welt.de, 01.12.2015 http://www.welt.de/politik/deutschland/article149514589/Nur-von-Krieg-wollen-sie-nicht-reden.html Syrien-Einsatz Nur von Krieg wollen sie nicht reden Um deutsche Soldaten nach Syrien schicken zu können, hat die Bundesregierung ihre Auslegung des Völkerrechts geändert. So stillschweigend, dass es offenbar nicht jeder Minister mitbekommen hat. Von Thorsten Jungholt Deutschland beteiligt sich am Einsatz in Syrien. Laut Verteidigungsministerin von der Leyen geht es nicht gegen einen Staat, sondern gegen eine „Terrorbande“ Foto: Getty Images, DPA Deutschland beteiligt sich am Einsatz in Syrien. Laut Verteidigungsministerin von der Leyen geht es nicht gegen einen Staat, sondern gegen eine "Terrorbande" Das Ziel des Einsatzes der Bundeswehr in Syrien ist eindeutig definiert. Es lautet: Krieg gegen den Terror. So hat es die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz verkündet. Anschließend stellte sie allerdings noch klar, "dass Krieg im völkerrechtlichen Sinne natürlich eine Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten ist". Die Bundesregierung aber hält den Islamischen Staat (IS) gerade nicht für einen Staat. Deshalb, so Wirtz, wolle sie das Wort Krieg im "umgangssprachlichen Sinne verstanden wissen". Das Ziel des Einsatzes ist folglich umgangssprachlich der Krieg gegen den Terror. So sieht das auch die Verteidigungsministerin. "Wir würden ja dem IS eher einen Gefallen tun, wenn wir in diese Rhetorik verfallen würden", sagte Ursula von der Leyen (CDU). "Er ist kein Staat, sondern eine Terrorbande, menschenverachtend, sehr ernst zu nehmen, sehr schwer zu bekämpfen, aber er ist kein anderer Staat." Dass Frankreichs Präsident François Hollande dennoch von einem Krieg gegen den IS (Link: http://www.welt.de/themen/islamischer-staat/) spricht, so glaubt die Ministerin, habe etwas mit Emotionalität nach den Pariser Anschlägen (Link: http://www.welt.de/themen/terroranschlaege-paris/) zu tun, "aus der heraus er dieses Wort gebraucht hat". Wenn sich von der Leyen da mal nicht irrt. Wahrscheinlicher ist nämlich, dass Hollande seine Worte sehr bedacht gewählt hat. Denn sowohl das Völker- als auch das Europarecht setzen für die militärischen Maßnahmen, mit denen Frankreich auf die Anschläge reagiert hat, einen bewaffneten Angriff von außen auf das Hoheitsgebiet eines Staates voraus. Aus einem solchen kriegerischen Akt folgt das naturgegebene Recht zur Selbstverteidigung, so steht es in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen (Link: http://www.welt.de/themen/uno/) . Und gemäß Artikel 42 Absatz 7 der EU-Verträge schulden die Mitgliedsstaaten einem angegriffenen Land "alle in ihrer Macht stehende Unterstützung". Genau diese Unterstützung hat Hollande eingefordert, auch von Deutschland. Wenn von der Leyen aber recht hat und der IS kein "anderer Staat", sondern eine Terrorbande ist – ja dann hätte Frankreich sich nicht auf Artikel 42, sondern auf Artikel 222 des EU-Vertrags berufen müssen. Der sieht nämlich für den Fall eines terroristischen Anschlags in einem Mitgliedsstaat die Mobilisierung aller zur Verfügung stehenden Mittel vor, um diesen Staat "innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen". Das hätte auch insofern eine gewisse Logik, als die bislang identifizierten Täter der Pariser Anschläge französische oder belgische Staatsbürger waren. Demzufolge hätte die Bundesregierung nicht ihre Soldaten nach Syrien, sondern Polizisten nach Frankreich schicken müssen. Tatsächlich hat sich die deutsche Administration aber die Sichtweise Frankreichs zu eigen gemacht. Im Mandatstext für den Bundeswehreinsatz (Link: http://www.welt.de/149475833) beruft man sich ausdrücklich auf Artikel 51 UN-Charta und Artikel 42 EU-Vertrag. Mangels einer Resolution des UN-Sicherheitsrates, die eine militärische Intervention erlaubt, werden außerdem andere Resolutionen zitiert, die allgemein zum Kampf gegen den IS aufrufen. Paris war nicht so bedeutsam wie "9/11" Der im Verteidigungs- und Außenministerium verfasste Mandatstext übernimmt damit eine völkerrechtliche Denkschule, die terroristische Angriffe denen anderer Staaten gleichstellt. Dafür müssen indes verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Der Angriff muss zunächst in Umfang und Ausmaß mit zwischenstaatlichen Militäroperationen vergleichbar sein. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags stellt zwar fest, dass die Pariser Attentate nicht die Dimension von "9/11" in New York (Link: http://www.welt.de/themen/terroranschlaege-vom-11-september-2001/) erreichen, aber als "sorgsam koordinierte Anschlagsserie" in ihrer "Kumulierung die Erheblichkeitsschwelle" überschreiten. Schließlich sei es nur ein glücklicher Zufall gewesen, dass die Attentäter nicht ins Stade de France gelangten und dort nicht "Tausende von Menschen" töteten. Dann muss ein Terroranschlag einem anderen Staat zurechenbar sein. Das ist in Syrien (Link: http://www.welt.de/themen/syrien-konflikt/) nicht der Fall. Anders als die Taliban, die in Afghanistan 2001 das Terrornetzwerk al-Qaida unterstützten, wird der IS in Syrien vom Assad-Regime bekämpft. Allerdings gibt es einen – in der Völkerrechtslehre äußerst umstrittenen – Ansatz, der es für ausreichend hält, wenn Terroristen in einem Land eine Operationsbasis haben, die Staatsmacht – also Assad – aber nicht willens oder in der Lage ist, sie wirksam zu bekämpfen. Diese Rechtsmeinung wird von den USA vertreten, von Großbritannien, Frankreich – und nun offenbar auch von Deutschland. Das ist insofern bemerkenswert, weil die Regierung bislang der restriktivsten aller Rechtsmeinungen folgte, dass nämlich ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates zu militärischen Interventionen gar nichts gehe. Bereits mit dem Einsatz zur Ausbildung und Ausrüstung der kurdischen Peschmerga im Nordirak wich man davon ab – dort allerdings mit dem zusätzlichen Argument einer Hilfsbitte der irakischen Regierung. Am Ende werden wohl wieder die Richter entscheiden Eine solche Bitte gibt es in Syrien nicht. Bis zum jüngsten Besuch der Kanzlerin bei Präsident Hollande hatte Angela Merkel (Link: http://www.welt.de/themen/angela-merkel/) eine Beteiligung der Bundeswehr am syrischen Abenteuer folglich ausgeschlossen. Man setzte auf den in Wien begonnenen diplomatischen Prozess und hoffte, dass an dessen Ende ein UN-Mandat stehen würde. Auf dieser Grundlage erst sei man bereit, hieß es, über eine Bundeswehrmission nachzudenken. Festzustellen ist mithin: Deutschland hat seine bisherige völkerrechtliche Praxis offensichtlich über Bord geworfen, und zwar ohne große öffentliche Debatte oder Erklärungen, sondern stillschweigend im Rahmen von juristischen Argumentationen in Mandatstexten. Der Sinneswandel vollzog sich offenbar so heimlich, dass er selbst der Vize-Regierungssprecherin und der Verteidigungsministerin entgangen ist. Denn wer Terroristen völkerrechtlich wie angreifende Staaten behandelt, der kann glaubwürdig kaum das Wort vom "Krieg gegen den Terror" zurückweisen. Offen freilich ist, ob all das mit dem Grundgesetz (Link: http://www.welt.de/themen/grundgesetz/) vereinbar ist. Ist ein derart weit ausgelegtes Selbstverteidigungsrecht noch unter den Begriff der "Verteidigung" des Artikels 87a zu fassen? Ist die von Frankreich in Europa geschmiedete Allianz noch ein Bündnis kollektiver Sicherheit nach Artikel 24? Die Vorschriften sind im Kern
auf dem Stand der Mitte des vorigen Jahrhunderts, sie beantworten diese
Fragen nicht. Die Meinungen der Staatsrechtler gehen weit auseinander.
An eine Reform der Wehrverfassung, die das Grundgesetz auf den Stand der
Zeit bringt, hat sich noch keine Regierung getraut. Und so werden am Ende
Richter über die Rechtmäßigkeit der Syrienmission urteilen müssen. Sie
sitzen in Karlsruhe, am Bundesverfassungsgericht.
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