telepolis, 04.12.2015

http://www.heise.de/tp/artikel/46/46760/1.html

Die Türkei und das IS-Öl

Florian Rötzer

Während die Türkei die Flüchtlinge aus Syrien aussperrt, ziert man sich, den Grenzabschnitt zum IS-kontrollierten Teil Syriens zu schließen - die EU schaut weg, die USA üben nach den russischen Vorwürfen Druck aus

Nach dem Abschuss der russischen Su-24 durch türkische Abfangjäger übt Moskau einen harten Druck auf den einstigen Partner aus und legt auch entschieden einen Finger in die offene Wunde einer irgendwie gearteten Verbindung oder Duldung des IS (Putin: Ankara wird nicht mit "irgendwelchen Tomaten" davonkommen). Moskau hat versucht, mit Satellitenaufnahmen den regen Ölhandel zwischen Syrien und der Türkei zu belegen, von dem in erster Linie der IS profitieren soll (Illegaler Ölverkauf um die Hälfte gesunken). Auch von anderer Seite war immer wieder darauf hingewiesen worden, dass die Türkei den Grenzübertritt von IS-Kämpfern und neuen Kampfwilligen ebenso zu tolerieren scheint wie den Handel.

Der türkische Präsident Erdogan streitet ab, dass der Staat oder seine Familie im Ölhandel verwickelt sei, und wirft nun seinerseits Russland vor, in den Ölhandel mit dem IS verwickelt zu sein. Erdogan verwies auf den Syrer George Haswani mit russischem Pass, der Öl vom IS kaufe und es weiter an das syrische Regime und andere Interessenten verkauft habe. Auch der russische Ex-Politiker und Präsident des Weltschachbundes FIDE Kirsan Iljumschinow soll in den Ölhandel verwickelt sein. Erst letzte Woche hatte das US-Finanzministerium neben anderen Sanktionen gegen die beiden Männer und ihre Firmen wegen der Unterstützung des Assad-Regimes und Öl-Einkäufen beim IS für das Assad-Regimes erlassen, die EU hatte Haswani bereits im März 2012 auf die Sanktionsliste gesetzt. Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoğlu warf Moskau das Anwerfen einer "sowjetischen Propagandamaschine" vor.

Nach der russischen Regierung gibt es drei Öl-Schmuggelrouten, eine westliche, die zu den türkischen Mittelmeerhäfen, eine nördliche zu der türkischen Ölraffinerie Batman und eine östliche zu der Öl-Lagerstätte bei der Stadt Dschirse.

Dass das Assad-Regime Öl vom IS kauft, wird schon länger behauptet. Moskau dürfte das auch wissen. Um so verwunderlich ist, dass die russische Regierung deswegen nun so scharf die Türkei angreift und die Beweise auch dem UN-Sicherheitsrat vorlegen will, weil sie hätten wissen müssen, dass dies auf sie zurückfällt. Aber man kann davon ausgehen, dass weder der russische Staat noch der türkische Staat direkt am Ölhandel mit dem IS beteiligt sind, sondern dass die schmutzigen Geschäfte von Geschäftsleuten und ihren Netzwerken gemacht werden, die geduldet werden, wahrscheinlich sind auf allen Seiten korrupte Teile der Sicherheitskräfte verwickelt.

Die EU äußert sich nicht dazu, will sie doch den neuen Partner in der Flüchtlingspolitik nicht düpieren, vielmehr werden neben Geld und anderen Angeboten auch noch mehr Soldaten an die Südgrenze der Nato geschickt, um den IS zu bekämpfen, aber auch um gegenüber Russland hier ebenso wie im Osten Stärke zu zeigen. Die Türkei scheint bislang auf den Deal mit der EU einzugehen, hat bereits einigen Flüchtlingen die Fahrt auf die griechischen Inseln verwehrt und scheint nun die Grenze bei Antiocha (Antakya) in der am Mittelmeer entlang weit nach Syrien reichenden Provinz Hatai zumindest für Flüchtlinge abzudichten, wohl aber nicht, um dort die von der Türkei und der CIA unterstützten Oppositionsgruppen nicht von der Versorgung abzuschneiden.

Die Flüchtlinge und das Öl des Islamischen Staats

Nach Medienberichten können Flüchtlinge nur noch über Wege durch das turkmenische Gebirge nach langen Märschen bei Khirbat al-Joz in der Nähe von Jisr al-Shughur in die Türkei gelangen. An der Grenze sollen sich Tausende von Syrern aufhalten, aber in drei Tagen sollen gerade einmal 120 Syrer die Flucht in die Türkei geglückt sein. Die türkischen Grenzposten nehmen viele fest und schicken sie wieder zurück. Das berichtet auch Human Rights Watch. Die Flüchtlinge seien nun auf Schmuggler angewiesen, nachdem die Türkei die beiden letzten, bislang für Flüchtlinge offenen Grenzübergänge Bab Al-Salameh und Bab Al-Hawa nach dem Abkommen mit der EU geschlossen hat.

Während die Türkei offenbar die Grenzabschnitte zu den von den syrischen Kurden beherrschten Gebieten relativ gut kontrolliert und es immer Klagen gab, dass auch Helfer und Material für den Wiederaufbau von Kobane nicht über die Grenze gelassen wurden, ist es ein offenes Geheimnis, dass die 90 km Grenze zwischen der Türkei und dem vom IS in Syrien kontrollierten Gebiet, zwischen Jarabulus und Kilis, "porös" ist und hier neue IS-Kämpfer ebenso wie Waffen und anderes Material nach Syrien gelangt, während hier auch IS-Kämpfer in die Türkei kommen können, dort womöglich Verletzte behandelt werden, neue Kämpfer rekrutiert oder IS-Kämpfer nach Europa geschleust werden.

Während die EU auffällig schweigt, hat immerhin US-Präsident Obama das Thema gegenüber Erdogan angesprochen. Am Dienstag sagte er nach einem Gespräch in Paris mit Erdogan, er habe das Thema schon mehrmals angesprochen. Es gebe zwar Fortschritte, aber noch immer Lücken. Obama äußerte auch die Vorwürfe, die Russland erhebt: "Es gibt einen 98 Kilometer langen Grenzabschnitt, der als Übergang für ausländische Kämpfer und für den Verkauf von Öl genutzt wird, was den Terroristen hilft, ihre Aktivitäten zu finanzieren." Das türkische und das US-Militär müssen kooperieren, um die Grenze durch "eine Kombination der Luftwaffe und türkischer Bodentruppen auf der türkischen Seite besser abzuschotten".

Die türkische Regierung windet sich

Nach den Anschlägen in Paris und der Tatsache, dass die IS-Attentäter die Grenze zwischen Syrien und der Türkei leicht passieren konnten, wird der Druck aus den USA stärker. Die türkische Regierung windet sich allerdings, obwohl man gezeigt hat, dass man die Grenze zu den Gebieten der syrischen Kurden, beispielsweise bei Tal Abyad, durchaus schließen kann. Die Grenze war in Tal Abyad so lange offen, bis die YPG den IS von dort vertreiben konnte. Regierungschef Davutoglu erklärte nach der Aufforderung von Obama, der wiederum nicht auf die russischen Vorwürfe einging, dass man ja teilweise "physische Barrieren" gebaut und andere Maßnahmen ergriffen habe.

Die ganze Grenze zu schließen sei ein möglichen Projekt, sagte der Regierungschef und verknüpfte damit süffisant die Flüchtlingsthematik: Wir haben eine moralische Verantwortung an der 911 km langen Grenze, und die besteht in der Aufnahme von Flüchtlingen. Wir haben eine strategische Verantwortung , und die besteht in der Sicherung der Grenze." Es sei das Interesse der Türkei, keine Terroristen passieren zu lassen. Aber es sei schwierig eine Grenze zu sichern, wenn es auf der anderen Seite keinen funktionierenden Staat gebe.

Die Rede ist davon, dass türkische Regierungsangehörige gesagt hätten, es müssten 30.000 Soldaten eingesetzt werden, um die Grenze zu schließen: "Alle drei Meter ist ein Wachtturm/Soldat notwendig." Das scheint ein wenig übertrieben zu sein. Der Zeitung Hurriyet erzählten Regierungsangehörige, die verstärkte Grenzüberwachung habe noch nicht viel genützt, für einen hundertprozentigen Schutz müsse ein kombiniertes System installiert werden, das die Türkei kaum zahlen könne. Und weil die türkisch-syrische Grenze auch die Nato-Grenze ist, müssten halt auch die EU und die USA dafür zahlen: "Lasst uns die Kosten teilen, dann können wir es schnell einrichten."

Russische und amerikanische Spiele

Das klingt nicht nach dem, was US-Präsident Kerry nach dem Treffen der Nato-Außenminister am Mittwoch berichtete: "Präsident Erdogan ist absolut engagiert und bereit, mit türkischen Streitkräften und in Kooperation mit anderen zu garantieren, dass der verbleibenden Teil der Grenze abgesperrt wird." Aber auch hier ist klar, dass Erdogan noch mehr Nato-Streitkräfte in der Türkei sehen will, als die Nato, inklusive Deutschland und jetzt auch Großbritannien, bereits in einer Strategie zur Verfügung zu stellen, die gleichermaßen gegen den IS und gegen Russland orientiert ist. Die Glaubwürdigkeit des Kampfes gegen den IS wird aber mit einem Partner, der vor allem die PKK bekämpft und die Grenze zum IS offen lässt, damit auch den Ölhandel duldet, nicht gerade gestärkt.

Der Sprecher des US-Außenministeriums wies am Mittwoch jede Anschuldigung zurück, dass die türkische Regierung irgendwie am Ölhandel beteiligt sei, wollte aber nicht auf die russischen Informationen eingehen, die zeigen, dass offenbar viele Öltanker die Grenze unkontrolliert passieren. Es gebe aber einen illegalen Ölhandel, die USA würde vor Angriffen auf Tanklastwagen Flugblätter zur Warnung abwerfen, weil es sich um zivile Fahrer handelt. Der IS verkaufe zwar das Öl, sei aber am Transport nicht weiter beteiligt, versicherte er. Auffällig ist, wie sehr er bemüht ist, die türkische Regierung weißzuwaschen, obgleich er einräumen muss, dass es ein massives Schmuggelproblem gibt und hier auch Mitarbeiter des türkischen Staats beteiligt sein können.

Russland hatte etwas scheinheilig gefordert, dass zum Schutz der Grenze doch auch die syrischen Kurden herangezogen werden könnten, mit denen die USA und Russland kooperieren. Eine poröse Grenze kennt Russland auch mit dem Donbass, wo es nicht willens ist, diese zu schließen. Insofern dürfte Moskau die türkische Strategie vertraut sein, das Thema zu umschiffen. Erstmals hatte sich der russische Außenminister Lawrow mit seinem türkischen Kollegen nach dem Abschuss in Belgrad getroffen. Herausgekommen sei dabei nichts, Lawrow aber betonte, die Abdichtung der Grenze sei wichtiger als herauszufinden, wer die Abnehmer des IS-Öls sind.