Osterholzer Kreisblatt, 25.11.2015 http://www.weser-kurier.de/region/osterholzer-kreisblatt_artikel,-Leyla-Imret-darf-Tuerkei-nicht-verlassen-_arid,1259247.html Cousin in Osterholz-Scharmbeck besorgt Leyla Imret darf Türkei nicht verlassen Kim Wengoborski In den sozialen Netzwerken machte das Gerücht vergangene Woche schnell die Runde. Leyla Imret sei verhaftet worden, hieß es in Facebook und auf anderen Plattformen. „Wir wussten nicht, was passiert war; wir konnten sie nicht erreichen“, sagt ihr Cousin Cihan Imret, bei dessen Familie Leyla Imret in Osterholz-Scharmbeck aufgewachsen ist. Nach der Ausgangssperre im September führte Leyla Imret europäische Politiker durch ihre Heimatstadt Cizre. Ein Großteil der Bevölkerung hier ist kurdischer Abstammung. Seit Jahrzehnten schwelen Konflikte zwischen der Regierung und der kurdischen Arbeiterpartei PKK. (Cihan Imret) Cihan Imret ist ebenso wie seine Cousine aus der Türkei geflohen; auch sein Vater war ein PKK-Aktivist, der im Kampf ums Leben gekommen war. Bilder der verstorbenen Väter zieren die Wand in dem Plattenbau in der Kreisstadt. Porträts, aber auch ein Foto von einem Kämpfer mit einem Gewehr in den Händen, hängen über der westlich-modernen Wohnwand. Vor drei Jahren zog es Leyla Imret aus ihrem geordneten, sicheren Leben zurück nach Cizre, wo sie schon bald zur Bürgermeisterin gewählt wurde. Vor eineinhalb Monaten wurde sie während einer Ausgangssperre ihres Amtes enthoben. Die Regierung ermittelt gegen sie, weil sie zum Bürgerkrieg aufgerufen haben soll. „Die haben meine Aussagen völlig verdreht. Ich setze mich für Frieden ein“, sagte sie vor wenigen Wochen in einem Interview mit unserer Redaktion. Die Befürchtung, sie könnte nach der Amtsenthebung nun auch verhaftet werden, versuche sie zu verdrängen, erklärte die 28-Jährige. Die Menschen hatten zum Schutz vor dem Militär Barrikaden aufgebaut. Die Menschen würden sich mehr vor den Panzern und Gewehren der Regierung als vor den PKK–Kämpfern fürchten, sagt Cihan Imret, der selbst vor eineinhalb Monaten zu Besuch war. (Cihan Imret) Vergangenen Mittwoch hatte Leyla Imret in einem Park gesessen, als Polizisten in Zivil sie am Arm packten und in einen gepanzerten Wagen zerrten. Ihre Verwandten blieben über ihren Verbleib im Ungewissen; die Kurdin durfte nicht telefonieren, niemand klärte sie über den Grund ihrer Verhaftung auf. Die Familie in Osterholz-Scharmbeck musste währenddessen große Ängste ausstehen. „Wenn man in der Türkei verhaftet wird, ist das anders als in Deutschland. Da kommen schlimme Gedanken bei mir hoch“, sagt der 30-jährige Cihan Imret. Gegen Abend wurde Leyla Imret dem Haftrichter vorgeführt, anschließend aber wieder entlassen. Ihre Mutter überbrachte den Verwandten in der Kreisstadt die erlösende Nachricht. Vor eineinhalb Monaten war Cihan Imret selbst mit einer europäischen Delegation für einige Tage nach Cizre gereist. „Allein und als Privatperson kommt man da gar nicht mehr rein“, berichtet er. Das Militär und die Polizei hätten versucht, die Politiker und Privatleute der Reisegruppe am Besuch der Stadt zu hindern. „Schon 90 Kilometer vor Cizre haben sie Barrikaden aufgebaut“, sagt Imret. Über Dörfer und Nebenstraßen seien sie dennoch in die 110 000-Einwohner-Stadt gelangt. Erinnerungen an die Kindheit kamen hoch: Zerschossene Hauswände, weinende Frauen, deren Kinder oder Eltern vom Kugelhagel getroffen worden waren, Barrikaden aus Sandsäcken und tiefe Gräben mitten auf der Straße. „Irgendwie ist es schon Normalität“, sagt Cihan Imret ernüchtert. Cizre sei seine Heimat, fügt er hinzu. In friedlichen Zeiten saß er mit der großen Familie in den Straßen oder im Park; sie tranken Tee, lachten und genossen die angenehmen Temperaturen in den Abendstunden. „Auch Verwandte, die ich noch nie gesehen habe, nahmen mich herzlich in die Gemeinschaft auf“, erzählt er. Cihan Imret hat sich bereits
an einen Anwalt gewandt, um seine Cousine auch von Deutschland aus unterstützen
zu können. Die 28-Jährige steht unter Hausarrest, sie darf die Türkei
nicht verlassen und muss sich jede Woche beim Amt melden, um ihre Anwesenheit
zu bestätigen. „Sie hat ihren Mut nicht verloren, sie wird weitermachen“,
ist Cihan Imret überzeugt.
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