junge Welt, 30.11.2015

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Gut aufgestellt

Russland demonstriert in Syrien militärische Stärke und will sich günstige Ausgangsbedingungen für eine politische Lösung verschaffen

Von Ralf Rudolph /Uwe Markus

Bereits am 13.11. schrieben Ralf Rudolph und Uwe Markus auf diesen Seiten über den russischen Militäreinsatz in Syrien.
Der Abschuss des russischen Su-24-Kampfflugzeuges im nordsyrischen Grenzgebiet zur Türkei am 24. November verweist auf die sehr unterschiedlichen strategischen Ziele der politischen und militärischen Akteure in der Region. Zwar hatten sich die Repräsentanten der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer auf dem unlängst zu Ende gegangenen G-20-Gipfel in der Türkei zur Notwendigkeit der gemeinsamen Bekämpfung des Terrors bekannt, doch solche Absichtserklärungen sind billig. Denn bereits seit Beginn des von außen befeuerten Krieges in Syrien ist bekannt, dass nicht nur Saudi-Arabien und das Emirat Katar, sondern vor allem die Türkei den sogenannten Islamischen Staat (IS) und diverse andere islamistische Terrorgruppen unterstützen. Der personelle und materielle Nachschub für diese Gruppierungen erfolgt über das Staatsgebiet der Türkei. Das Land ist Rückzugsort für verwundete islamistische Kämpfer, und der IS wickelt den Verkauf von Erdöl zur Sicherung seiner Finanzierung über die syrisch-türkische Grenze ab. Und nicht von ungefähr fliehen in Folge russischer Luftschläge und der Bodenoffensive der syrischen Armee vor allem ausländische Angehörige geschlagener Rebelleneinheiten zur syrisch-türkischen Grenze.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht vom Kampf gegen den Terrorismus und meint vor allem die Unterbindung militärischer Aktivitäten der kurdischen Guerillabewegung PKK. Hingegen werden all jene Kräfte offen und verdeckt unterstützt, die gegen die legitime syrische Regierung kämpfen, wozu auch gerne eine angemaßte Schutzverpflichtung für die in Syrien lebenden Turkmenen und deren bewaffnete Formationen bemüht wird. Dass Angehörige dieser turkmenischen Rebellengruppen die Piloten der abgeschossenen russischen Maschine unter Feuer nahmen, während sie mit den Rettungsfallschirmen in der Luft waren, was einer von ihnen nicht überlebte, scheint die türkische Regierung nicht zu interessieren. Dabei handelt es sich hier um einen massiven Verstoß gegen internationale Regeln der Kriegführung.

Der IS und andere Gruppierungen sind in der Logik dieser Strategie Figuren der türkischen Syrien-Politik, die Ankara als Faustpfand in den Wiener Verhandlungen über eine mögliche Nachkriegsordnung in der Region gerne im Spiel halten will. Die offenkundig heuchlerische Politik der türkischen Führung soll das Bestreben kaschieren, sich als regionale Ordnungsmacht zu positionieren, wird durch das entschlossene Vorgehen Russlands und die Offensive der syrischen Regierungstruppen empfindlich gestört. Insbesondere die in den letzten Tagen verstärkten Angriffe der russischen Luftwaffe auf Förderanlagen, Raffinerien und Tankfahrzeuge, die Öl aus Syrien via Türkei zu den Kunden des IS bringen sollten, sind für Ankara offenbar ein Ärgernis. Denn so werden seit langem eingespielte Geschäftsbeziehungen und vor allem die Versorgung des IS mit frischem Geld beeinträchtigt. Es wird damit schwieriger, den Konflikt in türkischem Interesse weiter am Köcheln zu halten.

In diesem Kontext fällt auf, dass sich die von den Vereinigten Staaten geführte Koalition fast 15 Monate Zeit ließ, bis man überhaupt begann, Ölanlagen und Öltransporter des IS anzugreifen. Die russische Luftwaffe hat hingegen im Monat Oktober mehr als 500 Tanklaster des IS vernichtet. Die Luftangriffe der USA auf dessen Infrastruktur waren bisher so selten, dass US-Medien sogar Videoaufnahmen von russischen Attacken gegen Transportfahrzeuge in Syrien als US-amerikanische Angriffe ausgegeben haben. Offenbar schonte man bisher die Haupteinnahmequelle des IS. Nun ist man in Washington angesichts des russischen Eingreifens militärisch und kommunikationspolitisch im Zugzwang. Denn in der Öffentlichkeit – auch des Westens – verfestigt sich mittlerweile der Eindruck, dass in Syrien neben den von den USA unterstützten, aber von der Türkei bekämpften, syrischen Kurden nur Russland im Verbund mit der syrischen Armee konsequent gegen die Terroristen vorgeht.

Gemeinsames Vorgehen hintertreiben

Angesichts dieser nicht nur für Washington, sondern auch für die türkische Regierung unvorhersehbaren Entwicklung versucht letztere, Russlands Kampfeinsatz gegen Rebellengruppen im Grenzgebiet zu behindern. Zugleich waren der Abschuss des Jets und die prompte Anrufung der NATO-Gremien durch die Türkei offensichtlich dem Bemühen geschuldet, die sich anbahnende Allianz einiger NATO-Staaten mit Russland zu hintertreiben, weil damit die Position der Türkei in dem Konflikt geschwächt wird und die islamistischen Terrorformationen militärisch eher geschlagen sein könnten, als das ins außenpolitische Kalkül Ankaras passt.

Der russische Präsident Wladimir Putin monierte in diesem Zusammenhang, dass der Abschuss der Su-24 trotz des russischen Flugsicherheitsabkommens mit den Amerikanern erfolgt ist. Dabei habe der Jagdbomber Angriffe gegen Stellungen des IS in der syrischen Provinz Latakia geflogen. »Nun bekommen wir auch noch einen Stoß in den Rücken: Unsere Flugzeuge, die gegen den Terrorismus kämpfen, werden angegriffen.«

Die NATO mahnte derweil Ankara zur Besonnenheit und zur Deeskalation – man braucht Russland im Kampf gegen den IS und ist über die militärische Attacke der Türkei keineswegs erfreut. Auch rechtfertigen die Fakten den Abschuss kaum: Die Su-24 befand sich nach russischen und US-Angaben über syrischem Territorium im Landeanflug auf den Stützpunkt Latakia, als sie – vier Kilometer von der türkischen Grenze entfernt – von einer türkischen Luft-Luft-Rakete – offenbar ausgestattet mit Infrarotsensor – abgeschossen wurde. Zuvor soll die Maschine US-amerikanischen Angaben zufolge über einer kleinen Gebietsenklave kurzzeitig türkischen Luftraum verletzt haben. Nach Aussagen des russischen Außenministers Sergej Lawrow vom 25. November gibt es jedoch nachrichtendienstliche Informationen darüber, dass der Abschuss einer russischen Maschine als gezielte Provokation bereits am Vortag geplant worden war. Die Türkei habe auf eine Gelegenheit gewartet, um ein Exempel zu statuieren.

Dafür spricht auch die Schilderung des geretteten russischen Piloten: Demnach haben die türkischen Abfangjäger ohne jeden Versuch einer Kontaktaufnahme und ohne Vorwarnung ihre Raketen abgefeuert. Die Besatzung des russischen Jagdbombers habe die türkischen Maschinen auch visuell nicht wahrnehmen können. Die türkische Luftwaffe hatte hingegen erklärt, man habe binnen fünf Minuten zehnmal versucht, Kontakt zur russischen Maschine aufzunehmen, was erfolglos gewesen sei. Doch selbst wenn man von dieser Version ausgeht, stellt sich die Frage, warum sofort geschossen wurde und wieso die türkischen Jäger nicht den Versuch unternahmen, das russische Flugzeug aus dem türkischen Luftraum abzudrängen – jedenfalls wäre zu erwarten gewesen, dass gegenüber faktischen Alliierten so verfahren wird.

Der Abschuss war offenkundig als Warnung an Russland gedacht, sich aus einem Gebiet herauszuhalten, das die Türkei als ihre unmittelbare Einflusssphäre betrachtet und in dem man gerne eine Sonderzone einrichten möchte – angeblich um dort syrische Flüchtlinge unterbringen und schützen zu können, tatsächlich jedoch wohl eher, um einen Brückenkopf für militärische und nachrichtendienstliche Operationen auf syrischem Staatsgebiet zu schaffen. Damit ist zugleich die Frage von Interesse, ob die Türkei möglicherweise im Abschusssektor bereits in einer Art und Weise aktiv ist, die man verheimlichen möchte. In diesem Fall hätte man mit der Attacke auch einen unmittelbaren militärischen Zweck verfolgt.

Unter Zugzwang

Zwar hat der Kreml aus verschiedenen politischen und strategischen Gründen kein Interesse an einer Zuspitzung der Auseinandersetzung. Andererseits wird man in Moskau alles tun, um weitere Störungen der eigenen Militäroperation von außen zu verhindern. So wurde angewiesen, dass russische Bomber ab sofort durch Jagdmaschinen gesichert werden und dass der Raketenkreuzer »Moskwa« mit seinem Fliegerabwehrkomplex »Fort« näher an die syrische Küste im Raum Latakia verlegt wird. Der Raketenkreuzer soll alle Ziele vernichten, welche die russische Luftwaffe in Syrien potentiell gefährden könnten. Das erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau am Dienstag.

Außerdem wird in dem Gebiet das landgestützte Fla-Raketensystem S-400 stationiert. Damit riskieren türkische Kampfflugzeuge bei jeder noch so geringen Verletzung syrischen Luftraumes den unmittelbaren Abschuss. Die Türkei dürfte sich angesichts der zu erwartenden verstärkten militärischen Eigensicherung russischer Operationen vorzugsweise im Grenzgebiet mit dem Abschuss der Su-24 folglich keinen Gefallen getan haben. Denn nun wird Russlands Militärführung bestrebt sein, die diversen Rebellengruppen in dieser Gegend massiv anzugreifen und insbesondere Belege für die verdeckte Kumpanei der Türkei mit den Terrororganisationen zu finden. Dieses Vorgehen ergibt sich aus der inneren Logik des Konflikts: den Gegner zu zerschlagen, wo er militärisch präsent ist, und zugleich seine Nachschubwege und Rückzugsräume zu attackieren, um seine logistische Basis zu zerstören. Russland ist hier militärisch im Zugzwang: Es ist Kriegspartei und muss die Entscheidung für sich und den syrischen Verbündeten erzwingen, um günstige Ausgangsbedingungen für eine politische Lösung zu schaffen. Und Russland hat sich infolge der Anschläge von Paris politisch so weit exponiert, dass Inkonsequenzen beim Militäreinsatz vom Gegner und den potentiellen Verbündeten als Schwäche interpretiert würden.

Die Strategen des IS haben mit dem Terror in Paris – sicher ungewollt – bewirkt, dass nunmehr auch in westlichen Hauptstädten die Neigung zur entschlossenen Durchführung militärischer Maßnahmen gegen die islamistischen Gruppierungen als Voraussetzung für eine politische Lösung des Konfliktes in Syrien größer geworden ist. Auch der militärische Schulterschluss mit Russland ist angesichts der Ereignisse von Paris zumindest in Westeuropa kein Tabu mehr. Andererseits sollen die infolge des Ukraine-Konflikts verhängten Sanktionen aufrechterhalten werden.

Bei seinen Angriffen auf IS-Stellungen setzt Russland unter anderem strategische Fernbomber ein, darunter solche des Typs Tu-160 – das größte Kampfflugzeug der Welt. Die Einbeziehung dieser strategischen Bomber verdeutlicht einerseits die veränderte russische Planung, die auch massierte Luftschläge gegen den IS von russischem Territorium aus ermöglicht, zugleich sind diese Operationen offenbar auch als militärpolitisches Statement an die Adresse der Vereinigten Staaten und der NATO zu verstehen. Man will, dass der Westen diese Optionen der russischen Luftwaffe zur Kenntnis nimmt. Nach Angaben des Generalstabschefs der russischen Streitkräfte, Armeegeneral Waleri Gerassimow, war die von den USA geführte Koalition im voraus über den Einsatz russischer strategischer Bomber und luftgestützter Marschflugkörper gegen die Terroristen in Syrien informiert worden.

Außerdem wurde in der Woche nach den Anschlägen von Paris die Zahl der russischen Luftangriffe in Syrien verdoppelt. Im Rahmen der Verstärkung seines militärischen Engagements hat Russland 37 weitere Militärflugzeuge, darunter acht taktische Bombenflugzeuge Su-34 und vier Kampfjets Su-27SM dorthin verlegt. Für die militärische Aufklärung der IS-Objekte auf dem syrischen Territorium werden ab sofort zehn russische Satelliten genutzt, darunter auch zivile Forschungssatelliten. Dazu wird die Flugbahn einiger Foto- und Radarsatelliten neu ausgerichtet.

Raketen- und Bombenangriffe der russischen Luftwaffe gegen IS-Ziele haben die Offensive der syrischen Regierungsarmee in allen Richtungen aktiviert. Das berichtete Generalmajor Alexej Maksimzew, Befehlshaber der russischen Gruppierung taktischer Fliegerkräfte in Hmeimim bei Latakia am 20. November im Verlauf eines Rapports an seinen Präsidenten. Besonders erfolgreich seien die Offensiven im Raum von Aleppo und im Gebirgsteil des Gouvernements Latakia gewesen.

Angriffe verdoppelt

Vom 17. bis 20. November hat die russische Luftwaffe rund 820 Objekte des IS in Syrien angegriffen und vernichtet. So die Meldung des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu an seinen Oberbefehlshaber Putin. In dieser Zeit seien insgesamt 522 Raketen- und Bombenangriffe geflogen worden. Man habe 101 luftgestützte Marschflugkörper und Raketen von strategischen Bombern aus eingesetzt. Vor allem sei man bemüht, die finanzielle und ökonomische Basis des IS zu unterhöhlen. Bislang zerbombte die russische Luftwaffe 15 Öllager und Raffinerien sowie 525 Kesselwagen, berichtete der Minister.

Seit dem 30. September 2015, als der Einsatz der russischen Luftwaffe in Syrien begann, wurden fast 2.300 Einsätze geflogen und 4.100 Schläge gegen Objekte und Anlagen der Terroristen geführt. Dabei wurden 562 Führungs- und Kommandopunkte der IS-Milizen und der »Nusra-Front«, 64 Ausbildungslager und 54 Reparatureinrichtungen, Werkstätten und Fabriken zerstört. Durch die Angriffe sind auch drei hohe Kommandeure der IS-Miliz, Abu Nurebagasi, Muchamed ubn Xairata und Al-Okaba in Rakka ums Leben gekommen.

Fast so wichtig wie die militärischen Operationen Russlands, die eine Entlastung der syrischen Regierungstruppen brachten, ist die damit verbundene politische Botschaft: Die technischen Parameter der modernisierten russischen Waffensysteme sowie die kurzen Reaktionszeiten der Luftwaffe sorgten vor allem bei US-Strategen für Irritationen. Der US-Kongress richtete sogar einen Untersuchungsausschuss ein, der die amerikanischen Geheimdienste wegen nicht erfolgter Information oder Unwissenheit hinsichtlich der militärischen Kapazität Russlands überprüfen soll.

Politiker und Militärs in Russland und im Westen wissen allerdings, dass mit Bombardements allein der IS nicht zu vernichten ist. Ohne den Einsatz von Bodentruppen ist die Zerschlagung des Gegners nicht möglich. Die syrische Armee hat nach Meinung russischer Berater trotz moderner Ausrüstung nur einen recht begrenzten Kampfwert. Die Truppe ist nach vier Jahren Bürgerkrieg ausgelaugt und hat große Bestände an Technik verloren.

Zwar schließen derzeit alle westlichen Staaten und auch Russland den Einsatz größerer Kontingente der eigenen Bodentruppen in Syrien aus, doch einmal begonnene Militäroperationen entwickeln in der Regel im Laufe der Zeit eine Eigendynamik, die zu einer immer stärkeren Ausweitung des Engagements führen kann. Wenn sich herausstellt, dass weder die syrischen Streitkräfte noch die Kurdenmilizen oder die irakische Armee allein in der Lage sind, den Krieg siegreich zu beenden, werden die jeweiligen Schutzmächte ihre bisherige Zurückhaltung aufgeben.

Anfänge dieser Neujustierung sind erkennbar. Russland etwa dementiert zwar zur Zeit, dass russische Bodentruppen in Syrien im Einsatz sind oder dass dieser vorgesehen ist. Das britische Royal United Services Institut (RUSI) veröffentlichte allerdings angeblich verifizierte Angaben über jene russischen Truppen, die neben der russischen Luftwaffe bereits in Syrien sind. Russland widersprach dieser Darstellung bisher nicht. Demnach handelt es sich um folgende Einheiten: ein Bataillon der russischen Marineinfanterie der 810. Besonderen Brigade, das 162. Besondere Aufklärungsbataillon der 7. Luftsturmdivision, ein Aufklärungsbataillon der 74. Motorisierten Gardedivision, eine taktische Gruppe der 27. Garde-Mot.-Schützenbrigade, ein Bataillon der 3. Brigade der Spezialtruppen, ein Scharfschützenkommando der Einheit Senesch, sechs Haubitzen Masta-B der 8. Selbstständigen Artilleriebrigade mit 70 Mann, 18 Haubitzen Masta-B und vier Raketenwerfer vom Typ Smertsch sowie sechs Raketenwerfer vom Typ TOS-1A Solnzepek der 120. Artilleriebrigade mit 270 Mann, eine spezielle EloKa-Einheit des funkelektronischen Kampfes.

Nach Angaben der US-amerikanischen und britischen Nachrichtendienste haben die Russen in der syrischen Hafenstadt Latakia ein System des funkelektronischen Kampfes (EloKa) vom Typ Krasucha-4 stationiert, welches die Kommunikationskanäle der USA und der NATO lahmlegen kann. Alle elektronischen Aufklärungsmittel inklusive der Satellitenaufklärung können so in einem Radius von 300 Kilometern um Latakia vollkommen blockiert werden. In dieser »EloKa-Blase« läge dann auch der türkische NATO-Militärflugplatz Incirlik auf dem erst am 12. November 2015 fünf US-Militärflugzeuge F-15 für den Einsatz gegen die Terrormilizen des IS in Syrien eingetroffen sind. Der NATO-Oberbefehlshaber General Philip Breedlove sprach vermutlich von diesem System, als er schon am 28. September warnte, dass Russland an der syrischen Küste und im östlichen Mittelmeerraum solche funkelektronisch neutralisierten Zonen errichte. Breedlove erläuterte, dass Russland solche »Blasen« bereits im Baltikum, in der Enklave Kaliningrad und auf der Krim installiert habe.

Damit sind die Flugbewegungen der westlichen Allianz im syrischen Luftraum nur mit Zustimmung und unter Kontrolle Russlands möglich, was letztlich auf die insbesondere von der Türkei und der NATO immer wieder geforderte Flugverbotszone hinausläuft – allerdings nicht zu den Bedingungen des Westens.

Lösung in Moskau und Damaskus

Mittlerweile hat der russische Generalstabschef Gerassimow mit seinem französischen Kollegen Pierre de Villiers mehrere Telefonate geführt, wobei sie das gemeinsame Vorgehen in Syrien besprachen. Der französische Flugzeugträger »Charles de Gaulle«, der am 18. November aus dem Hafen von Toulon ausgelaufen war, ist mittlerweile vor der syrischen Küste eingetroffen. Seither besteht Kontakt zu den russischen Kräften an Land und im östlichen Mittelmeer. An Bord befinden sich 18 »Rafale«-Jagdbomber sowie acht Jagdbomber vom Typ »Super Étendard«, dazu zwei Radaraufklärer und einige Hubschrauber. Als Geleitschutz dienen ihn zwei französische Fregatten und ein Atom-U-Boot.

Nach Ansicht des russischen Militärexperten Viktor Murachowski ist die »Charles de Gaulle« allerdings kaum in der Lage, entscheidend zum Kampf gegen den IS beizutragen: »Die Kampfmöglichkeiten der mitgeführten Flugzeuge sind gegenüber dem, was Russland einsetzt, deutlich geringer. Außerdem hat der Flugzeugträger keine ausreichenden Treibstoff- und Munitionsvorräte für lange Kampfhandlungen. Falls die Franzosen den Einsatz fortführen wollen, müssen sie die Zahl der Luftangriffe begrenzen und wesentliche logistische Maßnahmen treffen.«

Ohnehin haben die russischen Streitkräfte längst Fakten geschaffen, was Frankreich im Operationsgebiet in die Rolle eines von Russland abhängigen Juniorpartners drängt. Und in Damaskus erinnert man sich gut daran, dass die französische Regierung in der Vergangenheit einer westlichen Militärintervention zum Sturz Assads das Wort redete. Eine mögliche Wende in diesem grausamen Krieg wird jedenfalls nicht von Frankreichs begrenzter Militärmacht abhängen.

Der syrische Präsident Baschar Al-Assad äußerte in einem Interview, das die syrische Agentur SANA veröffentlichte: »Vor dem Einsatz der russischen Luftwaffe vor zwei Monaten hatte die von den USA angeführte Koalition seit mehr als einem Jahr eine Kampagne gegen die Terroristen geführt. Im Ergebnis haben die Terroristen weitere Gebiete des Landes erobert und konnten noch mehr Leute in der ganzen Welt anwerben. Nach Russlands Einsatz haben diese Terrorgruppierungen den Rückzug angetreten, sie fliehen zu Tausenden aus Syrien in die Türkei und andere Länder, einige von ihnen fliehen nach Europa, die anderen nach Jemen und andere Orte. Das ist eine Tatsache«.

Am 20. November nahm der UN-Sicherheitsrat einstimmig die von Frankreich eingereichte Resolution 2249 zum Kampf gegen den Terrorismus an. Das Gremium ruft darin die Staaten auf, alle Maßnahmen zur rechtzeitigen Aufklärung und zur Verhinderung von terroristischen Aktionen zu unternehmen, die vom Islamischen Staat, der »Nusra-Front« und anderen Gruppierungen, die mit Al Qaida verbunden sind, begangen werden. Ungeachtet des in dem Dokument enthaltenen Aufrufs, die Zufluchtsorte dieser Organisationen auf dem Territorium Syriens und des Irak zu zerstören, fehlt allerdings der Bezug auf Artikel 7 der UN-Charta, der die Anwendung militärischer Gewalt zur Durchsetzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gestattet. Das bedeutet, dass die Resolution 2249 keine gesetzliche Grundlage zur Durchführung von militärischen Operationen anderer Staaten in Syrien ist. Somit kann derzeit nur Russland in Syrien mit völkerrechtlicher Legitimation militärisch operieren, weil der Einsatz seiner Streitkräfte auf Bitten der legitimen syrischen Regierung erfolgt. Die Operationen der von den USA geführten westlichen Allianz sind dagegen illegal. Der Schlüssel für die militärische und politische Lösung des Syrien-Konfliktes liegt damit auch völkerrechtlich in Damaskus und in Moskau.