telepolis, 02.12.2015

http://www.heise.de/tp/artikel/46/46736/1.html

Was ist dran an den russischen Vorwürfen zum IS-Öl-Schmuggel via Türkei?

Ulrich Heyden 02.12.2015

Putin erklärt, der Abschuss der SU 24 sollte Öl-Schmuggel-Route schützen. Ein Sohn von Erdogan ist angeblich in illegale Öl-Geschäfte verwickelt

Starke Worte vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gestern am Rande des Klima-Gipfels in Paris: Er werde zurücktreten, wenn Beweise vorgelegt werden, dass die Türkei Öl von den Terroristen des IS kaufe, kündigte[1] er an.

Erdogan fühlt sich offenbar sicher. Falls Russland die von Putin am Montag angekündigten "neuen Beweise" für den Schmuggel von IS-Öl via Türkei vorlegt, könnte Ankara die Echtheit der vorgelegten Beweise immer noch anzweifeln. Ein Rücktritt des türkischen Präsidenten ist also unwahrscheinlich.
Bild: Kreml

Wladimir Putin hatte am Montag in Paris erklärt[2], diejenigen, die den Befehl zum Abschuss des russischen Kampfflugzeuges gaben, hätten die Schmuggelwege zu den Häfen in die Türkei sichern wollen, "wo die Tanker beladen werden". Der russische Präsident erklärte, man habe "zusätzliche Informationen" bekommen, dass Öl aus den vom IS "und anderen Terroristen" kontrollierten Gebieten in die Türkei geliefert wird. Dass die Türkei die im syrischen-türkischen Grenzgebiet lebenden Turkmenen schützen wolle, sei nur "ein Vorwand".

Der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, wollte sich am Dienstag nicht weiter zu den "neuen Beweisen" äußern, sondern erklärte nur, die Information darüber, dass die Türkei Öl vom IS kauft, brauche man nicht, um die Türkei zu überführen, sondern "um den Terrorismus zu bekämpfen".
Angebliche Tankwagen mit IS-Öl in Syrien. Bild: tvzvezda.ru

Russische Zeitung: Erdogan-Sohn handelt mit Schmuggel-Öl

Die russischen Medien berichten schon seit Monaten über den Öl-Schmuggel aus dem vom IS kontrollierten Gebiet in die Türkei, an vorderster Front das Moskauer Komsomolskaja Prawda. Das Blatt berichtete letzte Woche, dass der Sohn des türkischen Präsidenten, Bilal, selbst mit Öl aus dem IS-Territorium handelt. Und es gäbe auch ein Foto[3], welches Bilal mit IS-Führern zeigt.

Bilal Erdogan ist Geschäftsmann. Ihm gehört die Reederei BMZ Ltd. Das Unternehmen hat erst im September letzten Jahres zwei neue Tanker für insgesamt 36 Millionen Dollar gekauft[4]. Die Tanker fahren, um der türkischen Steuer zu entgehen, unter maltesischer Flagge.

Schmuggelrouten bedroht

Die Moskauer Wochenzeitung Argumenty i Fakty berichtete[5] im Oktober letzten Jahres , dass sich in dem vom IS kontrollierten Territorium zehn Ölquellen befinden. Die Terrororganisation habe durch den Verkauf von Öl am Tag zwei Millionen Dollar verdient. Bis zu den Luftschlägen der USA habe der IS am Ölverkauf im Jahr 800 Millionen Dollar verdient.

Wie aus einer von der Financial Times veröffentlichten Grafik[6] hervorgeht, laufen die meisten Schmuggelrouten aus Syrien in die Türkei über den westlichen Teil der syrisch-türkischen Grenze. Eben in dieser Region, nördlich von Latakia, wurde am Dienstag vor einer Woche das russische Kampfflugzeug abgeschossen.
Wer alles vom IS-Öl nach russischen Angaben profitiert. Bild: tvzvezda.ru

Das Schmuggelnetz scheint weit gespannt. Das israelische Internetportal Globes berichtete[7] am Montag, dass in den vom IS kontrollierten Gebieten täglich bis zu 40.000 Barrel Öl produziert werden. Kurdische und türkische Schmuggler würden das Öl aus den IS-Gebieten nach Israel verkaufen. Israel bekomme 75 Prozent seines Öl aus dem kurdischen Teil des Irak. Das Portal meint zu wissen, dass das Öl über die kurdische Stadt Zakhu (gelegen am Dreiländereck Irak, Syrien, Türkei) in die türkische Stadt Silop transportiert und für 15 bis 18 Dollar pro Barrel - die Hälfte des Weltmarktpreises - verkauft wird.

Der russische Präsident Putin hatte schon auf dem G 20-Gipfel in Antalia Bilder vom Öl-Schmuggel gezeigt. Die Bilder seien von russischen Piloten aus 5.000 Meter Höhe aufgenommen worden, erklärte der Kreml-Chef. Tanklaster würden eine "lebendige Pipeline" bis zum Horizont bilden. Der russische Armee-Sender Zvezda zeigte[8] am Dienstag ein Video dieser Kolonnen von Öl-Tankwagen, die zur syrisch-türkischen Grenze fahren.

Am Sonnabend hatte auch der irakische Politiker Mowaffak al-Rubaie auf seiner Facebook-Seite berichtet[9], dass die Türkei es den Terroristen des IS erlaube, Öl auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Der Politiker, der von 2004 bis 2009 Berater des irakischen Geheimdienstes war, berichtete außerdem, dass verwundete Kämpfer des IS in türkischen Krankenhäusern versorgt würden. Auch wusste Mowaffak zu berichten, dass monatlich hunderte Freiwillige die Grenze nach Syrien übertreten, um sich dem IS anzuschließen.

"Vier Fronten kann Russland sich nicht leisten"

Russland hat zwar jetzt einen Teil des türkischen Lebensmittelexports nach Russland mit Sanktionen belegt und den russischen Tourismus in die Türkei gestoppt. Das Verhältnis mit der Türkei völlig zerrütten, will Russland aber nicht.

Ein militärischer Konflikt mit der Türkei würde Russland überlasten, meint[10] der eurasisch orientierte russische Publizist Aleksandr Prochanow in der Iswestija. Für Russland drohten Gefahren an drei Fronten, Ukraine, Zentralasien und Syrien.

Die ukrainische Armee habe wieder begonnen auf die "Volksrepublik Donezk" zu schießen. Die Krim sei nach Sprengung der Hochspannungsleitungen ohne Strom. Aus Afghanistan drohten islamistische Extremisten nach Russland einzusickern. "Drei militärische Konflikte - das ist sehr viel für Russland." Deshalb "ist der vierte - der türkische Konflikt - ausgeschlossen." Umso intensiver würden die russischen Diplomaten nach Verbündeten "für den Kampf an diesen Abschnitten der globalen Welt" suchen.

Tatsächlich gibt es auch Zeichen der Entspannung: Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, teilte[11] am Dienstag mit, dass die russischen Militärs die Kontakte mit den türkischen Militärs wieder aufgenommen hätten. Unmittelbar nach dem Abschuss des russischen Kampfflugzeuges S 24, am Dienstag vor einer Woche, hatte Russland die Kontakte zu türkischen Militärs abgebrochen.

Bemerkenswert: Das Verhältnis zwischen Russland und Israel ist entspannt. Am Montag trafen sich Wladimir Putin und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Paris und vereinbarten, die Zusammenarbeit russischer und israelischer Militärs zu erweitern. "Wir haben vereinbart, die Koordination zwischen uns für die Warnungen vor Fehlern auszubauen", erklärte[12] Netanjahu, laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax.

Anhang

Links
[1]

http://www.hurriyetdailynews.com/erdogan-says-would-resign-if-putin-isil-oil-trade-claims-proven.aspx?PageID=238&NID=91910&NewsCatID=352
[2]

http://en.kremlin.ru/events/president/news/50850
[3]

https://twitter.com/dilxazsofi/status/513283816434450432
[4]

http://www.todayszaman.com/anasayfa_bilal-erdogans-firm-purchases-two-new-tankers-at-cost-of-36-million_399209.html
[5]

http://www.aif.ru/money/economy/1372353
[6]

http://ig.ft.com/sites/2015/isis-oil/
[7]

http://www.globes.co.il/en/article-israel-buys-most-oil-smuggled-from-isis-territory-report-1001084873
[8]

http://tvzvezda.ru/news/vstrane_i_mire/content/201512011821-838f.htm
[9]

http://lenta.ru/news/2015/11/28/twenty/
[10]

http://izvestia.ru/news/597648
[11]

https://news.mail.ru/politics/24139044/
[12]

http://tass.ru/mezhdunarodnaya-panorama/2486498