Der Prozess
kann zur Lösung der kurdischen Frage beitragen
Einen Tag vor der
Urteilsverkündung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
signalisierte Öcalan, dass er sich auf eine Wiederholung oder Wiederaufnahme
seines Prozesses in der Türkei vorbereite. Er machte dabei deutlich,
nicht von seiner Linie abzuweichen, eine politische Lösung der kurdischen
Frage im Rahmen einer Demokratisierung der Türkei zu suchen. Eine
direkte Reaktion auf das Urteil wird frühestens am 18. Mai erfolgen
können.
Öcalan verurteilte die Erklärungen verschiedener Politiker in
der Türkei, der Prozess werde ein Sicherheitsrisiko darstellen und
verwies auf das Verständnis der EU von Sicherheit. Europa habe die
Konsequenz aus 300 Jahren nationalistischer Kriege mit 100 Millionen Toten
gezogen und sehe in der Demokratie den besten Garanten für Sicherheit.
Daran solle sich auch die Türkei orientieren. Der Prozess sei kein
Sicherheitsrisiko, sondern er könne vielmehr zu einer Lösung
der kurdischen Frage beitragen.
An die kurdische Befreiungsbewegung gerichtet betonte Öcalan in dem
Gespräch mehrfach, seine Äußerungen sollten als Vorschläge
aufgefasst werden, er wolle und könne niemandem Befehle erteilen.
Er sage, was er denke, aber die Entscheidung, was zu tun sei, müsse
jeder und jede selbst treffen. Auch die Art, wie sich die Volksverteidigungskräfte
verteidigten, sei deren Sache. Er dankte der Guerilla, dass sie seinen
Bitten um Rückzug 1999 gefolgt sein und den Waffenstillstand gehalten
habe. Auch warnte er erneut vor Entgleisungen, wie sie beispielsweise
bei Semdin Sakik vorgekommen seien.
Weiterhin konkretisierte er das Organisationskonzept für den „demokratischen
Konföderalismus“. Sein Modell sieht Forschungskommissionen
und Exekutivkomitees vor, die zu einem breiten Spektrum von Themen arbeiten
sollen. Außerdem solle es eine Basisorganisierung in Kommunenform
geben. Insbesondere für die Durchsetzung muttersprachlichen Unterrichts
und Rundfunks müsse die Basis mit Aktionen selbst sorgen.
Wir dokumentieren
in leicht gekürzter Form das Gespräch Öcalans mit seinem
Verteidigungsteam.
Notizen des
Besuchs vom 11.05.2005
Öcalan: Das
Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird
morgen verkündet. Dann werden wir sehen, was es bringt. Jetzt möchte
ich noch nicht viel dazu sagen. Was gibt es für Kommentare? Was sagen
die englischen Anwälte?
Ist die Türkei in Panik? Warum redet Baykal so?
Haben sie im Vorfeld etwas erfahren? Haben sie etwa Angst, dass die Sache
mit Kenia auffliegt?
Anw.: Es ist
wichtig, dass die juristische Prozedur weitergeht.
Ist es wohl für
uns von Vorteil, wenn es lange dauert?
Europa scheint
jetzt die Initiative in die Hand nehmen zu wollen.
Interpretiert man
das so? Natürlich, jetzt ist der Europarat am Zug, jeder will den
Prozess als Trumpf benutzen. Es gibt ein großes Gezerre, das kurdische
und das türkische Volk sollten aufmerksam sein.
Ich verfolgt mit Interesse Europas Sicherheitskonzept. Europa hat ein
Dokument zur Sicherheitsstrategie veröffentlicht, daraus möchte
ich einen Paragraphen zitieren: „Die beste Sicherheitsstrategie
für Europa ist eine Gemeinschaft aus gut geführten demokratischen
Staaten, eine Weltgemeinschaft.“ Ich stimme diesem Verständnis
von Sicherheit zu. Ich habe letzte Woche gesagt, dass sich Sicherheit
nicht mit wirtschaftlichen oder militärischen Maßnahmen erzielen
lässt, sondern nur durch eine demokratische Strategie. Ich hoffe,
die Türkei schließt sich dieser Überzeugung an. Die Sicherheit
Europas rührt nicht von seiner ökonomischen und militärischen
Stärke her. Sie sagen: „Unser Sicherheitsverständnis besteht
aus Menschenrechten und Demokratie.“ Der Europarat wird zusammen
mit meinem Prozess die kurdische Frage behandeln.
Ich verurteile das Verhalten von Oppositionsführer Deniz Baykal und
das der Regierung. Dass Baykal wie die „Roter Apfel
-Fraktion“ engstirnig politische Kalkulationen anstellt, dass
er versucht, parteipolitisches Kapital zu schlagen, schadet der Türkei.
Der Prozess kann unmöglich ein Sicherheitsproblem für die Türkei
darstellen. Eine solche Auffassung von Sicherheit nützt der Türkei
überhaupt nicht. Ich gehe an den Prozess im Geiste der Strategie
der demokratischen Ganzheit [der Türkei] heran. Im Grunde werden
wir unseren demokratischen Kampf fortsetzen. Die Kurden sollten so an
die Sache herangehen. Dieser Prozess mag lange dauern, aber es besteht
die Wahrscheinlichkeit, dass es durch diesen Prozess zu einer Lösung
der kurdischen Frage kommt.
Wichtig ist auch, wie sich die Intellektuellen verhalten werden. Ich rufe
die Intellektuellen der Türkei zu größerer Ernsthaftigkeit
auf. Die Linksliberalen versuchen, mich niederzumachen, ich appelliere
an sie, davon abzulassen.
In Europa haben dreihundert Jahre lang die Nationalstaaten miteinander
gerungen, ihre Kriege bis hin zum zweiten Weltkrieg haben 100 Millionen
Menschen das Leben gekostet. Das Zeitalter der Nationalstaaten, das mit
dem Westfälischen Frieden von 1648 begann, hat Europa in ein Blutbad
verwandelt. Seit 1950 zieht Europa daraus die Konsequenzen. Sie haben
ihre Lektion über die Perspektivlosigkeit der Nationalstaaten gelernt.
Die Lösung, zu der sie heute gelangt sind, ist eben diese heutige
Sicherheitsstrategie. Eine Auffassung von Sicherheit, die auf Stärke
beruht, das Sicherheitsverständnis der kapitalistischen Hegemonie,
kann keine Sicherheit bringen. Die europäische Sicherheitsstrategie
hat die demokratische Staatengemeinschaft zusammengeschweißt. Das
ist auch für die Türkei eine Chance. Dessen bin ich mir völlig
bewusst. Es ist auch eine Chance für den demokratischen Kampf des
Volkes eines freien Kurdistans. Während meines Aufenthalts in Rom
habe ich mich genau darum bemüht, aber niemand ist ernsthaft darauf
eingegangen. Seit mittlerweile mehr als sechs Jahren verfolge ich eine
Strategie, bei der es um eine demokratische Lösung geht. Seit der
Tragödie von Rom, seit mehr als sechs Jahren bemühe ich mich
um eine Lösung für die Türkei und den Mittleren Osten.
Eine Lösung auf der Grundlage „demokratischer, freier Bürger“
in der Türkei können wir zum Vorbild für den Mittleren
Osten machen.
Ich möchte ein Beispiel aus der Türkei geben. Vielleicht gibt
es Menschen, die Mustafa Kemal wirklich verstehen wollen. Ich rede dabei
ausdrücklich vom Mustafa Kemal der 20er Jahre, nicht dem der 30er
Jahre. Sein Schritt, die Republik zu gründen, war revolutionär
und freiheitlich. Das muss man gut verstehen, darf es aber nicht fanatisch
konservieren, sondern muss es aktualisieren und für eine Lösung
unter heutigen Verhältnissen sorgen. Ich rufe alle auf, sich zu erneuern,
um zu einer demokratischen Republik, einer demokratischen Politik und
einer demokratischen Gesellschaft zu gelangen. Die Völker der Türkei,
die Intellektuellen und die Parteien sollen verstehen und das notwendige
tun.
Das ist wohl, was den Prozess betrifft, ausreichend. Ich bereite mich
vor. Wie ziehen eine politische Lösung entschieden vor. Wenn aber
Baykal weiter wie ein ziviler Generalstabschef redet und sie gegen uns
Militäroperationen durchführen, wenn also solche Angriffe zunehmen,
dann müssen sie wissen, dass wir keine andere Wahl haben. Das liegt
nicht in meiner Verantwortung. Ich unternehme seit fast 7 Jahren Schritte.
Es geht nicht darum, Stärke zu demonstrieren. Wenn es so wäre,
dann sähe es jetzt aus wie in Tschetschenien, Bosnien-Herzegowina
oder im Irak. Wir waren stark. Diese Schritte habe ich nicht getan, weil
wir verloren hatten, weil wir schwach waren. Vielmehr war ich überzeugt,
dass wir nicht auf dem richtigen Weg seien. Aber man hat es nicht verstanden.
Es hieß, wir hätten verloren, man habe uns niedergemacht, ich
wolle meine Haut retten. Diejenigen innerhalb der PKK, die das falsch
verstanden hatten, sind mittlerweile gegangen. Einige beharrten primitiv
auf Gewalt, diese habe ich verwarnt. Auch die Intellektuellen der Türkei
habe ich oft gewarnt. Seit sechs Jahren schreibe ich Briefe an die jeweiligen
Ministerpräsidenten, aber es gibt keine positive Reaktion. Wenn es
zu einer Wiederholung des Prozesses kommt, werde ich diese Linie weiterführen
und sie noch intensivieren. Meine Lösungsstrategie ist die Strategie
der demokratischen Ganzheit. Ihr werde ich treu bleiben.
Ich habe auch in der PKK interveniert und aufgezeigt, wie die Partei sich
verstehen sollte. Wir sind in eine neue Phase eingetreten. Ich habe mich
dazu geäußert, wie ich PKK, Kongra-Gel, PAJK und HPG verstehe.
Niemand soll sage, ich erteile Befehle. Hier erteilt niemand Befehle.
Wenn man mich um meine Meinung fragt, dann teile ich sie mit. Das ist
aus historischer Sicht von Bedeutung. Ich sage, wovon ich finde, dass
es der Staat, die Kurden und die Linke wissen sollten. Ich betone immer
und immer wieder, dass es nicht nötig ist, die Spannungen in der
Türkei aufrecht zu erhalten. Selbst wenn es zu einem Krieg kommen
sollte, muss man sich darin an Prinzipien halten.
Über die PKK möchte ich folgendes sagen: Ich denke, dass man
mich in der PKK seit 20-30 Jahren nicht richtig verstanden hat. Selbst
einer, der als mein Bruder gilt, versucht, mich zu verkaufen und hofft,
von meinem Prozess zu profitieren. Das ist eine anormale Situation. Er
hat sich von mir losgesagt, er weiß auch, wer mich hierher gebracht
hat. Was also will er noch? Manche benutzen mich, um in Europa Asyl zu
bekommen, wie Cürükkaya. Sie lassen sich bezahlen, leben auf
unsere Kosten, aber verraten uns. Ich habe mich von niemandem aushalten
lassen, auf niemandes Kosten gelebt. Ich habe selbst gewöhnliche
Bauernmädchen in den Dienst der Freiheit gestellt. Ich habe überaus
viel gearbeitet. Daher finde ich es nicht richtig, dass jetzt einige in
Europa und im Mittleren Osten auf meine Kosten leben.
Den Freundinnen und Freunden, die bei uns geblieben sind, sage ich nicht,
dass sie unbedingt tun sollen, was ich sage. Ich dränge mich nicht
auf. Aber sie sollen verstehen, was ich meine. Ich möchte, dass meine
Ansichten richtig verstanden werden. Die Freundinnen und Freunde sollen
sich dort einbringen, wo sie am nützlichsten sind. Sie sollen nicht
100%ig auf mich hören. Ich sage das auch dem Staat, draußen
habe ich 20 Jahre lang herumgeschrieen, aber ich konnte mich nicht immer
durchsetzen. Ich sage, sie sollen von meinen Ansichten profitieren.
[...]
Meine Äußerungen sind als Diskussionsbeiträge gedacht,
ich dränge mich nicht auf. Ob sie umgesetzt werden, hat mit der Leidenschaft
für die Freiheit zu tun. Wer keine Leidenschaft für die Freiheit
besitzt, keine freiheitliche Utopie hat, bringt kein Glück. Wer diese
Utopie nicht hat, sollte keine Waffe bekommen und auch keine politischen
Kompetenzen. Das gilt auch für die legale Politik. Wer keine Leidenschaft
für die Freiheit hat, soll nicht versuchen, von mir zu profitieren.
Niemand braucht Freundschaft vorzuspielen oder sich als Genosse zu tarnen.
Sie sollen sich aber auch nicht als Feinde aufspielen. Wenn jemand Feindschaft
betreibt, werde ich mich verteidigen.
Meine Bitte vor sechs Jahren, sich aus der Türkei zurückzuziehen,
sollte dem Frieden dienen. Sie haben diese Bitte erfüllt. Jahrelang
haben sie auf mich gewartet. Ich habe stets gesagt, wartet, vielleicht
unternimmt der Staat gewisse Schritte. Daran habe ich wirklich geglaubt.
Die Freunde haben sich in den Süden [Kurdistans] zurückgezogen.
Sie haben sich diszipliniert und ehrenhaft verhalten, dafür gratuliere
ich ihnen.
Der Staat hat sich nicht so verhalten, wie ich es erwartet habe. Er hofft
immer noch auf die USA, für ihn steht eine Politik
der Vernichtung immer noch auf der Tagesordnung.
Ich bin unseren Freundinnen und Freunden aufrichtig dankbar, weil sie
sich wie ehrenhafte Genossinnen und Genossen verhalten haben. Nun habe
ich keine Bitten mehr an sie. Ich sage weder „Kämpft!“
noch „Kämpft nicht!“. Sie müssen ihre Strategie
und Taktik selbst festlegen. Sie sollen nicht sagen „Der Vorsitzende
hat dieses und jenes gesagt oder befohlen.“
Ich werde respektieren, wenn sie das umsetzen, was ich vorschlage und
ebenso, wenn sie es nicht tun. Ich habe den Konföderalismus dargelegt.
Der Ehrenvorsitz bei diesem Projekt ist für mich eine historische
Mission. Sie sollen dies mit dem Iran, der Türkei, Europa und den
Völkern der Welt teilen.
Den kämpfenden Gruppen sage ich Folgendes mit Nachdruck: Ich überlasse
ihnen, wie sie ihre aktive Verteidigung der demokratischen Notwendigkeiten
gestalten. Wenn sie wollen, sollen sie sich in den Süden zurückziehen.
Wenn sie wollen, gehen sie ins Zivilleben zurück, wenn sie wollen,
kämpfen sie. Das hängt nur von ihrem eigenen Willen ab. Nicht
ich, ihr Wille ist entscheidend.
Wer sich kompetent fühlt und Heldentaten vollbringen will, tut das,
da mische ich mich nicht ein. Wer nicht in der Lage ist, sich zu schützen,
soll das nicht tun.
Beim Verhör hat ein Offizier etwas zu mir gesagt, was ich sehr bedeutungsvoll
fand. Er sagte: „Ich sage nicht, ihr sollt nicht kämpfen. Aber
auch ein Krieg hat Regeln. Was ihre Leute machen, ist alles andere als
Krieg führen.“ Ich sage nicht, sie sollen nicht kämpfen,
aber nicht im Stile von Semdin [Sakik]. Das ist Banditentum.
Dieser Bandenstil, den er erfunden hat, hat mich fertig gemacht. Wer im
Namen des Krieges einen anderen Stil anwendet, ruiniert sich und mich.
So etwas tut mir sehr leid.
Anw.: Osman Öcalan
und Dschalal Talabani versuchen, Sie für den Beschluss des 1.
Juni verantwortlich zu machen. Viele Kreise verwenden das gegen Sie.
Auch die Haltung Europas kann damit zusammenhängen.
Öcalan: Das
muss eben gut erklärt werden. Erklärt es dem Europarat und allen
anderen. Was die beiden machen ist Nationalismus nach Art von Arafat.
Sie betreiben Nationalismus und versuchen, es mir in die Schuhe zu schieben.
Anw.: Die Neugründung
[der PKK] wird in den Komitees für Wissenschaft-Kunst sowie Presse
des Kongra-Gel mitarbeiten. Sie sagen, sie wollen mehr ideologisch arbeiten.
Ich verstehen, sie
haben eine Trennung eingeführt. Ich sehe diese Partei mehr als ein
ideologisches Organ. Es ist keine klassische marxistische Partei, die
die Macht anstrebt, sondern eher eine ideologische und moralische Instanz.
Die Partei ist eine ideologische und von freier Moral geprägte Organisation
im Bereich der Religion, der Philosophie, der Wissenschaft und der Kunst.
In diesem Sinne beteiligen sie sich in den demokratischen Institutionen
der Organe des demokratischen Konföderalismus. Sie gründen Akademien.
Es gibt an vier Orten Vorbereitungen für Akademiegründungen.
Das können sie im Mittleren Osten und in Europa tun. Früher
gab es die tekke und die medrese,
heute gibt es Akademien. Sie brauchen sich nicht zu beeilen. In ihnen
können die arbeiten, die wirklich hohe Ansprüche haben. Das
gleiche gilt für die Frauenpartei. Diejenigen, die sich hundertprozentig
an die freiheitliche Moral halten, können darin mitarbeiten. Sie
tragen die freie Frau, ihre Identität und ihre Persönlichkeit
in die Gesellschaft. Koma Jinê Bilind ist wie ein Frauenkongress
im Kongra-Gel. Es stellt eine Alternative zu Kongra-Gel dar, ist aber
gleichzeitig Teil davon. Die Hauptfunktion von Kongra-Gel ist es, Politik
zu gestalten und ihre Regeln festzusetzen. Diese Regeln sind die Regeln,
wie die Gesellschaft geleitet wird. Es gibt zwei Arbeitsmodi. Sie stellen
Untersuchungen und Forschungen an, gründen dafür nach Bedarf
Kommissionen. Man könnte zum Beispiel mit einer Forschungskommission
über die Landwirtschaft beginnen. Die Komitees führen dies durch.
Sie können auch die ökologischen Probleme behandeln, darüber
forschen, Bedarf feststellen. Wenn für die Probleme 50 Kommissionen
gegründet werden, dann stehen ihnen 50 Exekutivkomitees gegenüber,
die die Durchführung leiten. Das gleiche System schlage ich auch
für die zu gründende Partei in der Türkei vor. Das sind
soziologische Vorgehensweisen, die ich vorschlage. Zum Beispiel könnte
die DEHAP bei ihrer Neustrukturierung mit 100 Personen 50 Komitees schaffen,
von Umwelt bis Recht. Daneben stellt sie dann 50 Exekutivkomitees. Das
sind demokratische Prinzipien. So funktioniert auch das System in Europa.
Die Europäische Kommission ist ja bekanntlich ein Entscheidungsgremium.
Daneben existiert der Europarat als Exekutivorgan. In modernen Demokratien
gibt es dieses Organisierungsmodell.
Die dritte Stufe der Organisierung ist die Basisarbeit. An ihr können
sich Millionen beteiligen. Die Basisorganisation ist die Kommune. Kommunen
können in jedem Dorf, jeder Fabrik, jedem Stadtteil gegründet
werden. Sie können beispielsweise Verantwortung für die Straßen
eines Dorfes, seine Bewässerungsanlagen, Beleuchtung, seinen Frieden,
seine Begrünung übernehmen. Sie produzieren Lösungen, führen
zivile Arbeiten durch. Das ist demokratische Politik. In der Türkei
nannte man das früher ocak, also Herd, Heim oder Klub. Auf diese
Weise kann sich das gesamte Volk schrittweise selbst organisieren. Ich
sage dies auch für zukünftige Institutionen. Dies ist meine
Auffassung. Sie gilt auch für diese neue Organisation. Wenn sie diesen
Kriterien genügt, unterstütze ich sie, wenn nicht, dann nicht.
Ich schlage vor, dass zwei Broschüren bzw. Bücher erstellt werden.
Erstens das „Handbuch für freie Bürgerinnen und Bürger“
oder auch „Handbuch des freien Bürgers“. Dies ist für
alle Mitbürgerinnen und Mitbürger. Das zweite ist eine Broschüre:
„Kommunarden an die Arbeit“, „Herine ser
kar“. Ich sage es noch mal: Sie können hunderte von Kommunen
gründen, vom Verein der Weizenbauern bis zum Verein für archäologische
Grabungen. Das dient der Basisdemokratie. Wer arbeiten will, soll sich
beteiligen. So entwickelt sich in der Türkei die Demokratie.
Ich hatte schon
einmal sechs Bücher vorgeschlagen, sind die erschienen?
Nein, aber es heißt,
es werde daran gearbeitet.
Diese Bücher
werden erscheinen, damit werden wir uns verteidigen.
Es heißt,
die Kongressvorbereitungen seien beendet, der Kongress werde möglicherweise
in einer Woche beginnen.
Mein Bericht ist
das, was ich gesagt habe. Mein Buch „Bir Halki Savunmak“ [2004]
bildet dessen Rückgrat. Meine Äußerungen der letzten Zeit
kann man ebenfalls als Bericht in meinem Namen vorlegen. Sie brauche sich
nicht zu beeilen, sie können sich Zeit lassen.
Ich möchte etwas Praktisches anmerken. Das Organisierungsmodell für
den demokratischen Konföderalismus wird langsam klarer. Dafür
kann man ein grundlegendes Gesetz schreiben. Ich will es nicht „Grundgesetz“
nennen, das wäre zu hoch gegriffen. Darin gibt es drei Organe, zum
Beispiel diskutieren sie darüber, ob die Exekutive von mir bestimmt
wird, oder ob sie der Kongress wählt. Ich hatte vier Prinzipien genannt.
Auch die können im Bericht genannt werden. Ich dränge nichts
auf, ich sage das, weil ich der Begründer bin. Das Sozialkomitee
wird dreigeteilt, an seine Stelle treten drei Komitees. Ein Komitee für
Bildung, eines für Gesundheit. Diese sind für die Gesundheit
und die Bildung des Volkes zuständig. Das sind demokratische Pflichten.
Auch die neu zu gründende Partei wird sich darum kümmern. Es
geht nicht an, dass sie Parlamentssitzen, Ministerien, Abgeordnetenmandaten
hinterherlaufen. Sie sollen sich um die wichtigsten Probleme des Volkes
kümmern. Man muss ihnen tägliche, praktische Aufgaben stellen.
Ich habe noch zwei Vorschläge: Presse und Publikationen in der Muttersprache
und muttersprachliche Bildung. Es gibt neue Gesetze, aber die Regierung
setzt sie nicht um. Warum werden sie nicht umgesetzt? Wenn man ihre Umsetzung
nicht verlangt, wird sie niemand umsetzen. Mütter, Kinder können
jeden Tag demonstrieren und Ausbildung und Rundfunk in der Muttersprache
verlangen. Das gilt nicht nur für Kurdisch, sondern auch für
die anderen Sprachen. Es muss zumindest das Alphabet der Muttersprache
gelehrt werden. Man kann überall sagen: „Zimanê dayika
xwe dixwazim“, „Ich will meine Muttersprache“, ich will
Rundfunk und Presse. Das tun sie so lange, bis in jedem Dorf und in jeder
Schule die Muttersprache gelehrt wird. Es gibt Türkisch, aber daneben
lernen sie auch ihre Muttersprache. Die Frauen können sagen: „Ich
bringe Kinder zur Welt, aber ich kann ihnen meine Sprache nicht beibringen.“
Sie können ihre muttersprachlichen Schulen auch außerhalb gründen.
Das dritte Komitee ist das Kulturkomitee. Es befasst sich mit Geschichte,
Sprache, Literatur.
Für „Koma
Komalên Kurdistan“ ist bisher die Abkürzung KKK nicht
verwendet worden, da eine rassistische Organisation in den USA dieselbe
Abkürzung verwendet.
Was hat das denn
damit zu tun? Es kann eine Publikation mit dem Namen „Komarya“
oder „Komala“ geben. Sie kann wöchentlich sein und sich
an die gesamte Bevölkerung richten. Sie kann in der Türkei erscheinen,
auch auf Kurdisch. „Özgür Halk“ erscheint immer
noch, nicht wahr?
Ja, sie senden
auch Grüße.
Die Linie des demokratischen
Konföderalismus ist klar geworden, sie sollen sie weiterentwickeln.
Das schlage ich allen Sympathisanten und Freunden vor. Ich grüße
sie und wünsche viel Erfolg. Sie sollen ihre Verlagslinie gemäß
dem neuen Geist ausrichten. Alles, was ich hier vorbringe, sind Thesen,
die Themen für Bücher sein können.
Özgür
Halk stellt Bücher aus Ihren alten Reden zusammen.
Gut. Ich arbeite zurzeit
über die Werttheorie und über die Staatstheorie. Ich bin zu
wichtigen Schlüssen gekommen. Ich werde demnächst darüber
schreiben. Das wird die Intellektuellen freuen. Demir Kücükaydin
hat diese Dinge diskutiert, ich schlage ihm vor, dass er verfolgt, was
ich schreibe. Schreibt er noch für die Zeitung?
Es gab Probleme,
im Moment schreibt er nicht.
Er kann trotz Problemen
schreiben oder auch nicht, wie er will. Wie steht es um die Zeitung?
Sie hat strukturelle
Probleme.
Gibt es bei der Zeitung
Lager?
Wir werden das
beobachten und übermitteln, wenn wir uns ein Bild gemacht haben.
Gut. Pinar Selek sollte
die neuesten Erkenntnisse der Soziologie in der Zeitung wiedergeben. Früher
hat das Behice Boran getan, heute kann sie es tun. Komala
kan wöchentlich in Kurdisch, Zazaki oder Türkisch erscheinen.
Ich dränge zu nichts, das sollen sie selbst entscheiden.
Für die Frauen schlage ich eine dreistufige Arbeit vor: Partei, Kader,
Massen.
Ich nehme an, es schließen sich weiterhin Menschen an, auch die
Operationen des Militärs gehen wohl weiter. Sie sollen sich schützen.
Für den Irak können eine türkmenische und eine assyrische
Konföderation zu einer Lösung viel beitragen. Sie können
kleine, föderale Strukturen aufbauen. In der letzten Woche hatte
ich von Bundesländern gesprochen, jedes Bundesland kann mit einer
konföderalen Organisierung beginnen. Das ist ein demokratischer Vorgang.
Ich schlage keine Konföderation von Kleinstaaten, keinen Staat vor.
Mir wurde wegen meines Konföderalismus-Vorschlages Nationalismus
vorgeworfen, das ist üble Verleumdung. Auch Europa diskutiert über
Föderalismus und Konföderalismus. Wenn wir darüber nicht
diskutieren, wird sich an Kerkuk ein Krieg ähnlich wie in Palästina
und Israel entzünden, der hundert Jahre dauert. Der demokratische
Konföderalismus ist die Ideallösung.
Sie können über meine Vorschläge diskutieren, sie weiterentwickeln.
Auch die „Bewegung für eine demokratische Gesellschaft“
arbeitet ja sicher weiter, das Gesagte hilft auch ihnen. Ich rede vom
europäischen Modell. Ich plane keine Geheimorganisationen, so etwas
schlage ich nicht vor. Der Frauen sage ich: Freiheit geht über alles.
Ich hoffe, sie machen keine Fehler mehr, ich vertraue ihnen. Die Erschaffung
einer demokratischen Nation wird ihr Werk sein.
Anmerkungen:
1 - Oppositionsführer
Deniz Baykal hatte im Vorfeld der Urteilsverkündung eine Wideraufnahme
des Prozesses mit provokativen Äußerungen abgelehnt und dabei
Katastrophenszenarien gezeichnet.
2 - „Roter Apfel”:
Titel eines Buches von Ziya Gökalp von 1915 legte. Gökalp die
theoretische Grundlagen für den Panturkismus, der die Türkifizierung
aller Nationalitäten zum Ziel hatte. Gemeint sind hier die völkischen
türkischen Nationalisten
3 - Die Türkei
fordert die USA immer wieder auf, im Irak gegen die Volksverteidigungskräfte
(HPG) und den Kongra-Gel militärisch vorzugehen
4 - Semdin Sakik
ist ein ehemaliger Guerillakommandant, der u. a. für die gezielte
Tötung unbewaffneter Rekruten während eines Waffenstillstands
verantwortlich ist, wodurch dieser sinnlos wurde.
5 - Beschluss der
Volksverteidigungskräfte über den Verteidigungkampf, weil die
Militäroperationen stark zugenommen hatten.
6 - islamisches Derwischkloster
7 - islamische Schule
8 - im Original kurdisch
9 - in den 70ern Abgeordnete
der Türkischen Arbeiterpartei TIP
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