Die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, der die Umstände
der tödlichen Schüsse am israelischen Konsulat klären soll,
wird immer wahrscheinlicher. Sowohl der Vorsitzende des Rechtsausschusses
des Abgeordnetenhauses, Norbert Schellberg (Bündnis 90/Grüne),
als auch die Sicherheitsexpertin der SPD, Heidemarie Fischer, sprachen
sich für einen solchen Schritt aus, sollte Justizsenator Ehrhart Körting
am Donnerstag im Rechtsausschuß „nur unzureichend informieren“ (Schellberg).
Tatsächlich gibt es auch vierzehn Tage nachdem israelische Wachleute
des Inlandsgeheimdienstes „Shin Beth“ vier Kurden bei der versuchten Besetzung
des Konsulates in der Schinkelstraße töteten, so gut wie keine
offiziellen Stellungnahmen der ermittelnden deutschen Staatsanwaltschaft
zum Tathergang. Offen ist derzeit vor allem die Frage, ob die Schüsse
aus „Notwehr in die Beine“ innerhalb des Gebäudes abgegeben wurden,
wie die israelische Botschaft in Bonn in einem ersten Bericht in der vergangenen
Woche behauptete.
Die Schützen, die nach unterschiedlichen Angaben zwischen 15 und
30 Schuß aus ihren 9-mm-Dienstpistolen (Typ Jericho) abgaben, wurden
bislang nur als Zeugen vernommen. Gegen die beiden, die zwei Tage nach
den Schüssen, nach israelischer Darstellung „aus Sorge vor Racheakten“,
nach Israel geflogen wurden, liegen im Rahmen des Todesermittlungsverfahrens
keine Anzeigen vor.
Polizisten der Einsatzbereitschaft, die eintraf, als die ersten Schüsse
bereits gefallen und Kurden bis in den ersten Stock des Konsulats vorgedrungen
waren, filmten die Geschehnisse von der Frontseite des Konsulates aus.
Den Aufnahmen und Zeugenaussagen zufolge schoß mindestens ein Wachmann
ins Freie, in eine zweite Gruppe von mit Ästen und Stangen bewaffneten
Kurden. Er soll sein Magazin demnach wahllos leergeschossen haben. Polizisten
sagten auch aus, daß die Tür zum Konsulat von innen geöffnet
wurde. Ein Sprecher der israelischen Botschaft nannte diese These „absurd“
und „falsch“.
In einer veränderten Darstellung gegenüber dem „Tagesspiegel“
soll die israelische Botschaft jetzt zum Tathergang schreiben, daß
„ein Sicherheitsbeamter nach zwei ersten gezielten Schüssen“ von der
Konsulatstreppe aus auf die teilweise gestürzten Kurden schoß.
Dieser zweiten israelischen Darstellung waren Berichte in der „Berliner
Zeitung“ vorausgegangen, die aussagten, daß mindestens zwei der getöteten
Kurden durch Kopfschüsse ums Leben kamen. Die 18jährige Selma
Alp wurde dabei von einer Kugel seitlich von hinten getroffen. Diese Darstellungen
ließen Zweifel an der Notwehr-These der Botschaft aufkommen. Zunächst
hatte die israelische Seite angegeben, alle Schüsse bis auf einen
Warnschuß seien im Gebäude gefallen.
KURDEN
Projektile trafen Opfer seitlich in den Kopf
Wachsende Zweifel an israelischer Notwehr-Version
Von Matthias Gebauer und Michael Helberg
BERLIN, 2. März. Zwei Wochen nach der Schießerei am israelischen
Konsulat gerät die israelische Version, die tödlichen Schüsse
auf vier Kurden seien in „Notwehr“ abgegeben worden, weiter in Zweifel.
Wie aus dem Bericht der behandelnden Ärzte des am Wochenende verstorbenen
Kurden Sinan Karakus und dem Obduktionsbericht über die 18jährige
Sema Alp hervorgeht, haben die Projektile aus den Waffen der Sicherheitsbeamten
die Kurden seitlich in den Kopf getroffen. Im Obduktionsbericht zum Fall
Sema Alp wird die Richtung des tödlichen Projektils in den Kopf mit
„seitlich halbschräg von hinten“ angegeben. Ein weiterer, nicht tödlicher
Schuß soll die Frau in den Rükken getroffen haben. Ein weiteres
Todesopfer, der 24jährige Ahmet Acar, wurde durch zwei Schüsse
in den Bauch, der 28jährige Mustafa Kurt von seitlichen Schüssen
durch die Brust getötet.
Diese neuen Fakten, vor allem die verschiedenen Schußrichtungen,
stehen im Widerspruch zu der von den Israelis verbreiteten Version, in
der von gezielten Schüssen aus Notwehr gesprochen wurde. Auf der Israelis
wollte man dazu keine Stellung nehmen. „Wir bleiben bei unserer Erklärung“,
so der Sprecher der Botschaft in Bonn, Dan Heiman. Genauso hatte er auf
die Tatsache reagiert, daß zwei der Toten durch Kopfschüsse
getötet wurden. Der Sprecher wies auch einen Bericht von Berliner
Ermittlern zurück: Danach sollen Polizisten ausgesagt haben, daß
die Leichen der im Treppenhaus erschossenen Kurden von den Ermittlern der
Mordkommission im Keller aufgefunden wurden. Eine Rekonstruktion sei so
erschwert worden. Nach Angaben des Botschaftssprechers hätten
deutsche Beamte die Leichen nach unten gebracht.
Aufklärung gefordert
In Berlin forderten Vertreter aller Parteien von Justizsenator Körting
(SPD) im Rechtsausschuß am Donnerstag endgültige Aufklärung.
Andernfalls verlangten Vertreter der Grünen und der SPD einen Untersuchungsausschuß.
Staatsanwaltschaftssprecherin Michaela Blume sagte: „Solange die Vorwürfe
nicht umfassend geprüft worden sind, werden Einzelheiten nicht öffentlich
gemacht.“ Dazu zähle auch der Obduktionsbericht.