„Wer
ablehnt, der wird abgelehnt werden.”
Nach fünf Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt fand am 27.
4. wieder ein Gespräch Öcalans mit seinen Anwälten statt.
Die Totalisolation hatte seit Newroz angehalten, so dass Öcalan erstmals
Gelegenheit hatte, sich zu den Ereignissen um das Newrozfest herum zu
äußern. Er nutzte die Gelegenheit, unzutreffende und verzerrenden
Interpretationen des von ihm vorgeschlagenen Konzept des „demokratischen
Konföderalismus“ zu kritisieren und einige Missverständnisse
auszuräumen. Scharfe Kritik richtete Öcalan an den Generalstabschef
der Türkei, Özkök, wegen seiner berüchtigten Rede
zur Sicherheitslage sowie an die Kreise u.a. in der EU, die an einer „Lösung“
der kurdischen Frage unter Ausschluss der kurdischen Befreiungsbewegung
arbeiten. An Dschalal Talabani, den neu gewählten Präsidenten
des Irak, richtete er den Aufruf, auch in Südkurdistan die PKK zu
respektieren. Neben einer Botschaft zum Tod von Johannes Paul II. waren
weitere Themen die Frauenbewegung und die Bewegung für eine Demokratische
Gesellschaft. Zum bevorstehenden Urteil des EGMR in seinem Beschwerdeverfahren
äußerte sich Öcalan noch nicht. Er zeigte sich in guter
Stimmung, aber mit weiterhin angeschlagener Gesundheit.
Das Konzept des demokratischen Föderalismus, das Öcalan kurz
vor Newroz deklariert hatte, hatte bei den Newrozfeiern besonders in Türkisch-Kurdistan
breiten Zuspruch unter der Bevölkerung und bei kurdischen Politikern
gefunden und ist seither in verschiedener Form diskutiert worden. Dabei
wurde der Begriff „Konföderalismus“ verschiedentlich
im Sinne von „Konföderation“ interpretiert, also als
Staatenbund. Das hatte Skepsis ausgelöst, ob Öcalan eine Wende
vollzogen habe und nun doch einen kurdischen Staat propagiere, gar als
Alternative zum entstehenden kurdischen (Bundes-)Staat im Irak.
Dabei war verkannt worden, dass Öcalan bewusst nicht den Begriff
„Konföderation“ gewählt hatte, sondern „Konföderalismus“.
Er bezieht sich damit nicht auf Konföderationen wie die Schweiz,
sondern auf ein Konzept, dass vom libertären Sozialisten Murray Bookchin
stammt. Dieser Konföderalismus sieht vielmehr den politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Zusammenschluss von unten als prinzipielle Herangehensweise
an gesellschaftliche Probleme vor. Gemeint sind also in erster Linie zivilgesellschaftliche
Organisationen, Agrar- und andere Wirtschaftkooperativen, Zusammenschlüsse
von Kommunen bis hin zu großen Städten. Dabei hatte Öcalan
bereits früher betont, dass dabei bestehende Staatsgrenzen nicht
angetastet werden sollten, das ganze Konzept vielmehr einer Demokratisierung
und Dezentralisierung der bestehenden Staaten dienen solle. Ziel ist dabei
eine Alternative zum Staat überhaupt, keinesfalls die Gründung
eines neuen.
Entsprechend scharf wandte er sich gegen alle Interpretationen, die ihm
Pläne zur Staatsgründung unterstellten. „Ich gründe
keinen Staat. Ich würde nicht einmal akzeptieren, wenn man mir unter
Zwang einen Staat aufdrängte, ich würde ihn ablehnen,“
betonte der Kurdenführer. Außerdem sei sein Vorschlag keineswegs
nur an die Kurden gerichtet. „Ich schlage das für die gesamte
Türkei vor“ und „Das gilt für Kurden, Türken
und Araber,“ wiederholte Öcalan mehrmals.
Gleichzeitig richtete er einen Aufruf an Dschalal Talabani zu „Frieden,
Dialog und Kompromiss.“ Talabani, der vergangene Woche militärische
Maßnahmen gegen die Volksverteidigungskräfte (HPG) „im
nächsten Jahr“ angekündigt hatte, solle die Existenzberechtigung
der PKK als kurdischer Kraft respektieren, auch in Südkurdistan.
Heftige verurteilte Öcalan indes die Versuche, eine „Lösung“
der kurdischen Frage ohne die PKK herbeizuführen. Diplomaten zunächst
aus Deutschland, später auch aus anderen EU-Ländern hatten in
einem beispiellosen Vorgang die kurdische Bevölkerung offen aufgefordert,
sich von der PKK zu distanzieren. Diese veranstaltet seit Monaten Demonstrationen
und Unterschriftenkampagnen und hatte zuletzt an Newroz massenhaft ihre
Sympathie für Öcalan bekundet. „Wer ablehnt, der wird
abgelehnt werden. Denn es geht nicht nur darum, mich oder die PKK abzulehnen,
es geht um die Ablehnung der Hoffnungen und Werte des Volkes,“ kommentierte
dieser die Vorgänge.
Im Folgenden dokumentieren wir in zusammenfassender Übersetzung das
Gespräches der Anwältinnen und Anwälten mit ihrem Mandanten.
Notizen des
Anwaltsgesprächs vom 27.4.
Öcalan betritt den Raum mit dem Buch „Empire“ in der
Hand.
Öcalan: Dass so viele Wochen lang unsere Treffen unterbunden wurden,
hängt eng mit den politischen Entwicklungen zusammen.
AnwältInnen: Newroz ist mit großer Beteiligung begeistert gefeiert
worden. Überall war die Beteiligung höher als im letzten Jahr.
Der demokratische Konföderalismus und Ihre Person wurden gefeiert.
Es wurden viele Fahnen des demokratischen Konföderalismus geschwenkt.
Die Beteiligung war also hoch. Das freut mich, ich gratuliere nochmals
allen. Ist die Deklaration des demokratischen Konföderalismus verlesen
worden?
Ja.
Es ist ein für die Türkei notwendiger Schritt gewesen. Ich denke,
es hat die Tagesordnung beherrscht. Dieses Konzept hat nicht nur für
die Türkei Gültigkeit, sondern auch für die anderen Teile.
Ich bemühe mich mit kleinen, schwierigen Schritten um einen demokratischen
Aufbruch.
Das Konzept des „demokratischen Konföderalismus“ ist
noch nicht verstanden worden, es hat wenige, oberflächliche Diskussion
gegeben.
Um es richtig zu verstehen darf man natürlich nicht oberflächlich
an die Sache herangehen. Ich habe mir gedacht, dass es in der Türkei
nicht richtig verstanden wird, denn die intellektuelle Kultur dort ist
schwach ausgebildet. Es handelt sich nicht um ein Konzept, das allein
von mir vertreten wird, sondern diese Dinge werden von sehr vielen Sozialwissenschaftlern
diskutiert. Bei Wallerstein und Bookchin finden sich ähnliche Ansätze,
aber es ist dort nicht so im Detail formuliert worden. Ich habe es klar
und konkret formuliert, und ich stehe dazu.
Linke Betonköpfe können das nicht verstehen. Karl Marx hat 1848
vom Verschwinden des Staates gesprochen, aber von Demokratie verstand
er nicht so viel. Es gelang ihm nicht, dem Volk das richtige politische
System zu präsentieren. Hegel definiert den Staat als Wirken Gottes
auf Erden. Marx will Hegel in diesem Punkt korrigieren. Die Pariser Kommune
erreicht 1871 einiges, aber letztlich kommt sie nicht weiter als bis zur
Diktatur des Proletariats. Die 1. und die 2. Internationale geben sich
Mühe, an diesem Punkt weiter zu kommen, aber auch sie schaffen nicht.
Lenin erkennt die Mängel der Diktatur des Proletariats und plädiert
für Demokratie. Ihm ist eigentlich die Notwendigkeit der Demokratie
klar, aber der Sozialismus wird letztlich zum Staat, zur Sowjetdiktatur,
und geht so verloren. Die Anarchisten auf der anderen Seite finden den
Staatssozialismus gefährlich, doch sie schaffen es nicht, sich aus
der Isolation zu befreien.
In der Türkei diskutieren die DEV-YOL-Anhänger zurzeit in der
Zeitschrift „Birikim“, aber sie stehen immer noch unter dem
Einfluss der Sowjetunion und Chinas. Sie sind immer noch einer linksnationalistischen
Rhetorik verhaftet. Auch bei den TIKKO-Leuten ist die Sache mit der Diktatur
noch nicht ausgestanden. Bei ihnen steht mehr der individuelle Intellektuelle
im Vordergrund. Die 68er-Bewegung war eine große Bewegung, ein Schritt
hin zur Freiheit, aber sie haben es nicht vollenden können. Danach
kam die feministische Offensive, aber sie haben es nur zu zivilgesellschaftlichen
Organisationen gebracht, mehr war nicht drin. Einige Soziologen haben
versucht, aus dem Anarchismus Schlüsse zu ziehen, aber ihnen ist
es nicht gelungen, die bürgerliche Ideologie abzustreifen und eine
klassische Linie zu verlassen. Auch die Frankfurter Schule und die analytische
Schule haben darüber diskutiert.
Das Buch „Empire“ ist eine Art Selbstkritik, aber es ist verwirrend,
vieles ist falsch. Es gelingt den Autoren nicht, ein richtiges Ziel zu
formulieren.
Ich glaube, dass mir in meinen Büchern die Analyse des Staates gut
gelungen ist. Ich habe sie einfach und klar dargelegt. Vielleicht fehlen
mir einige wissenschaftlichen Daten, aber die Stoßrichtung ist im
großen und ganzen richtig. Wichtig war mir zum einen der Bruch mit
einem Nationenbegriff, der sich auf einen Staat gründet, zum anderen,
dies bis auf die Sumerer zurückzuführen. Die Analyse der Macht
war richtig, dabei beziehe ich mich auch auf Foucault.
Bitte notiert das Folgende: Heute ist die „Macht“ gleichbedeutend
mit dem Krieg gegen die Gesellschaft. Das ist heute die einzige Bedeutung
der Macht. Noch etwas: Die Macht der Bourgeoisie bzw. die bestehende Macht
ist gleich der Nationalstaat; der Nationalstaat ist gleich die Atombombe.
Zumindest für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt dies
aus Sicht der Völker und Kulturen. Zuletzt haben wir das am Nationalstaat
Irak gesehen, schließlich haben die USA interveniert.
Ihr Konzept des
„demokratischen Konföderalismus“ wird von vielen Kreisen
mit einem Nationalstaat gleichgesetzt.
Das ist eine ganz falsche Interpretation. Ganz im Gegenteil ist es
das Gegengift gegen den Nationalismus
Außerdem
interpretiert es insbesondere der Staat als Abkehr von Ihrer These der
„demokratischen Republik“ und als Veränderung Ihrer Strategie.
Der Staat wird es noch verstehen. Sie versuchen gerade erst, es zu begreifen.
Es ist verständlich, dass es da Probleme gibt, denn es gibt keine
Professoren oder Intellektuellen, die es diskutieren würden. Alle
waren schockiert, nicht war? Nicht nur sie, auch Ihr habt es nicht verstanden.
Ich meine mit diesem Konzept nicht nur die Kurden. Seit sechs Jahren betone
ich beharrlich, dass mehr diskutiert werden muss. Demokratische Gesellschaft,
Demokratischer Staat, demokratische Politik. Warum habt Ihr diese Diskussionen
nicht vorangetrieben? Der Ausweg liegt in diesen Diskussionen.
Die USA haben so viele Bomben und Waffen, aber weil ihnen dies fehlt,
haben sie keinen Erfolg. Die CIA studiert sehr gründlich, was ich
sage, aber natürlich versuchen sie, es in ihrem Sinne zu benutzen.
Die Situation hat Ähnlichkeit mit dem Verhältnis von Lenin und
Wilson. Lenin vertritt in Russland das Selbstbestimmungsrecht der Nationen,
als Antwort darauf formuliert Wilson sein 14-Punkte-Programm . Das dialektische
Verhältnis von Lenin und Wilson ähnelt dem Verhältnis von
mir und den USA bzw. Bush. Gegen Lenin haben die USA gewonnen. Mal sehen,
wie es bei unserer Dialektik aussieht? Wird Bush gegen mich gewinnen?
Das wird im Kampf entschieden, den die Völker führen. Wir setzen
der imperialistischen Demokratie die Volksdemokratie entgegen. Das ist
die Grundlage. Aber die Intellektuellen verstehen das nicht, diese Besserwisser.
Obwohl ich dermaßen isoliert werde, hat sich bei mir kein Pessimismus
bezüglich des Sozialismus eingestellt. Ich führe diesen Kampf
in guter Stimmung entschieden weiter.
Es gibt nicht die geringsten Fortschritte in Bezug auf Respekt vor dem
Menschen und der Gesellschaft. Man versucht, unser Volk durch krassen
Hunger zu bändigen, keiner sagt etwas dagegen. Ich als Intellektueller
bin dafür nicht zu haben. Dieses Leben lehne ich ab. Darauf lasse
ich mich auf keinen Fall ein, und wenn sie mir alle Reichtümer dieser
Welt anbieten würden.
In den Diskussionen wird der Begriff „demokratischer Konföderalismus“
nicht so verstanden, wie Sie ihn definieren, sondern so, wie er in der
politischen Literatur allgemein verstanden wird, im Zusammenhang mit einem
Staat.
Die Formulierung „demokratische Konföderalismus“ trifft
am besten das, was gemeint ist. Insofern ist es der beste Ausdruck, einen
besseren habe ich nicht gefunden. Es ist eine Art „kleinstes Übel“
als Ausdruck. Es findet sich auch bei Wallerstein und besonders bei Bookchin,
sie gehen auf wichtige Punkte ein. Die Autoren von „Empire“
behandeln die Werttheorie, sie sagen, der Wert ist nicht messbar. Daraus
ziehen sie einige Konsequenzen.
Die Werttheorie von Marx ist falsch. Ich habe das Kapital nicht im Detail
erforscht, aber letztlich führen die Arbeiterklasse und die Bourgeoisie
den Verteilungskampf gemeinsam. Rosa Luxemburg hat Marx kritisiert, sie
sagte, ohne vorkapitalistische Gesellschaften kann die Arbeiterklasse
nicht existieren. Rosa hatte Recht. Arbeiterklasse und Bourgeoisie schließen
sich zusammen und beuten die Gesellschaft aus. Daher ist es sinnlos, dass
die Arbeiterklasse die die Revolution an der Achse der Klasse ausrichtet.
In meinem letzten Buch habe ich ausgeführt, warum der Wert nicht
messbar ist, warum er so nicht messbar ist. Ich habe das Beispiel einer
Mutter gegeben. Was Mütter alles leisten und ertragen, ist in Geld
nicht messbar. Was ist denn mit der unbezahlten Arbeit, die Mütter
leisten? Kinder aufziehen, Pflege, Hausarbeit lässt sich nicht messen.
Das Aufwachsen eines Menschen ist das Ergebnis einer Geschichte von 100.000
Jahren. Von der urkommunalen Gesellschaft bis zum Kampf der Kulturen hat
der Mensch so viele Werte geschaffen, so viel Wissen angehäuft. Wie
kann man all das auf eine kleinbürgerliche Lohnforderung reduzieren?
Man kann Wert nicht messen, wenn man all dies ignoriert. Wenn man alles
zusammenführt, die neolithische Gesellschaft, die Sklavenhaltergesellschaft,
die Feudalgesellschaft – dann erhält man die Arbeiterklasse.
Marx' Beitrag zu den Sozialwissenschaften ist groß, aber er hat
auch viele Mängel. Er hat der Gesellschaft nicht den Sinn gegeben,
den sie brauchte. Letztlich hat die Werttheorie dazu geführt, dass
die Löhne der Arbeiter gestiegen sind.
Ich möchte ein paar Sätze zum Tod des Papstes sagen. Die Italiener
erwarten das von mir. Artus Altug hat geschrieben, dass ich dem Papst
zwei Briefe geschickt hatte und dass ich dem Christentum nahe stehe. Dabei
ist es vielmehr so, dass ich die Geschichte erforscht habe, das Christentum
ist eine große Bewegung. Ihre ersten drei Jahrhunderte sind großartig.
Bis zu Konstantin ist es eine große soziale Bewegung. Als sie aber
an die Macht kommt und zum Staat wird, erleidet sie einen großen
Rückschlag. Der jetzige Vatikan ist nicht natürlich nicht wirklich
ein Staat, und Johannes Paul II. hat versucht, historische Irrtümer
zu korrigieren und dem Frieden und der Menschlichkeit wertvolle Dienste
erwiesen. Er hat auf großartige Weise gegen die Grausamkeit der
Staaten Stellung bezogen. Dem messe ich große Bedeutung bei.
Der Nationalstaat ist ein Betäubungsmittel, um die Völker zu
Staaten zu machen. Der Nationalismus wurde angefacht, auf der einen Seite
der Nationalismus der Herrschenden, auf der anderen Seite der Nationalismus
der Unterdrückten. Am Ende wurde die Welt in fürchterliche nationalistische
Kriege getrieben, das ging bis zu den Weltkriegen und zu Hitler. Heute
diskutiert man über den Völkermord an den Armeniern. Völkermord
ist eben das, wohin der Nationalismus in der Art der „Einheit und
Fortschritt“ [nationalistische Regierungspartei im Osmanischen Reich]
führt.
Nationalismus ist ein Irrweg. Darum habe ich viele Vorkehrungen getroffen,
um den kurdischen Nationalismus zu verhindern. Ich führe die kurdische
Bewegung weder in den Nationalismus, noch in den Etatismus. Das habe ich
in meinen Büchern und Verteidigungen klar zum Ausdruck gebracht.
Auch mein jüngstes Projekt, der „demokratische Konföderalismus“
ist eine solche Vorkehrung. Ich werde die nicht Bemühungen unseres
Volkes nicht so einfach verpuffen lassen.
Einige Kreise interpretieren Ihr Konzept des „demokratischen
Konföderalismus“ in der Weise, dass Sie damit Fortschritte
im Süden behindern wollen.
Das sind Scharlatane. Das ist eben der Unterschied zwischen uns. Ich habe
oft den Vergleich zwischen dem kurdischen Volk und dem Kollaborateur Enkidu
aus dem 5000 Jahre alten Gilgamesch-Epos verwendet. Jetzt lassen diese
billigen Kollaborateure einen Staat gründen. Ich greife diese Staatsgründung
nicht an, aber so ein Staat im Mittleren Osten wird despotische Züge
tragen. Denunziert das ganz offen. Es ist klar, wer diesen Staat gründet.
Sie werden das Volk aussaugen, denn das sind nicht im entferntesten Demokraten.
Jetzt machen sie sich zu Staatspräsidenten, ich aber opponiere gegen
den Nationalstaat. Abraham hat seinerzeit gegen Nimrod opponiert, bei
Zarathustra ist es ähnlich. Ich will mich nicht mit ihnen auf eine
Stufe stellen, das ist überflüssig, aber ich will, dass mein
Vorstoß gut verstanden wird. Wer ihn verstehen will, kann ihn verstehen.
Soll ich mich den Nimrods beugen? Ich beuge mich niemals den Projekten
der Aghas.
Die Ideologie des Nationalstaats ist haram, man sollte sie gar nicht anfassen.
Ich esse lieber tausend Mal trocken Brot als bei diesen Staate zu Kreuze
zu kriechen. Sie haben mich verkauft, wie könnte ich das vergessen?
Sie haben versucht mich fertig zu machen. Ich sage dies allen, die zu
mir halten, besonders zu den Frauen: Sie benutzen die Völker wie
Frauen, und sie haben ihren Spaß dabei.
Jetzt hat auch noch dieser Semdin Sakik ein Buch geschrieben. Auch diese
andere Gruppe hat sich aus dem Staub gemacht. Für eine Frau verkaufen
sie zehn Mal ihr Heimatland. Ich dagegen folge eher dem Weg des Dionysos,
der ja als Gott der Berge und der Arbeit bekannt ist. Ich bin gegen diese
„kleinen Götter“, die aus Frauen Ehefrauen machen. Das
sind alles kleine Gewaltherrscher und Imperatoren. Ich sage zu den Frauen:
Wenn ihr tapfer seid, nehmt Euch eine Waffe, nehmt Euch Eure Freiheit.
Ich sage ihnen, macht selbst etwas besonderes aus Eurem Frausein. Das
ist meine Herangehensweise.
Ihr wisst von Fürst Bedirhan. Er hatte insgesamt 120 Kinder und Enkel.
Als er als Fürst von Botan besiegt wurde, ging er nach Damaskus ins
Exil. Selahattin Eyyubî [Sultan Saladin] hatte 17 Kinder, auch er
ein Kurde. Ich habe ein ganz anderes Verhältnis zu Frauen. Ich hatte
mit keiner einzigen Frau eine derartige Beziehung. Ihr wisst um meine
Beziehung zu Kesire. Ich habe eine Verbindung zwischen der Frau und der
Befreiung ihres Volkes hergestellt. Sie sollen den Frauenbefreiungskampf
verstehen. Ich sage zu den Frauen an meiner Seite: „Geht und befreit
Euer Land, Euer Volk und Euch selbst.“ Einige alte Mütter haben
sie als „Bräute des Volkes“ bezeichnet. Diese Bezeichnung
ist sehr bedeutsam. Ich habe versucht, sie mit dieser Philosophie auszustatten.
Osman [Öcalan], Botan [Nizamettin Tas] und die Frauen an ihrer Seite
haben das nicht verstanden. Ich habe immer das Beispiel von Dewres und
Adule gegeben. Die Liebe in diesemk Stück ist die wahre kurdische
Liebe. Sie ist moralisch, bedeutungsvoll. Das ist mein Verständnis
von Genossenschaft. Die Auffassung von Genossenschaft, die einige bei
uns haben, ist keinen Pfifferling wert. Die „Milliyet“ schreibt
über die Beziehung von Mustafa Kemal und Latife , Latife habe gesagt:
„Er wird die Frauen aller Generäle verführen.“ Eigentlich
geht es nicht um Verführung. Mustafa Kemal sucht eine moderne, freie
Beziehung, versucht, seine Freiheit zu retten und zu erweitern.
Zum Thema Konföderalismus möchte ich noch ein paar Anmerkungen
machen. Es ist vielleicht etwas plötzlich gekommen, es mögen
auch Fehler darin sein. Aber es handelt sich um eine historische Notwendigkeit.
Dieses sklavenhalterische, feudale System, das nunmehr seit 5000 Jahren
besteht, ist sehr gefährlich. Es führt zur bürgerlichen
Diktatur und zum Nationalismus. Es beschwört einen Kampf zwischen
Türken, Kurden und Arabern herauf. Man versucht, aus sehr reaktionärer
Richtung Druck auf die Kurden auszuüben.
Die Wahl Talabanis
Anlässlich der Wahl Talabanis zum Staatspräsidenten möchte
ich eine Botschaft übermitteln: Ich rufe ihn auf, mit dem demokratisch-konföderalen
System einen Konsens herzustellen. Denn ihre Existenz dort hängt
von mir ab. Wenn ich hier nicht Widerstand leisten würde, könnten
sie sich dort nicht einen Tag halten. Er soll im Rahmen einer demokratischen
Konföderation Kurdistan Frieden und Kompromiss herstellen. Ich rufe
sie zu Frieden, Dialog und Kompromiss auf. Sie sollen das Erbe der PKK
respektieren. Ich hoffe, dass sie auch die Beziehungen zu Türken,
Arabern und Iranern auf Dialog und Kompromisse gründen. Ich rufe
zur Praktizierung von Demokratie auf. Sonst kommt es zur Katastrophe.
Das ist der einzige Ausweg.
Die Flaggenprovokation
Die Türkei darf mich nicht falsch verstehen. Ich habe keine Einwände
gegen den unitären Staat. Ich respektiere die Fahne. Schon in Damaskus
habe ich gesagt, dass ich die Fahne respektiere. Die Sache mit der Fahne
ist ohnehin eine Provokation . Der demokratische Konföderalismus
hat nichts mit Legalität oder Illegalität zu tun. So eine Unterscheidung
mache ich nicht. Ich unterscheide auch nicht zwischen Kurden und Türken.
Er gilt für alle Volksgruppen. Selbst England und Amerika haben verstanden,
dass sie mit despotischen Staaten nicht weiterkommen, deswegen entziehen
sie ihnen ihre Unterstützung. Aber es gelingt ihnen auch nicht, etwas
neues zu Gründe, sie befinden sich in der Sackgasse. Die USA und
Großbritannien sagen: „Seid ein bisschen offen für Demokratie“.
Daher ist Demokratie so wichtig, um aus der Sackgasse herauszukommen.
Wenn wir alles den USA überlassen, kommt es zu Krise und Chaos. Darum
ist der demokratische Konföderalismus als Ausweg so wichtig. Es ist
der einzige Ausweg.
„Auf meinem Grab können drei Flaggen wehen“
Ich schlage das konföderale System auch für Araber und Türken
vor. Demokratischer Konföderalismus ist eine Art und Weise, wie sich
Demokratie realisiert, ihr Stil. Was Deniz Baykal macht, ist pure Verleumdung.
Ich gründe keinen Staat. Ich würde nicht einmal akzeptieren,
wenn man mir unter Zwang einen Staat aufdrängte, ich würde ihn
ablehnen. Ich protestiere gegen Baykal. Die Fahne gehört mir, nicht
dem Staat. Auf meinem Grab können drei Flaggen nebeneinander wehen:
Die EU-Flagge, die unitäre Flagge [türk. Flagge, Anm. d. Ü.]
und die Flagge des Konföderalismus [gelbe Sonne mit rotem Stern auf
grünem Grund], welche die Demokratie symbolisiert. Wir wollen keinen
Staat. Wenn wir einen Staat wollten, würden wir es wie die im Irak
machen, auf Biegen und Brechen. Ich rede nicht von Grenzen. Wir sind nicht
hinter Ministerien her wie die im Irak. Wir wollen, dass man für
die Demokratisierung unseres Volkes in den Stadtteilen, Dörfern und
Städten keine Hindernisse erreichtet. Das gilt nicht nur für
die Kurden. Ein „demokratischer Konföderalismus Türkei“
ist realistischer. Ich schlage das für die gesamte Türkei vor.
Wir haben kein Problem mit der unitären Struktur. Ich rede nicht
von einem Staat, sondern von denen, die unten sind. Es geht mir um die
Art und Weise, wie die Gesellschaft selbst ihre Demokratie aufbaut, um
ihre Demokratisierung.
Die Kurden können dieses System in allen Teilen anwenden und weiterentwickeln.
Für die einzelnen Gebiete sage ich folgendes: Im Soran-Gebiet sollte
demokratischen Konföderalismus geben, in Behdinan, Loristan, Bradosti,
Botan, Garzan, Amed, Serhat, Dersim kann es demokratische „Konföderale“
geben. Insbesondere für Dersim ist das ideal, es passt auch zur alewitischen
Kultur. Das sind alles demokratische Aufbrüche. Westlich vom Euphrat
kann zum Gebiet des kurdisch-turkmenischen demokratischen Konföderalismus
werden. Ähnliches gilt für Mersin, Antep, Maras. In der Geschichte
hat es solche Strukturen gegeben. [Sultan] Yavuz Selim hatte dem [im 16.
Jahrhundert] zugestimmt, es dann aber nicht umgesetzt. Unter Sultan Mahmut
kam man dann davon ab. Aber grundsätzlich ist die historische Struktur
des Mittleren Ostens eine konföderale.
Der türkische
Generalstab: „...bringt den Staat an den Rand des Abgrunds“
Ich habe im Radio die Ansprache von Generalstabschef Özkök gehört.
Seine Auffassung von Sicherheit bringt den Staat an den Rand des Abgrunds.
Was den Nationalstaat angeht; Atatürk hat viele Bücher gelesen,
viel geforscht, bevor er die Republik ausrief. Wir wollen jetzt diese
Republik demokratisieren. Mit dem demokratischen Konföderalismus
krönen wir die demokratische Republik. Wenn der Prozess anfängt,
schreibe ich dazu ein Buch. Das ist die Schlussfolgerung, zu der ich nach
der Lektüre von tausenden von Büchern gelangt bin. Das ist kein
Angriff auf die Republik, ich rede auch nicht nur von den Kurden. Auch
für die Türken rede ich vom demokratischen Konföderalismus.
Regionen schlage ich auch für die Türkei vor. Es kann einen
demokratischen Konföderalismus Izmir geben. Oder Thrakien. Die Schwarzmeerregion
hat lokale Besonderheiten. Antalya strebt nach einem Sonderstatus für
sich. Wenn das umgesetzt wird, kann die Türkei sich prächtig
entwickeln, ähnlich wie China. Das rettet sowohl die Republik als
auch die Gesellschaft. Die Definition von Demokratie ist „die Existenzweise
der demokratischen Gesellschaft“, „das demokratische Leben
selbst“. Ohne das kann man weder die Ökologie oder die Natur,
noch die Kinder und die Frau retten.
Gehen die Militäroperationen im gleichen Ausmaß wie vorher
weiter? Ich möchte mich hier zu militärischen Angelegenheiten
nicht äußern. Sie müssen sich an die Regeln der legitimen
Selbstverteidigung halten, sonst werden sie Opfer von Massakern.
Die „Lösung
ohne Öcalan“
In der letzten Zeit wird oft von im Rahmen eines sowohl nationalen als
auch internationalen Konzepts von einer „Lösung ohne Öcalan“
gesprochen. Auch die EU-Botschafter sind Teil davon . Es gibt verschiedene
Erklärungen in dieser Richtung. Ich habe das im Radio verfolgt. Europa
versucht, die Instrumente aus 500 Jahren Kolonialismus einzusetzen. Das
ist absolut inakzeptabel. Dagegen muss man sich mit aller Kraft zur Wehr
setzen. Wer ablehnt, der wird abgelehnt werden. Denn es geht nicht nur
darum, mich oder die PKK abzulehnen, es geht um die Ablehnung der Hoffnungen
und Werte des Volkes. Wir werden weiterführen, was das Volk in Schmerz
und Tränen in unendlicher Mühe geschaffen hat. Was jene machen,
kann man nicht gut heißen. Wer sich auf dieses Spiel einlässt,
wird im Abseits landen. Ich protestiere dagegen. Europa muss sich auf
einen demokratischen Kompromiss einlassen.
Wiederaufnahme des Prozesses
Zu den Diskussionen um eine Wiederaufnahme meines Prozesses werde ich
mich nächste Woche ausführlich äußern.
Konföderalismus ist die vernünftigste Lösung für das
neue Jahrhundert. Weder unsere Freunde noch der Staat verstehen mich an
diesem Punkt richtig. Darüber muss man intensiv diskutieren.
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