Der Tagesspiegel, 06.12.2015 http://www.tagesspiegel.de/politik/oelhandel-des-is-was-ist-dran-an-russlands-vorwuerfen-gegen-die-tuerkei/12685944.html Ölhandel des IS Was ist dran an Russlands Vorwürfen gegen die Türkei? Wladimir Putin behauptet, die Türkei würde dem IS Öl abkaufen, gar Präsident Erdogan persönlich davon profitieren. Tatsächlich fließt viel schwarzes Gold aus dem Herrschaftsbereich der Islamisten in Richtung Ankara. Seit dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch die türkische Luftwaffe wirft Russland der Türkei vor, Öl vom „Islamischen Staat“ zu beziehen. Sogar Präsident Erdogan persönlich sowie dessen Familie sieht Moskau am Werk. Die Türkei bestreitet die Vorwürfe vehement. Doch die Gemengelage ist, wie so oft im Syrienkrieg, sehr unübersichtlich. Wie wichtig ist der Öl-Handel für den IS? Der „Islamische Staat“ gilt als reichste Terrorgruppe der Welt. Experten und westliche Geheimdienste sind sich einig, dass der Verkauf von Öl und Diesel die wichtigste Einnahmequelle des IS bildet. Zwar verdient die Miliz auch Geld mit Lösegeld nach Geiselnahmen, mit dem Verkauf von antiken Kunstgegenständen und mit Zwangssteuern: „Von Christinnen und Christen wird eine Sondersteuer mit der Drohung der Kreuzigung eingetrieben“, berichtete die Bundesregierung in der Antwort auf eine Anfrage der Linken im Bundestag im März. Millionensummen soll
der IS auch bei der Eroberung einer Vertretung der irakischen Zentralbank
in Mossul im vergangenen Jahr erbeutet haben. Doch reichen diese Gewinne
nicht an die Öl-Profite heran. Über welche Ölquellen verfügt der IS? Alle bedeutenden Ölquellen in Syrien und einige Felder im Irak arbeiten unter der Kontrolle der Dschihadisten. Insgesamt verfüge der IS damit über Vorräte von mehr als 1,1 Milliarden Barrel (je 159 Liter), schätzt die Bundesregierung. Die Preise, die der IS für sein Öl verlangt, liegen je nach Qualität und Ölfeld bei 15 bis 40 Dollar und damit teilweise deutlich unter dem Weltmarktniveau von derzeit 43 Dollar je Barrel. Viele Förderanlagen und Raffinerien im IS-Machtbereich sind veraltet und können wegen der Kriegsbedingungen sowie wegen des Mangels an Personal und Ersatzteilen nicht modernisiert werden. Deshalb liegen die Fördermengen der IS-Ölfelder weit unter ihrem Potenzial. Die US-Regierung beziffert
den Profit auf etwa eine Million Dollar pro Tag. Die „Financial Times“
berichtete kürzlich unter Berufung auf Händler und Offizielle, der Gewinn
liege bei rund 1,5 Millionen Dollar pro Tag. Teilweise betreibt der IS die Ölfelder und Raffinerien in seinem Machtbereich mithilfe des Fachpersonals aus der Zeit vor der Übernahme durch die Islamisten. Mancherorts werden die Gewinne zwischen dem IS und der jeweiligen Firma geteilt. Tanklastwagen holen das Öl an den Feldern ab und bringen es zu den Raffinerien, von dort aus zu den eigentlichen Abnehmern. Die Nachfrage ist groß: Laut Berichten aus der Region warten Tanklaster teilweise mehrere Wochen, bis sie an einem Ölfeld an der Reihe sind. Die Rolle des IS ist keinesfalls allumfassend. Die Miliz verdient ihr Geld hauptsächlich mit dem Großhandel mit Rohöl und Diesel; als direkter Exporteur treten die Islamisten kaum in Erscheinung. Diese Rolle übernehmen Händler, die das Öl und den Diesel mit Lastwagen durch das Gebiet des IS-„Kalifats“ im Nordosten Syriens zu den Märkten bringen lassen. Der IS-Diesel wird nicht nur für Fahrzeuge benutzt, sondern auch für Generatoren, die vielerorts für die Zivilbevölkerung die einzige Möglichkeit darstellen, sich mit Energie zu versorgen. Ein anderer wichtiger Ölmarkt liegt in der westirakischen Stadt Al-Qaim. Wie läuft der illegale Ölexport in die Türkei? Für den illegalen Export in die Türkei können sich der IS und Ölhändler auf ein seit Jahrzehnten erprobtes Netzwerk von Schmugglern stützen. Teilweise wird der Diesel in 20-Liter-Kanistern auf den Rücken von Maultieren über die Grenze gebracht; auch Öl-„Fähren“ über den Grenzfluss Orontes in die türkische Provinz Hatay wurden von den türkischen Behörden entdeckt. An einigen Stellen wurden zudem Pipelines aus Syrien in die Türkei gelegt. Der Schmuggel findet nicht nur in Grenzgebieten unter IS-Kontrolle statt, sondern auch in Sektoren, die von anderen Rebellengruppen beherrscht werden. Schärfere Kontrollen der türkischen Behörden sowie der gefallene Ölpreis auf dem Weltmarkt haben den Ölschmuggel zuletzt zurückgehen lassen. Laut türkischen Regierungsangaben wurden seit Januar an der Grenze rund 600 Tonnen an illegalem Treibstoff beschlagnahmt. Warum zerstört der Westen nicht einfach die IS-Ölquellen aus der Luft? Militärisch wäre das kein Problem. Dennoch zögern die Militärplaner. Zum einen hätten großflächige Zerstörungen der IS-Ölindustrie direkte Auswirkungen auf syrische Zivilisten im Norden des Landes, für die der Diesel aus dem IS-Gebiet lebenswichtig geworden ist. Kappt der Westen diesen Nachschub, könnte er die Not unschuldiger Menschen verschlimmern, anti-westliche Sentiments verstärken und eine neue Fluchtwelle in die Türkei auslösen. Ein anderer Grund für die relative Zurückhaltung ist die Überlegung, dass die Ölquellen für eine Zukunft Syriens ohne IS bewahrt werden sollten. Kritiker werfen dem Westen vor, selbst ein Auge auf die syrische Ölindustrie geworfen zu haben. Was ist an den russischen Vorwürfen gegen die Türkei dran? Die russische Regierung beschuldigt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dessen Familie, am Export von IS-Öl mitzuverdienen. Russische Medien veröffentlichten Fotos von Erdogans Sohn Bilal bei einem angeblichen Treffen mit führenden IS-Mitgliedern. Angeblich lässt Bilal das IS-Öl mit Tankschiffen von der türkischen Mittelmeerküste aus zu den Weltmärkten bringen. Bilal Erdogan sei der eigentliche „Ölminister des IS“, hieß es in russischen Medienberichten. Präsident Putin warf Ankara vor, den russischen Kampfjet am 24. November abgeschossen zu haben, um Handelsrouten für den Ölexport zu schützen. Die russischen Luftangriffe in Syrien hätten den Ölhandel des IS erschwert, weshalb Erdogan gegen die russische Aktion sei. Die meisten Beobachter in der Türkei sehen die Anschuldigungen aus Moskau als Teil einer Propaganda-Strategie. Auch Erdogan selbst weist die Vorwürfe als unhaltbar zurück. Im Gegenzug wirft er Russland vor, selbst in den Ölhandel des IS verwickelt zu sein. Arbeitet das syrische Regime mit dem IS in Sachen Öl zusammen? Im Zentrum von Erdogans Vorwürfen steht George Haswani, ein Geschäftsmann mit syrischem und russischem Doppel-Pass. Haswani, ein Christ aus der Stadt Yabroud im syrisch-libanesischen Grenzgebiet, und seine Firma Hesco stehen auf Sanktionslisten der EU und der USA, weil er als Mittelsmann im Ölgeschäft zwischen dem IS und der syrischen Regierung tätig sein soll. Haswani hat enge Beziehungen zu russischen Partnern, mit denen er Projekte in Algerien und im Sudan vorantrieb und vor zwei Jahren eine Erdgasanlage in Zentral-Syrien baute, die inzwischen vom IS kontrolliert wird; nach Angaben der EU wird sie gemeinsam vom IS und der syrischen Regierung betrieben, die offiziell bittere Feinde sind. Laut den Vorwürfen fungiert Haswani als Vermittler, der Energielieferungen des IS an die syrische Regierung organisiert. Das libanesische Nachrichtenportal Now schrieb im vergangenen Jahr, es ergebe sich das Bild „zynischer Machenschaften zwischen zwei Monstern mit einem christlichen Mittelsmann“. Haswani weist alle Anschuldigungen zurück.
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