Der Tagesspiegel, 09.12.2015 http://www.tagesspiegel.de/politik/neue-auseinandersetzung-in-nahost-tuerkei-und-irak-streiten-um-truppenpraesenz/12700580.html Neue Auseinandersetzung in Nahost Türkei und Irak streiten um Truppenpräsenz Von Thomas Seibert Die Türkei muss in Nahost einen neuen Konflikt austragen: Ankara streitet mit dem Irak um die türkische Truppenpräsenz im Nordirak. Experten bezeichnen die Spannungen nur als den Anfang regionalpolitischer Zerwürfnisse. Mitten in der bitteren Auseinandersetzung mit Russland um den Syrien-Konflikt öffnet sich für die Türkei plötzlich ein weiteres Pulverfass. Mit der irakischen Zentralregierung in Bagdad gibt es Streit um die türkische Truppenpräsenz nahe der nordirakischen Stadt Mossul. Hinter dem öffentlich ausgetragenen Zwist steht die Rivalität zwischen der Türkei und dem Iran: Kurz vor den geplanten neuen Syrien-Gesprächen in New York rangeln die Regionalmächte um Einfluss.
Der Anlass des Streits, die Verlegung türkischer Truppen in das nordirakische Ausbildungslager Bashiqa, wirft ein Schlaglicht auf die regionalpolitischen Konkurrenzkämpfe. Seit einem Jahr bildet die türkische Armee in Bashiqa nordirakische Peschmerga-Einheiten und andere Gruppen aus, die gegen den Islamischen Staat (IS) kämpfen sollen. In Kürze wird in der Gegend eine Offensive der irakischen Armee gegen den IS erwartet, der die 30 Kilometer südwestlich von Bashiqa gelegene Großstadt Mossul seit dem vergangenen Jahr besetzt hält.
Auch andere Staaten – darunter
Deutschland – sind im Nordirak präsent, um den Gegnern des IS zu helfen.
Doch nur die Türkei erregt den Argwohn der Regierung in Bagdad. Als Ankara
die Ausbilder in Bashiqa mit mehreren hundert Soldaten und 25 Panzern
verstärken wollte, drohte Bagdad mit einem Gang zu den Vereinten Nationen.
Die Türkei argumentiert, ihre Soldaten seien auf Einladung Bagdads und
der irakischen Kurden in Bashiqa; der nordirakische Kurdenpräsident Masut
Barzani wird in diesen Tagen in Ankara erwartet. Die irakische Zentralregierung
bestreitet, dass es eine solche Einladung gab.
Denn die Türkei, die sich selbst als Schutzmacht der sunnitischen Muslime in der Region sieht, bildet in Bashiqa sunnitische Kämpfer wie die Mitglieder der Miliz Hashti Vatani aus. Da auch Mossul vorwiegend sunnitisch ist, befürchtet die schiitisch dominierte irakische Regierung, dass hier eine Art feindliche Übernahme vorbereitet werden soll. Auch der Iran, der als schiitische Großmacht in der Region großen Einfluss auf die irakische Regierung hat, protestierte gegen die türkische Truppenverstärkung.
Wie im Irak spielt der Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten auch im Krieg im benachbarten Syrien eine große Rolle. Während die Türkei und die sunnitischen Golf-Staaten die sunnitischen Rebellen in Syrien unterstützen, steht der schiitische Iran zusammen mit Russland auf der Seite der syrischen Regierung, deren Führungselite den Alawiten angehört, eine mit dem Schiismus verwandte Glaubensrichtung. Auch die schiitische Hizbollah-Miliz aus dem Libanon hilft Damaskus.
Angesichts der geplanten Syrien-Gespräche kommende Woche in New York und möglicher Verhandlungen über eine Beendigung des Konflikts ab Januar nimmt das sunnitisch-schiitische Misstrauen zu. Beide Seiten versuchen, mit Blick auf die Zukunft der Region die eigenen Interessen zu stärken. Das gilt auch für die vorwiegend sunnitischen Gebiete in Syrien wie die Gegend um Rakka, die derzeit vom IS beherrscht werden. „Die zentrale Frage lautet, wer in Zukunft über die sunnitischen Gebiete wie Mossul und Rakka herrschen wird“, sagte der Nahost-Experte Veysel Ayhan unserer Zeitung.“ Die türkisch-irakischen Spannungen seien Ausdruck regionalpolitischer Zerwürfnisse. „Das ist erst der Anfang.“
Vorerst versucht die Türkei, die Wogen zu glätten. Ankara hat kein Interesse an einem zweiten Krisenherd, während der Streit mit Russland weiter köchelt. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu stoppte die Verlegung weiterer Soldaten nach Bashiqa und kündigte einen baldigen Besuch in Bagdad an.
Nahost-Experte Ayhan, der für die Denkfabrik IMPR in Ankara und das Institut MEP arbeitet, sieht dennoch weitere Spannungen voraus. Ein Streit wie der um die türkischen Militärausbilder könne sich an anderer Stelle und bei anderen Gelegenheiten wiederholen, sagte er. Die Lage ist gefährlich, betonte Ayhan – auch eine direkte Konfrontation staatlicher Akteure, etwa zwischen der Türkei und dem Iran, sei möglich.
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