Neues Deutschland, 30.11.2015

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»Flüchtlinge verkauft«: Linke kritisiert Deal mit Türkei

Riexinger spricht von »verheerendem Zeichen« / Warnungen auch von Pro Asyl und Grünen / Regime in Ankara soll für EU mehr Asylsuchende abhalten

Berlin. Die Zugeständnisse an das Regime in der Türkei, das als Gegenleistung für Milliardenzahlungen und neue Gespräche über eine EU-Mitgliedschaft bei der Abwehr von Geflüchteten helfen soll, sind in der Opposition auf scharfe Kritik gestoßen. Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, sagte mit BLick auf den autoritär agierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, »Flüchtlinge auf Kosten der Menschenrechte an Erdogan zu verkaufen wäre ein verheerendes Zeichen von der EU und der Bundesregierung. Stattdessen müssen sie endlich ihre eigene Verantwortung annehmen«, so Riexinger.

Schon zuvor hatte die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen erklärt, »EU und Bundesregierung ignorieren nicht nur die türkische Beihilfe zum IS-Terror, sie verleihen der Türkei noch höchste Weihen. Für einen Deal mit dem Despoten Erdogan« schaue man bei Verhaftungen kritischer Journalisten und Menschenrechtsverletzungen zu. Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping hatte nach der Ermordung des Vorsitzenden der Anwaltskammer von Diyarbakir, Tahir Elçi, erklärt, »unter diesen Bedingungen« dürfe am Sonntag nicht der geplante EU-Türkei-Gipfel stattfinden, forderte die Politikerin.

Vor dem Gipfel hatte auch die Hilfsorganisation Pro Asyl vor einem »schmutzigen Deal« mit der Türkei angesichts der deutlich verschlechterten Menschen- und Bürgerrechtslage in dem Land gewarnt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versicherte, der Gipfel werde nicht dazu führen, »dass wir die Differenzen, die mit der Türkei bei den Menschenrechten oder bei der Pressefreiheit bestehen, vergessen. Wir werden darauf zurückkommen.«

Auf dem Sondergipfel hatte die EU der Türkei am Sonntag weitreichende Zugeständnisse gemacht: neuer Schwung für die Beitrittsverhandlungen, Visa-Erleichterungen und drei Milliarden Euro. Die Türkei werde nun unter anderem für die EU einen verstärkten Grenz- und Küstenschutz sowie schärferes Vorgehen gegen Schleuser umsetzen. Europa erwarte durch die Kooperation »einen großen Schritt« bei dem Bemühen, »den Migrationszustrom einzudämmen, der über die Türkei in die EU kommt«, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Die Türkei gilt für die Europäer als Schlüsselland zur Bewältigung der Krise im Umgang mit den Geflüchteten. Als Nachbarstaat des Bürgerkriegslandes Syrien war sie zuletzt Hauptdurchgangsland für hunderttausende Menschen, die in die EU wollten.

Der Gipfel markiere »einen historischer Tag« in den seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU, sagte der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu in Brüssel. Die EU-Mitgliedschaft sei »ein strategisches Ziel« für Ankara. Erstmals seit zwei Jahren eröffnet die EU Mitte Dezember nun einen weiteren Themenbereich in den Beitrittsverhandlungen. Dabei geht es um Kapitel 17 zur Wirtschafts- und Währungspolitik.

Damit wären 15 der insgesamt 35 Beitrittsbereiche eröffnet. Zur Kenntnis nehmen beide Seiten laut Gipfelerklärung, dass die EU-Kommission im ersten Quartal 2016 die Vorarbeiten zur Eröffnung weiterer Kapitel abschließen will. Eine Vorentscheidung sei damit aber nicht getroffen, heißt es offenbar mit Blick auf Vorbehalte Zyperns wegen des Konflikts um den 1974 von türkischen Truppen besetzten Nordteil der Insel. Agenturen/nd