Süddeutsche Zeitung, 27.11.2015 Verhaftung von türkischen Journalisten: Mehr als ein Angriff auf die Pressefreiheit Die beiden in der Türkei verhafteten
Journalisten hatten Bilder von angeblichen Waffenlieferungen des türkischen
Geheimdiensts an den IS veröffentlicht. Von Mike Szymanski Stundenlang hat Can Dündar, Chefredakteur der linksliberalen Zeitung Cumhuriyet, beim Staatsanwalt in Istanbul ausgesagt. Die Vorwürfe wiegen schwer. "Wir sind keine Verräter", verteidigte sich Dündar. "Wir sind keine Spione. Wir haben unseren Job gemacht." Dieser Donnerstag endet für ihn trotzdem in einem Fiasko. Es ist es 21.21 Uhr. Er und der Ankara-Korrespondent der Zeitung, Erdem Gül, werden verhaftet. Am Freitag kommt es zu Demonstrationen für die Freilassung der Journalisten, bei denen die Polizei Tränengas einsetzt. Worum es ging: Wenige Tage
vor der Parlamentswahl am 7. Juni hatte die Cumhuriyet Fotos und ein Video
veröffentlicht, die eine Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT
an Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien nahelegten. Das Bildmaterial
zeigte Lastwagen, die im Januar 2014 auf den Weg nach Syrien gestoppt
worden seien. Ihre Ladung: Angeblich Waffen für die Fanatiker vom sogenannten
Islamischen Staat. "Der Moment, in dem der Staat scheitert", lautete eine der Cumhuriyet-Schlagzeilen. Ein paar Tage später verlor die regierende AKP die absolute Mehrheit bei der Wahl. Sicher nicht nur deshalb. Und auch nicht für lange Zeit: Seit der Neuwahl am 1. November ist die AKP mit aller Macht zurück. Dündar und die kritische Presse bekamen das jetzt zu spüren. Dieser Fall geht über einen
Angriff auf die Pressefreiheit hinaus. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan
selbst hatte Dündar angezeigt und ihm kurz nach der Veröffentlichung des
Artikels gedroht, er werde "einen hohen Preis" dafür zahlen.
Ihm und seinem Kollegen wird Unterstützung einer terroristischen Vereinigung
und Spionage vorgeworfen. Die Ermittler behaupten, Erdoğans Erzfeind,
der Prediger Fethullah Gülen, stecke hinter den Enthüllungen. Die Türkei
hat dessen Bewegung zur Terrororganisation erklärt. In diesen Tagen ist aber auch noch von anderer Stelle den Türken vorgeworfen worden, die IS-Terroristen zu unterstützen. Nachdem die Armee einen russischen Kampfflieger im Grenzgebiet zu Syrien abgeschossen hatte, stellte Präsident Wladimir Putin die Türkei in eine Reihe mit Terrorhelfern. Die Regierung hat Vorwürfe aus dem Artikel bisher nicht ausräumen können. Mal hieß es, es gehe die Öffentlichkeit nichts an, was in den Lastwagen stecke. Mal war von Hilfsgütern für die Rebellen die Rede, die in Syrien gegen das verhasste Assad-Regime kämpften. Gegen Islamisten im eigenen Land ging die Türkei lange nicht entschlossen vor. Jetzt erklärte Erdoğan, es komme nicht darauf an, was in den Lastern gesteckt habe. Dündar erlaubte sich derweil ein letztes Wort: Das Vorgehen der Justiz sei eine Ehrenauszeichnung. URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/cumhuriyet-verhaftung-von-tuerkischen-journalisten-mehr-als-ein-angriff-auf-die-pressefreiheit-1.2757525
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