus dem Ausland ist für viele keine Option, auch wenn seitens des Regimes das Gegenteil behauptet wird. So wurde der 60-jährige Oppositionelle Odai Rajab nach seiner Rückkehr im Juni trotz Zusage des Ministeriums für Versöhnung, dass er nicht verhaftet würde, abgeführt und so schwer verprügelt, dass er anschliessend im Spital starb. In Damaskus ist das Klima der Angst, das zu Beginn der Proteste aufbrach, zurück. Nur von den früheren Oppositionellen sind einige noch da, gealterte Kommunisten, die für das Regime keine Bedrohung mehr darstellen. Doch auch sie treffen sich lieber in Beirut mit Journalisten. Einer von ihnen ist der Journalist Thaer Ali Deeb. Er sagt, die syrische Gesellschaft sei zu vielschichtig für eine schnelle Revolution: «Wir haben einen Krieg, in dem sich je zehn Prozent der Syrer gegenüberstehen, das Regime und die bewaffnete Opposition. Der Rest will etwas anderes, aber kann nichts tun, solange Krieg herrscht.» In seinen Augen ist das Regime hauptverantwortlich für die Gewalt. Aber er kritisiert, dass sunnitische Oppositionelle schon früh religiös gefärbte, minderheitenfeindliche Slogans verwendet hätten. Er selber sei Alawit, und bei den Protesten am Anfang sei er zwar mitgegangen, aber mit grossem Unbehagen. Vermutlich ist es kein Zufall, dass alle Oppositionellen, die noch in Damaskus leben und zu einem Gespräch einwilligen, religiösen Minderheiten angehören. Oppositionelle Christen und Alawiten werden sanfter angefasst als sunnitische Muslime, welche in Syrien die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Das Regime überlebt dank den Ängsten der Minderheiten. Aber auch die sunnitischen Geschäftsleute verhielten sich lange neutral gegenüber dem Aufstand, um zu sehen, was für das Business besser sei. Jene Künstler und Bohémiens, die noch in den Bars von Damaskus anzutreffen sind, sehen in den Islamisten eine Bedrohung für ihren Lebensstil. Ein Unterstützer des Regimes sagt im Gespräch, es sei eine Ironie, dass ausgerechnet Saudiarabien, welches die Aufständischen unterstützt, die Syrer über Freiheit belehren wolle. Solange die ausländische Einmischung nicht aufhöre, welche die Terroristen hier finanziere, werde der Krieg nicht enden, meint er. Oppositionelle betonen dagegen, wie das Regime zu Beginn selber den Aufstieg der Jihadisten provoziert und die Radikalisierung des Aufstandes durch seine brutale Reaktion befördert habe, um so seine Gegner zu delegitimieren und das Schreckgespenst eines Aufstandes radikaler Islamisten, das das Regime von Anfang an beschwor, wahr werden zu lassen. «Wir wollen nur noch leben» Die verschiedenen Narrative klingen manchmal, als handelte es sich um verschiedene Planeten. Einig sind sich jedoch alle Seiten, dass der Westen nichts Gutes für Syrien im Sinn hat und eine Spaltung des Landes bevorstehen könnte. Unterstützer des Regimes hoffen auf die Rettung durch Russland, gemässigte Oppositionelle warten auf eine politische Lösung, die anderen Regimegegner halten am Rücktritt Asads fest. Tief sind derweil die Wunden des Krieges – viele Eltern haben ihre Kinder verloren, als Soldaten, Rebellen, Entführte, die nie wieder auftauchten, als politische Gefangene, die zu Tode gefoltert wurden. Werden sie je vergeben können? Doch am Ende lässt sich Damaskus nicht in Regimegegner und Loyalisten einteilen. Die meisten sind irgendwo dazwischen, niemand mag das Regime, seine Unberechenbarkeit, seine Brutalität und seine Korruption. Niemand will zugleich, dass Damaskus fällt, im Chaos versinkt oder dass radikale Islamisten die Macht übernehmen. Alle sind müde vom Krieg. Viele haben aufgegeben. Das Bild von Asad, das alle aufhängen, ist weniger ein Zeichen von Loyalität als ein Selbstschutz gegen die Schergen des Regimes. «Wir hatten grosse Hoffnungen. Das ist alles vorbei. Wir wollen nichts ausser in Frieden leben», so drückt es ein Syrer aus. «Es lebe unser Präsident Bashar al-Asad, möge er Damaskus halten», fügt er sarkastisch lachend an. Kurz davor hatte er noch mit nostalgischem Gesichtsausdruck Lieder des Aufstandes gegen Asad gesungen.
|