Nach einer weiteren Einschränkung der Rechte der Verteidigung – jetzt ist bei jedem Anwaltsbesuch ein Beamter mit Stimmaufzeichnungsgerät anwesend – erklärten sowohl Öcalan als auch seine Verteidiger, dies sei unzumutbar. Unter diesen Bedingungen werden sie die regulären Treffen boykottieren. Gleichzeitig erklärten sie, ein faires Verfahren sein unter solchen Bedingungen in der Türkei unvorstellbar. Lediglich ein internationales Gericht, das über beide Seiten des Konflikts richte, könne hier für Gerechtigkeit sorgen. Solange die Möglichkeit eines fairen Verfahrens nicht bestände, werde man keine Neuaufnahme des Verfahrens beantragen. Wir dokumentieren einen Bericht der Nachrichtenagentur MHA vom 3.6.2005 über das Treffen Öcalans mit seinen VerteidigerInnen am 1.6.2005 Öcalan lehnt Prozess unter den gegenwärtigen Bedingungen ab – Internationales Gericht gefordert Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das Verfahren gegen Öcalan sei nicht frei und fair gewesen, stellte der Kurdenführer jetzt Bedingungen für ein faires Verfahren. Andernfalls werde er eine Neuverhandlung nicht akzeptieren. Öcalan forderte seine Anwälte auf, eine Wiederaufnahme des Prozesses nicht zu beantragen, solange die Bedingungen für einen fairen Prozess nicht bestünden. Die Anwältin Aysel Tugluk erklärte gegenüber MHA, dass Öcalan unter den gegenwärtigen Bedingungen einen neuen Prozess ablehne und nicht zu den Anwaltsbesuchen erscheinen werde. Öcalan habe erklärt: „Wenn die entsprechenden Bedingungen nicht geschaffen, sondern eine neue Farce inszeniert werden soll, lasse ich mich dafür nicht benutzen.“ Die Anwältin machte darauf aufmerksam, dass die jüngste Strafrechtsreform insbesondere auf ihren Mandanten abziele. Erst unmittelbar vor dem Anwaltsbesuch sei ihnen mitgeteilt worden, dass das nach einer Entscheidung des 1. Strafvollzugsgerichts Bursa das Treffen auf Tonband aufgezeichnet werde und dass ein Dienst habender Beamter anwesend sein werde. Tugluk erklärte, dass es den Verteidigerinnen und Verteidigern unter diesen Bedingungen unmöglich sei, mit ihrem Mandanten zu sprechen und dass sie ihn darüber informieren wollten. „Auch unser Mandant lehnt diese Maßnahmen ab und forderte Informationen über die Rechtsgrundlage. Allerdings wurde auch das nicht gestattet. Daher fand unser Gespräch im Beisein eines Beamten mit einem Tonaufzeichnungsgerät statt,“ so Tugluk weiter. Öcalan habe erklärt, er sehe sich unter diesen Umständen nicht in der Lage zu sprechen. Sie hätten ihn kurz über die neuen Maßnahmen informiert, und er habe erklärt, er wisse zum Teil davon. Dieses Gesetz sei speziell für ihn erlassen worden, unter diesen Umständen sei es nicht sinnvoll, zum Gespräch zu erscheinen. Öcalan habe gegen diese Maßnahmen protestiert und sie als „Schlussstrich der Regierung unter den Normalisierungprozess, den wir seit sieben Jahren betreiben“ gewertet. Öcalan habe von einem Konzept gesprochen, dass zur Anwendung gebracht werde. Es sehe vor, „den Kopf abzureißen um dann den Körper zu zerstückeln.“ Er sehe sich als „einer, der die Forderungen eines Volkes nach Freiheit vertritt.“ Laut Tugluk wertete Öcalan die Maßnahmen als Versuch, sowohl seinen Willen zu brechen als auch ihm physisch die Luft zu nehmen. Diese Situation sei gefährlicher als die in den 90ern zur Zeit Tansu Çillers. „Dies ist vielleicht unser letztes Treffen“ Diese Maßnahmen seien die Fortsetzung der Vernichtungspraxis und verunmöglichten Frieden und eine demokratische Lösung. Selbst Israel sage zu den palästinensischen Organisationen: 'Hört mit der Gewalt auf, und wir können über alles diskutieren, einschließlich des Rechts auf Gründung eines Staates.’ Er hingegen wolle keinen Staat, sondern eine demokratische Lösung auf der Grundlage der allgemeinen Menschenrechte. Wenn selbst das nicht akzeptiert werde, gebe es nichts weiter zu tun. Öcalan habe das Treffen mit seinem Verteidigungsteam als „vielleicht letztes“ bezeichnet. Er werde die neuen Maßnahmen nicht akzeptieren. Sie stünden im Zusammenhang mit der Wiederholung des Gerichtsverfahrens. „Jeder, vom Ministerpräsidenten bis zu den Heereskommandanten, vom Staatsanwalt bis zum Richter sagt, das Urteil werde sich nicht ändern, auch wenn man den Prozess tausend Mal durchführe. Die Armee bezeichnet sich als Prozesspartei. Der EGMR hingegen hat die Verhandlung vor einem unparteiischen Gericht eingefordert. Wie kann es einen unparteiischen Prozess geben in einer Situation, in der sich der Staat zur Prozesspartei erklärt?“, so Öcalan. Ein fairer Prozess komme nicht schon dadurch zustande, dass der Militärrichter durch einen zivilen Richter ersetzt werde. 'Sie sagen, wir sind eine Seite, dann sind wir die andere Seite. Es muss ein Prozesskonzept geben, dass uns als Prozesspartei anerkennt. Nur in diesem Fall ergibt eine Neuverhandlung Sinn,’ habe er gesagt. „Ich werde mich dafür nicht Instrumentalisieren lassen“ Öcalan habe es abgelehnt, sich unter den gegeben Bedingungen für ein Theater instrumentalisieren zu lassen und habe seine VerteidigerInnen aufgefordert, keine Neuverhandlung zu beantragen, solange die Bedingungen für ein faires Verfahren nicht geschaffen seien. Er habe betont, der EGMR habe den Fall als einen besonderen behandelt, und in diesem Zusammenhang sei das entscheidende, die Bedingungen für ein faires Verfahren zu schaffen. Es werde jetzt verschiedentlich behauptet, er habe damals das Urteil auf Imrali akzeptiert. Jedoch habe er das Verfahren damals abgelehnt und es als 'Betrug’ bezeichnet. Auch damals habe er das Verfahren als unangemessen betrachtet. Allerdings habe er auf Imrali ein Zeichen für den Frieden setzen wollen und deshalb unter großen Risiken die Linie des Friedens entwickelt. Vor diesem Hintergrund habe er das Verfahren akzeptiert. Öcalan habe einige Aufrufe anbringen wollen und daher den Prozess auf Imrali akzeptiert. Er habe gesagt: „Es heißt jetzt, ich würde die Organisation steuern. Ich habe niemandem Befehle erteilt. Aber um die Situation in der Türkei zu normalisieren war eine Phase des Wandels notwendig. Um die Gefechte zu stoppen und sie von der etatistisch-nationalistischen Linie abzubringen, beharre ich seit mehr als sechs Jahren auf meiner friedlichen Linie.“ Die Kurden wurden wieder verkauft Öcalan habe weiter erklärt, offensichtlich werde dies nicht akzeptiert und nicht darauf reagiert. Er lasse sich aber nicht für ein übles Spiel missbrauchen. Eine Neuverhandlung unter diesen Umständen lehne er ab. Es handle sich um ein abgekartetes Spiel. Man habe sich mit einigen Unternehmen aus Europa geeinigt und die Kurden wieder verkauft. Aus den besagten Erklärungen des Staates gehe hervor, dass es kein unabhängiges und faires Verfahren geben werde. Er fordere ein gesondertes Verfahren zu ermöglichen, in dem über sämtliche Ereignisse des Krieges gerichtet werde und in dem er selbst nur eine Seite vertrete. Sonst werde er einen Prozess nicht akzeptieren. Er werde beschuldigt, der 'Mörder von 30.000 Menschen’ zu sein. Das Geschehene sei aber zu komplex, um dafür eine einzelne Person verantwortlich machen zu können. Er persönlich habe nicht eine einzige Person getötet. Auch auf ihrer Seite habe es Verluste gegeben, tausende Dörfer seien zerstört und abgebrannt, tausende Menschen ermordet worden. Das müsse nach Europa getragen werden. Er habe seine Anwälte beauftragt, sich in Europa um die Schaffung eines Gerichts durch den Europarat zu bemühen, das über beide Seiten richten solle. Öcalan habe auch an die widerrechtliche Verschleppung aus Kenia erinnert und darauf hingewiesen, dass er sich eigentlich noch innerhalb der Grenzen Griechenlands aufhalten müsse. Er habe dort Asyl beantragt, in Italien habe er sogar Asyl erhalten. Auch das müsse erneut verfolgt werden. Wir werden den juristischen Kampf führen Tugluk betonte, Öcalans Haltung in diesem Punkt sei deutlich. Er werde eine Neuverhandlung nicht akzeptieren, solange die Bedingungen für ein faires Verfahren nicht gegeben seien. Es müsse einen Prozess im Rahmen des Europarates geben, in dem sie eine Seite, die Türkei die andere Seite darstellten. Andernfalls sehe er eine Verhandlung als Farce an, für deren Inszenierung er sich nicht instrumentalisieren lasse. Das müsse jeder wissen. Tukluk kündigte an, sie als Anwältinnen und Anwälte würden in der Türkei und in Europa weiter den juristischen und diplomatischen Kampf gegen Isolation und ungerechte Behandlung führen: „Wir denken, dass die neuen gesetzliche Maßnahmen und die Tatsache, die auch unser Mandant betont, nämlich dass sich der Staat selbst für parteiisch erklärt und den Prozess als Staatsangelegenheit betrachtet, einen fairen, unabhängigen und unparteiischen Prozess in der Türkei unmöglich machen.“ Der Staat insgesamt hebe hier die Unabhängigkeit der Justiz auf und setze eine Politik durch, die sie ablehnten. Der Staat habe sein Urteil bereits jetzt gefällt: „Es gibt bereits ein Urteil, ohne dass der Prozess stattgefunden hätte,“ so Tugluk. Es sei daher offensichtlich, dass die Bedingungen für einen fairen Prozess nicht gegeben seien. „Ein Schlag gegen das Recht auf Verteidigung“ Tugluk erklärte wörtlich: „Bekanntlich ist am 1. Juni eine gesetzliche Neuregelung der Anwaltsbesuche in Kraft getreten. Noch am selben Tage wurde dieses Gesetz gegen uns in Anwendung gebracht. Dadurch ist ganz offenbar geworden, dass dieses Gesetz speziell für uns verabschiedet wurde.“ Die ungerechte Behandlung gegen ihren Mandanten werde im Rahmen eines systematischen Konzeptes durchgeführt. Dies blockiere ihrer Ansicht nach den Prozess einer Lösung. Unrechtmäßigkeiten gebe es seit mehr als sechs Jahren, die neuesten Maßnahmen seien jedoch darauf gerichtet, das Recht auf Verteidigung völlig zu beschneiden und eine Verteidigung unmöglich zu machen. Sie sähen diese Maßnahmen als Verletzung des Rechts auf Verteidigung und als Verletzung der Menschenrechte ihres Mandanten und könnten sie daher nicht akzeptieren. Da sie ihr Mandat weiterhin wahrnehmen, werden sie in Zukunft juristisch und politisch dagegen kämpfen. „Auch wir werden diese Maßnahmen nicht dadurch indirekt legitimieren, dass wir Besuche unter diesen Bedingungen durchführen“, so Tugluk weiter. „Unsere Hoffnungen, dass die Türkei sich in diesem Sinne positiv weiter entwickeln kann, haben einen Dämpfer erhalten.“ Sie wollten nun versuchen, die juristische und politische Dimension dieser Maßnahmen vor die Weltöffentlichkeit zu tragen und so einen diplomatischen und juristischen Kampf zu führen. Ihr Kampf gegen Unrechtsregelungen zur politischen Knebelung ihres Mandanten werde weitergehen. „Unter diesen Umständen werden wir keine Besuche durchführen. Wir werden für die Aufhebung dieser Maßnahmen kämpfen. Wir werden in der Türkei die nötigen Schritte einleiten, aber ebenso eine diplomatische Initiative starten, um bei Europarat, Ministerrat und Vereinten Nationen die Bedingungen für einen erneuten Prozess einzufordern“, sagte sie. Öcalans gesundheitliche Probleme seien ebenfalls unverändert. Er selbst habe dazu geäußert: „Organismen passen sich erst nach 500 Jahren einer veränderten Umwelt an. Ich habe Mühe, sieben Jahre in dieser Umgebung zu überleben. Ich lebe hier so wie ein Fisch auf dem Trockenen.“ Allerdings fühle er sich stark genug, diese Bedingungen auszuhalten. MHA |
Übersetzung
aus dem Türkischen |