Main Spitze, 03.12.2015

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Rüsselsheim: Opel-Mitarbeiter von Hilfseinsatz in Kobanê zurück

Von Michael Wien

RÜSSELSHEIM - Verena Vöhringer und Paul Fröhlich, zwei gewerkschaftlich aktive, ursprünglich aus Bochum nach Rüsselsheim gekommene Opel-Mitarbeiter, sind wohlbehalten aus dem nordsyrischen Kobanê zurück. Wie ihr Kollege Milan Sommer (ebenfalls Opeler) und Vöhringers Bruder Jan haben sie sich der Organisation ICOR angeschlossen. Nach und nach halfen 170 Frauen und Männer aus zehn Ländern Einheimischen bei vierwöchigen Arbeitsaufenthalten, ein Gesundheits- und Sozialzentrum wieder aufzubauen. Die siebte und vorerst letzte dieser "Solidaritätsbrigaden" steht seit drei Wochen im Irak zur Ablösung bereit und wird von irakischen Behörden blockiert, berichtet Fröhlich. Noch eine Woche, dann müssen diese Nachfolger unverrichteter Dinge heimkehren. Mehr unbezahlten Urlaub bekamen ja auch die Rüsselsheimer Opeler, die unter anderem Abwasserrohre verlegten, erst einmal nicht vom Arbeitgeber.

Einreise als Touristen

Am 15. September 2014 hatten Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) den kurdischen Kanton Kobanê in der seit Ende 2013 selbstverwalteten Region Rojava angegriffen. Die Stadt Kobanê (ehemals 55 000 Einwohner) wurde zu 80 Prozent zerstört, Bilder der Schlacht gingen um die Welt. Eingereist sind Vöhringer und Fröhlich über den Irak als Touristen. Über die Türkei sei das nicht möglich, die türkische Regierung habe ihre Grenze abgeriegelt, bis auf einen Streifen, über den sich der IS ungehindert mit frischen Kämpfern und Material versorgt. Die Versorgung der Kurden funktioniere nicht reibungslos, die türkische Regierung versuche alles, sie zu unterbinden, berichten die Beiden. Und erzählen von einem erfolgreichen Zementlieferboykott durch die Türkei. Er habe Steinfabriken, öffentliche und private Wiederaufbauarbeiten lange lahmgelegt.

Vöhringer wie Fröhlich hatten im November 2014 an der großen Kobanê-Solidaritätsdemonstration in Düsseldorf teilgenommen. Dann entschlossen sie sich, den Widerstand der Kurden gegen den IS nicht nur mit Spenden zu unterstützen, sondern hinzufahren und beim Wiederaufbau zu helfen. Dass zur gleichen Zeit Andere eine ähnliche Route nehmen, um für den IS zu morden, ist ihnen unbegreiflich. Die Opeler büßen ein Monatsgehalt ein. Reisekosten ermäßigten sich durch Spenden von Kollegen. "Auch Leiharbeiter haben 30, ja 50 Euro gegeben", berichtet Fröhlich und zeigt sich auch angerührt von der Herzlichkeit des Empfanges bei der Rückkehr. Ausgiebig wurden sie zu Erlebnissen und Eindrücken befragt. "Die Kollegen sind stolz darauf, dass welche von ihnen mit ihrer Unterstützung versuchen konnten, zu helfen."

Verena Vöhringer sagt über die Motivation, dass sie den Kobani helfen wollten, in ihrer Heimat, ehemals Kornkammer Syriens, zu bleiben. Beide zeigten sich beeindruckt vom Überlebenswillen der Menschen. Dabei hätten alle Todesopfer in der Familie zu beklagen. Männer, die nicht als Kämpfer gegen den IS auf unbestimmte Zeit fort sind, schieben nach getaner Tagesarbeit am Wiederaufbau der Infrastruktur Wache an einer der Sperren. Ein Massaker wie im Juni, als IS-Schergen eindrangen und 200 Menschen töteten, soll sich nicht wiederholen. Über den Irak sei es Kurden gelungen, Panzer und auch Bagger einzuschleusen. "Es herrscht Krieg, aber die Kämpfe finden in einiger Entfernung statt", beschreibt Vöhringer die Lage. Fröhlich berichtet, Beschützerinnen und Beschützer nutzten ihre Bewaffnung nicht für Wichtigtuereien, agierten ernsthaft, besonnen, freundlich. Beide Opeler zollen den Menschen dort hohen Respekt. Beim Arbeiten und bei Familienfeiern mit Einheimischen, unter ihnen viele mit Kriegsverletzungen, hätten sie viel Dankbarkeit für die praktische Solidarität der Helfer aus zehn Ländern erfahren. Dabei hätten doch auch sie aus diesem Aufenthalt viel für ihr Leben geschenkt bekommen, viel Herzlichkeit, auch das Bewusstsein, Probleme im Alltag hier anders einzuordnen.

UNTERSTÜTZUNG
Verena Vöhringer, Paul Fröhlich und Milan Sommer haben bei der Opel-Belegschaft bereits viele Unterschriften für eine Petition an die Bundesregierung und Andere bekommen, sich für die Schaffung eines "humanitären Korridores" zwischen der Türkei und Syrien einzusetzen, um einen ungehinderten Zufluss von Lebensmitteln, Energie und Zement nach Kobanê zu gewährleisten.