handelsblatt.com, 05.12.2015

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Russland versus Türkei

Ist Erdogans Sohn der Ölminister des IS?

Ozan Demircan

Ein Sohn des türkischen Präsidenten soll mit Öl und anderen Gegenständen handeln, die der IS erbeutet. Die Vorwürfe wiegen schwer. Manches wirkt üIst Erdogans Sohn der Ölminister des IS?bertrieben – und manches ergibt verdächtig viel Sinn.
Russland wirft dem Sohn des türkischen Präsidenten vor, mit dem IS zu handeln. Quelle: AFP
Bilal Erdogan

Die Fakten sehen so aus: Ende November schoss das türkische Militär einen russischen Kampfjet ab, weil dieser angeblich für kurze Zeit in türkischen Luftraum eingedrungen war. Doch warum die Türkei derart drastisch darauf reagierte, ist seitdem Gegenstand erheblicher Spekulationen.

Am Freitag sagte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, die Türkei habe mit dem Abschuss turkmenische Siedler in Nordsyrien schützen wollen. Die Turkmenen sollen der türkischen Lesart nach zuvor von demselben Kampfjet angegriffen worden sein. Russlands Präsident Wladimir Putin sieht das anders: Seiner Meinung nach habe die Türkei mit dem Abschuss ihre Geschäfte mit der Terrormiliz IS schützen wollen – vor allem die seines dritten Sohnes Necmettin Bilal Erdogan. Demnach soll er sein Geschäft gefährdet sehen, weil Putins Bomber konsequent Öllaster des IS zerstöre.
Das steht alles auf Russlands Sanktionsliste gegen die Türkei

Gefroren

Hausgeflügel und gefrorene Pute, außerdem Teile und Nebenschlachterzeugnisse.
Frisch

Nelken, Weintrauben, Äpfel, Birnen, Aprikosen, Pfirsiche, einschließlich Nektarinen, Pflaumen und Schlehen, Erdbeeren.
Frisch oder gekühlt

Tomaten, Speisezwiebeln und Schalotten, Blumenkohl und Brokkoli, Gurken und Cornichons.
Frisch oder getrocknet

Apfelsinen, Mandarinen (einschließlich Tangerinen und Satsumas); Klementinen, Wilkings und ähnliche Kreuzungen von Zitrusfrüchten.
Und auch das noch...

Salz (einschließlich präpariertes Speisesalz und denaturiertes Salz) und reines Natriumchlorid, auch in wässriger Lösung oder mit Zusatz von Rieselhilfen.

Es ist eine von vielen Theorien für den Abschuss. Trotzdem gibt es einige Hinweise, die nahelegen, dass diese nicht aus der Luft gegriffen ist. Der 34-jährige Bilal hat auf dem Papier einen makellosen Lebenslauf vorzuweisen. Seit 2003 ist er verheiratet, hat inzwischen zwei Söhne. An der renommierten US-Universität Harvard machte er 2004 seinen Master-Abschluss, arbeitete danach einige Zeit als Praktikant bei der Weltbank. Er sitzt im Vorstand einer Stiftung, die Studentenwohnheime baut und betreibt.

Im Jahr 2006, als sein Vater längst Ministerpräsident war, kehrte Bilal Erdogan aus den USA zurück – Medienberichten zufolge, um sich eine Flotte Öltanker zu kaufen. Zu welchem Zweck, ist nicht wirklich bekannt. Klar ist hingegen, dass er einer von drei gleichberechtigten Eigentümern der Transportfirma BMZ Group ist.
Die EU braucht den türkischen Staatspräsidenten, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Quelle: ap

Türkei, Russland und Syrien
Störfall Erdogan

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Im Jahr 2013 wurde Bilal Erdogan von der Staatsanwaltschaft verdächtigt, Bestechungsgelder seines Vaters zu waschen. Grundlage war ein Dossier, das Fotos und Telefonmitschnitte zwischen Bilal und seinem Vater beinhaltete. Der damalige Premierminister befiehlt demnach seinem Sohn, „das ganze Geld im Haus“ verschwinden zu lassen. Viele bezeichneten den Mitschnitt als authentisch. Andere wiederum kritisierten, das Gespräch wirke künstlich und technisch nicht einwandfrei belegbar.

Es gibt allerdings weitere Ungereimtheiten. Bilals Stiftung muss offenbar selten für Grundstücke bezahlen, auf denen sie neue Studentenheime bauen will. So schenkte der ebenfalls wegen Bestechung verdächtigte Geschäftsmann Ali Agaoglu der Stiftung ein 20.000 Quadratmeter großes Grundstück. Viele vermuten, er habe dafür Regierungsaufträge erhalten und sei seinerseits leichter an Baugenehmigungen gekommen.

Anfang 2014 tauchte plötzlich ein zweiter Telefonmitschnitt auf. Darin geht es um eine angebliche Zahlung in Höhe von zehn Millionen US-Dollar. Von wem das Geld komme, wird nicht thematisiert. Medien spekulierten, es handele sich um Bestechungsgeld für eine Öl-Pipeline. Vater Recep Tayyip Erdogan sprach anschließend von einer „unmoralischen Montage“, kündigte eine Untersuchung an und Rache für die „schmutzige Fälschung“. Trotzdem blieben viele Fragen offen.

Auch bei den aktuellen Vorwürfen Russlands an die Familie Erdogan sagt der Staatspräsident, seine Familie in den Abschuss des Kampfjets mit einzubeziehen sei „eine nicht sehr moralische Seite dieser Angelegenheit“. Russland lässt nach dem Abschuss, in dessen Folge ein russischer Pilot ums Leben gekommen war, nichts unversucht, die Regierung in Ankara in ein schlechtes Licht zu rücken.
Kampf gegen IS – darüber entscheidet die Politik

Aufgaben

Aufklärung (mit „Tornado“-Flugzeugen und Satelliten), Luftbetankung der Kampfjets anderer Staaten (mit einem Tankflugzeug), Schutz eines französischen Flugzeugträgers (mit einer Fregatte) und Entsendung von Stabspersonal in die Hauptquartiere.
Soldaten

Die Obergrenze liegt bei 1200. Inwieweit sie ausgeschöpft wird, ist noch unklar.
Einsatzgebiet

Das ist das Operationsgebiet des IS in Syrien und im Irak sowie das östliche Mittelmeer, das Rote Meer, der Persische Golf sowie „angrenzende Seegebiete“.
Dauer

Zunächst einmal ein Jahr bis zum 31. Dezember 2016. Wenn die Bundesregierung verlängern will, muss der Bundestag erneut zustimmen.

Kosten

Für das erste Jahr kalkuliert die Regierung 134 Millionen Euro ein. Das ist deutlich weniger als in der gefährlichsten Phase des Afghanistan-Einsatzes mit mehr als einer Milliarde Euro.
Rechtsgrundlage

Das sind das in der UN-Charta festgeschriebene kollektive Selbstverteidigungsrecht, Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, in denen zum Vorgehen gegen den IS aufgerufen wird, und die französische Bitte um Beistand auf Grundlage des Vertrags über die Europäische Union.

„Zusätzliche Informationen bestätigen, dass Öl aus Lagerstätten, die vom IS kontrolliert werden, im industriellen Maßstab in die Türkei kommt.“ Das russische Flugzeug sei demzufolge abgeschossen worden, um „die Sicherheit dieser Ölrouten zu gewährleisten“.

Der syrische Informationsminister Omran Ahed Al Zoubi sagte bereits im November gegenüber russischen Medien, dass Bilals Transportfirma BMZ im Millionenbereich mit IS-Öl handle. Darüber hinaus würde der türkische Präsidentensohn der Terrormiliz auch andere Rohstoffe und historische Güter abkaufen. Darüber hinaus kommen immer wieder neue Anschuldigungen ans Tageslicht.

Im August wurde der Vorwurf laut, der Reichtum des IS beruhe zum Teil auf einem „Familien-Business“ der Erdogans. Bilals Schwester Sümeyye betreibe demnach ein Krankenhaus nahe der syrischen Grenze, in dem verwundete IS-Kämpfer gepflegt würden. Sohn Bilal soll anderen Anschuldigungen zufolge gestohlenes Öl aus IS-Gebieten im Irak in verschiedene asiatische Länder verschiffen. Öfters fiel im Zusammenhang mit Bilal der Begriff des „Ölministers“ der IS-Milizen. Schon im Mai 2014 fragte die türkische Tageszeitung Cumhuriyet in der Überschrift eines Artikels: „Was machen Bilals Schiffe an der syrischen Küste?“
Russian President Vladimir Putin delivers his annual state of the nation address at the Kremlin in Moscow on December 3, 2015. AFP PHOTO / KIRILL KUDRYAVTSEV Quelle: AFP

Putins Rede an die Nation
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Spekulation oder Indiz, die Vorwürfe wiegen schwer – doch endgültige Belege fehlen. Es wurden bislang keine Verträge veröffentlicht, nichts, was schwarz auf weiß Verstrickung von Erdogans Sohn in solche Geschäfte belegen würde.

Der Staatschef kündigte derweil unverblümt seinen Rücktritt an, sollte es tatsächlich handfeste Beweise geben. „Wir sind nicht so unehrlich, dass wir von Terroristen Öl kaufen würden“, sagte Erdogan. „Falls bewiesen wird, dass wir das getan haben, werde ich von meinem Amt zurücktreten.“ Entweder ist er sich absolut sicher, dass an den Vorwürfen nichts dran ist, oder Erdogan und sein Sohn Bilal pokern verdammt hoch.