Berlin - Haben die israelischen
Sicherheitsleute wirklich aus Notwehr auf die randalierenden PKK-Demonstranten
geschossen? Feuerten sie aus dem Generalkonsulat oder standen sie davor?
Die Umstände der Todesschüsse am israelischen Generalkonsulat
in Berlin sind auch nach dem Zwischenbericht des Berliner Generalstaatsanwalts
Hansjürgen Karge noch nicht geklärt.
Am Freitag erhoben erstmals beteiligte Kurden schwere Vorwürfe
gegen die israelischen Wachleute. Einer von ihnen habe „sofort gezielt
in die Menge geschossen“. Unterdessen gedachten am Freitag in Berlin-Kreuzberg
etwa 400 Menschen des vierten Kurden, der Tage nach der versuchten Erstürmung
des Konsulates seinen Verletzungen erlegen war.
In der am Freitag von fünf Anwälten von Kurden veröffentlichten
Darstellung heißt es, ein israelischer Wachmann habe von der Eingangstür
des Konsulats aus ohne Vorwarnung gezielt in die Menge auf der Treppe geschossen.
Ein Angriff auf den Sicherheitsbeamten sei nicht erfolgt. Die von hinten
hinzugekommene Berliner Polizei habe den Kurden mit Schlagstöcken
zugleich den Rückzug versperrt.
Dagegen hatte die Berliner Justiz am Vortag erklärt, das Verhalten
der israelischen Sicherheitsleute könnte als Notwehr gerechtfertigt
gewesen sein. Ob diese Notwehrlage für den gesamten Ablauf gelte,
stehe noch nicht fest, meinte der Berliner Generalstaatsanwalt Hansjürgen
Karge. Da die Konsulats-Wachleute diplomatische Immunität besitzen,
kann die deutsche Justiz ohnehin nicht gegen sie vorgehen.
Offizielle israelische Stellen erklärten, die Berliner Justiz
habe die israelischen Angaben bestätigt, wonach die meisten Schußverletzten
Schüsse in die Beine erlitten hätten. Auch die Sammlung von 17
Patronenhülsen habe bisherige israelische Angaben bestätigt.
Man hoffe, daß in einem abschließenden Bericht auch die Frage
nach der aufgebrochenen Eingangstür, durch die die Kurden in das Konsulat
gestürmt seien, geklärt werde. Man sei zwar offen, Fehler
einzuräumen, doch gebe es bislang wenig Gründe dafür.
In der Erklärung der von ihren Anwälten namentlich nicht
benannten Kurden heißt es weiter, mehrere Kurden seien - ohne in
Kontakt mit der Polizei zu kommen - durch die Pforte auf das Gelände
des Konsulats gelangt. Dann habe sich die Eingangstür geöffnet.
Nach den ersten Schüssen habe ein Beteiligter gerufen: „Nicht schießen,
wir machen nichts.“ Trotzdem sei eine zweite Salve abgegeben worden.
Die israelische Zeitung „Jedioth Achronoth“ berichtete außerdem
am Freitag, in kurdischen Kreisen in Europa kursiere ein Foto eines an
den Schüssen beteiligten israelischen Sicherheitsbeamten. Dem Foto
angeheftet sei die Erklärung, der Mann müsse für den Tod
der vier in Berlin getöteten Kurden „mit seinem Kopf“ bezahlen.
Nach Angaben von Michaela Blume, Sprecherin der Berliner Justizbehörde
laufen die Ermittlungen von seiten der Berliner Justiz weiter: „Der Sachverhalt
bleibt bestehen. Einige Sicherheitskräfte und viele der kurdischen
Demonstranten müssen noch vernommen werden. Das wird noch etwa einen
Monat dauern.“ Gegen 17 Kurden laufen außerdem noch Verfahren wegen
Landfriedensbruchs, Hausfriedensbruchs und Körperverletzung.
Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, geht ein Bericht an das Auswärtige
Amt.
Generalstaatsanwalt Karge sagte vor dem Rechtsausschuß des Berliner
Abgeordnetenhauses, wenn die zwei betroffenen israelischen Sicherheitskräfte
keine Immunität genießen würden, hätte man wegen fahrlässiger
Tötung ermittelt.
Er schloß nicht aus, daß ein
Rechtshilfeersuchen an Israel gestellt werde, um die Beamten in ihrer
Heimat strafrechtlich verfolgen zu können.
Die Berliner Grünen fordern derweil einen Untersuchungsausschuß
des Abgeordnetenhauses, um die Vorgänge an der Botschaft zu klären.
Fraktionsvorsitzende Renate Künast:
„Wir haben die Israelis überhaupt erst in die Situation gebracht,
sich verteidigen zu müssen, weil die Polizei nicht rechtzeitig da
war.“ (dpa/syp)
taz Berlin 6.3.1999
Kurden trauerten um vierten Toten
Knapp 1.000 Menschen nahmen friedlich Abschied von dem vierten kurdischen
Todesopfer der versuchten Besetzung des israelischen Konsulats. Nach Darstellung
der Anwälte schossen die Sicherheitsbeamten nicht aus Notwehr
Ohne daß es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, nahmen
gestern knapp 1.000 Menschen Abschied von einem weiteren kurdischen Todesopfer.
Der 26jährige Sinan Karakus war kürzlich an den Folgen eines
Schusses gestorben, der ihn bei der kurdischen Demonstration am Aschermittwoch
vor dem israelischen Konsulat in den Hinterkopf getroffen hatte. Zwei Kurden
und eine Kurdin waren von den Schüssen israelischer Sicherheitsbeamter
bereits bei der versuchten Besetzung des Konsulats getötet worden.
Zu den Klängen der kurdischen Nationalhymne trugen Angehörige
den Sarg gestern auf den Blücherplatz in Kreuzberg, wo sie ihn auf
einen Tisch neben die großformatigen Fotos aller Erschossenen stellten.
Fast alle Anwesenden reckten ihre geballten Fäuste gen Himmel oder
zeigten mit gespreizten Fingern das Siegeszeichen. Hunderte Trauernde defilierten
dann an dem mit einer kurdischen Fahne bedeckten Sarg vorbei und überhäuften
ihn mit roten Nelken.
Argwöhnisch beobachteten zahlreiche Zivilpolizisten am Rande des
Trauerzuges, wie DemonstrantInnen mit kurdischen Fahnen, PKK-Symbolen und
Öcalan-Bildern hantierten. Die Polizei, die rund um den Blücherplatz
mit mehreren Hundertschaften präsent war, hielt sich jedoch im wesentlichen
zurück. Nach Polizeiangaben wurde eine Person wegen des Zeigens der
PKK-Fahne und wurden zwei Personen wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz
verhaftet. Zehn weitere Personen nahm die Polizei vorübergehend fest.
Eine Rednerin der PDS protestierte gegen die Verhaftungen von kurdischen
PolitikerInnen in der Türkei. „Die Grünen teilen die Trauer um
die Todesopfer“, sagte Wolfgang Wieland, Innenpolitiker von Bündnis
90/Die Grünen. Er versicherte, daß seine Partei sich weiterhin
für die Aufklärung der Geschehnisse an der israelischen Botschaft
einsetzen werde.
Gestern legten an der versuchten Besetzung beteiligte Kurden ihre Schilderung
der Ereignisse vor, die sich von den Angaben der deutschen Polizei und
denen der israelischen Sicherheitskräfte deutlich unterscheidet.
Nach Angaben ihrer Anwälte waren einige DemonstrantInnen „durch die
freie Pforte auf das Gelände des Generalkonsulats“ gelangt und hatten
sich auf die Außentreppe begeben. Während eine „größere
Anzahl“ Kurden auf dieser Treppe von hinten von deutschen Polizisten bedrängt
worden sei, habe ein israelischer Sicherheitsbeamter die Eingangstür
geöffnet und sei mit der Waffe im Anschlag auf die Treppe getreten.
Daraufhin habe er sofort gezielt in die Menge geschossen. Bei einer zweiten
Schußsalve sei die 18jährige Kurdin Sema Alp, die durch einen
Schuß in den Hinterkopf starb, „im oberen Teil der Außentreppe
stehend getroffen worden“.
Diese Darstellung widerspricht der israelischen. Danach handelten die
Sicherheitsbeamten in Notwehr, weil Kurden versucht hätten, ihnen
die Waffe abzunehmen.
Gestern hat die Kurdische Gemeinde angekündigt, eine Telefonaktion
„Berliner fragen, Kurden antworten“ zum Abbau von Vorurteilen durchzuführen.
Anrufe werden von Montag bis Mittwoch jeweils von 14 bis 18 Uhr unter der
Rufnummer 61401427 entgegengenommen.
Hannes Koch
DIE WELT, 6.3.1999
Israel befürchtet Mordaufruf der PKK
Bericht über „Steckbrief“ eines der Sicherheitsbeamten aus Berlin
wird von kurdischer Seite dementiert
Von Stephan Haselberger, Jens Jessen und Eelco van den Heuvel
Berlin In Kurden-Kreisen zirkuliert offenbar ein europaweiter
Aufruf zum Mord an einem der beiden Sicherheitsbeamten, die beim Sturm
der PKK-Aktivisten auf das israelische Generalkonsulat in Berlin am 17.
Februar vier Angreifer getötet hatten.
Wie die israelische Zeitung „Yedioth Aharonoth“ gestern berichtete,
hat ein kurdischer Fotograf den Sicherheitsbeamten des israelischen Inlandsgeheimdienstes
Shabak während des Überfalls auf die diplomatische Vertretung
abgelichtet. Die Identität des Schützen sei „von israelischen
Quellen“ bestätigt worden. Zur Zeit kursiere das Bild des Israelis
in kurdischen Gemeindezentren überall in Europa. Dem Foto sei der
Aufruf angeheftet: „Dieser Mann muß mit seinem Kopf für den
Tod von vier Demonstranten bezahlen.“
Ein Sprecher des kurdischen Kulturzentrums in Berlin, Koc-Dem, bestritt
die Existenz eines derartigen Steckbriefs. Das Foto des israelischen Sicherheitsbeamten
sei vergangene Woche lediglich in der kurdischen Zeitung „Özgür
Politika“, dem Zentralorgan der Kurden in Deutschland, abgedruckt worden.
Das Blatt habe aber nicht zu Gewalttaten aufgerufen. Auch dem polizeilichen
Staatsschutz in Berlin „ist ein solcher Steckbrief nicht bekannt“, so der
Leiter des Landeskriminalamtes, Peter Becker.
Unterdessen haben die am Sturm auf das Konsulat beteiligten PKK-Anhänger
erstmals eine eigene Schilderung der Ereignisse abgegeben. Die gestern
von ihren Anwälten verbreitete Erklärung zielt ganz offensichtlich
darauf ab, die vier Toten zu Märtyrern zu machen, wie es in der PKK
üblich ist, wenn Anhänger bei Gewaltaktionen ums Leben kommen.
So soll ein israelischer Sicherheitsbeamter mit der Waffe im Anschlag auf
den Treppenabsatz vor der Seitentür des Konsulats getreten sein und
ohne Vorwarnung „sofort gezielt in die Menge“ geschossen haben.
Einen Angriff auf den Sicherheitsbeamten habe es vorher nicht gegeben.
Nach kurdischer Version wurden die PKK-Anhänger vielmehr von der Polizei
auf das Konsulatsgelände getrieben. Die Polizisten seien vor dem Konsulat
auf die Kurden, die dort lediglich hätten demonstrieren wollen, zugestürmt.
Einige Kurden seien daraufhin „durch die freie Pforte auf das Gelände
des Generalkonsulats“ und die Außentreppe ausgewichen. Eine „größere
Anzahl“ Kurden sei auf der Treppe von hinten von Polizisten bedrängt
worden, als das Feuer eröffnet worden sei.
Dieser Darstellung stehen sowohl die bisherigen Ermittlungsergebnisse
der Berliner Sicherheitsbehörden als auch die Erklärungen israelischer
Regierungskreise entgegen. Zwar hat die Staatsanwaltschaft die Notwehrthese
der Israelis in einem Zwischenbericht am Donnerstag weder bestätigt
noch dementiert. Auch berichteten deutsche Polizisten von Schüssen
vor dem Gebäude, während nach israelischer Darstellung ausschließlich
im Konsulat geschossen wurde. Doch beide Seiten stimmen in ihrer Schilderung
darin überein, daß die Kurden gewaltsam in das Konsulatsgebäude
einzudringen versuchten, bevor die ersten Schüsse fielen. Israelische
Regierungskreise erklärten inzwischen, man sehe sich durch den Berliner
Ermittlungsbericht bestätigt.
Im Berliner Bezirk Kreuzberg gedachten gestern rund 1500 Kurden des
vierten Opfers der Konsulatserstürmung. Der mit der kurdischen Fahne
geschmückte Sarg von Sinan Karakus wurde bei der Trauerkundgebung
aufgebahrt. Anders als Sema Alp (18), Mustafa Kurt (28) und Ahmet Acar
(24) war Karakus nicht direkt erschossen, sondern laut Obduktionsbericht
von einem Querschläger getroffen worden. Der 26jährige erlag
seiner Kopfverletzung am Sonnabend vergangener Woche. Seine Leiche sollte
in der Nacht zu heute in die Türkei geflogen werden. Am Wochenende
soll Karakus in der kurdischen Region Ursa beerdigt werden.
Berliner Zeitung 6.3.99
Friedliche Trauerfeier für erschossenen Kurden
800 Menschen kamen zur Kundgebung für Sinan
Karakus / Die Leiche wird am Sonnabend überführt
Von Stefan Ehlert
Friedlich haben am Freitag nachmittag rund 800 Menschen auf dem Blücherplatz
Abschied von Sinan Karakus genommen. Der 26 Jahre alte Mann war das vierte
Todesopfer der Schießerei vor dem israelischen Generalkonsulat. Er
starb, wie berichtet, am Sonnabend an den Folgen seiner Schußverletzung.
Ein Querschläger hatte ihn am Hinterkopf getroffen.
Wie schon am Mittwoch vergangener Woche, als um die ersten drei Todesopfer
auf der Wiese neben der Gedenkbibliothek getrauert wurde, kamen am Freitag
Verwandte und Freunde des Opfers sowie viele Anhänger des Führers
der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Öcalan, zusammen. „Freiheit für
Öcalan“, riefen die Kundgebungsteilnehmer. Aber auch: „Die Seelen
unserer Märtyrer werden uns zum Sieg führen.“ Angemeldet worden
war die „Stand-Demonstration“ vom Anwaltsbüro Hummel & Ratzmann
im Auftrag der beiden kurdischen Abgeordneten Riza Baran (Bündnis
90/Grüne) und Giyasettin Sayan (PDS) sowie des Vorsitzenden der kurdischen
Gemeinde in Berlin, Kazim Baba. Einen Trauermarsch wie in der Vorwoche
gab es nicht.
Gegen 15.30 Uhr wurde der Sarg des erschossenen Kurden auf einem Tisch
aufgebahrt – bedeckt mit der kurdischen Fahne. Dann legten die Trauernden
rote und gelbe Nelken auf dem Sarg ab und riefen dabei immer wieder: „Die
Märtyrer sind unsterblich.“ Ein Onkel des Toten trat bei der Trauerfeier
als Redner auf. Nach einer halben Stunde wurde der Sarg in einem Leichenwagen
wieder abgefahren. Er sollte in eine Kühlkammer des Flughafens Tegel
gebracht werden. Von dort soll der Leichnam nach Angaben von Riza Baran
am Sonnabend morgen in einer Maschine der Lufthansa in die Türkei
überführt werden.
Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus,
sagte, daß sich seine Partei weiterhin um eine rückhaltlose
Aufklärung der Schießerei im israelischen Konsulat bemühen
und auch den Untersuchungsausschuß dazu durchsetzen wolle. Wieland
warnte die Kurden vor weiteren gewalttätigen Aktionen. Riza Baran
wertete die friedliche Trauerfeier als Erfolg. „Ich bin froh, wenn nichts
passiert“, sagte er. Die Kundgebung wurde von einem starken Polizeiaufgebot
überwacht. Ein Panzerräumfahrzeug und ein Wasserwerfer standen
bereit. Bereitschaftspolizisten kontrollierten viele der Teilnehmer und
tasteten ihre Jacken ab. Die Polizei nahm bei der Trauerfeier drei Ausländer
fest, weil sie keine gültige Aufenthaltsgenehmigung vorlegen konnten.
Zu Rangeleienmit der Polizei kam es dagegen vor der Justizvollzugsanstalt
Moabit. Dort demonstrierten rund 150 Kurden und Autonome für die Freilassung
von Kurden, die nach den Krawallen am israelischen Konsulat in Untersuchungshaft
sitzen. (se.)
JUSTIZBERICHT
Israel fühlt sich bestätigt
Von Michael Hellberg
Die israelischen Behörden fühlen sich in wesentlichen Punkten
durch den vorläufigen Bericht der Berliner Staatsanwaltschaft zum
Sturm auf das israelische Generalkonsulat bestätigt. Der Bericht bestätige,
daß die meisten Menschen, wie von israelischer Seite angegeben, durch
Beinschüsse verletzt worden seien, hieß es am Freitag von offiziellen
israelischen Stellen. Ebenso sei in dem Bericht geschrieben worden,
daß nicht die Sicherheitsbeamten des Konsulats, sondern Berliner
Polizisten die Leichen von zwei der vier Todesopfer in den Keller des Gebäudes
gebracht hätten. Der vorläufige Ermittlungsbericht war, wie berichtet,
von Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge am Donnerstag vor dem Rechtsausschuß
im Abgeordnetenhaus vorgestellt worden.
Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hätten Polizisten
jedoch ausgesagt, daß auch auf Kurden außerhalb des Gebäudes
geschossen worden sei. Dies dementierten die Israelis mehrmals. Nach
ihren Angaben gab es einen Warnschuß in die Luft und mehrere mögliche
Querschläger. Aussagen von Kurden waren nach Angaben Karges bisher
nicht in die Ermittlungen eingeflossen, weil sie als Beschuldigte von ihrem
Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch gemacht hätten. Angaben
von Kurden gegenüber Journalisten, wonach Polizisten beim Rückzug
vom Konsulatsgelände Tränengas in die Menge geworfen haben sollen,
deckt sich nicht mit der Schilderung der Staatsanwaltschaft. (hel./dpa)
Innensenator: Weiterhin hoher Schutz in Berlin
Sicherheitsmaßnahmen nach Krawallen bleiben
Von Tobias Miller
Die starken Schutzmaßnahmen in Berlin, die seit den Kurden-Demonstrationen
gelten, müßten fortgesetzt werden, sagte Innensenator Eckart
Werthebach (CDU) am Freitag nach der Innenministerkonferenz in Dresden.
Leider sei in der Konferenz das Thema verringerter Ausweisungsschutz für
heranwachsende Ausländer nicht besprochen worden. Der Innensenator
will Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren schneller ausweisen können.
Etwa 80 Prozent der festgenommenen Kurden in Berlin gehörten zu dieser
Altersgruppe. Selbst bei einer Verurteilung sei es nahezu unmöglich,
sie auszuweisen und dann auch abzuschieben, sagte er. Damit Kurden in die
Türkei abgeschoben werden können, müsse Bundesinnenminister
Schily mit seinem türkischen Kollegen vereinbaren, daß denjenigen
in der Türkei weder Folter noch Todesstrafe drohe, sagte er. Kurden,
die in Berlin verurteilt werden und nicht abgeschoben werden können,
müßten wenigstens in den Strafvollzug.
Ob es einen Untersuchungsausschuß wegen der Kurdendemonstrationen
geben wird, hängt von der PDS-Fraktion ab. Die Entscheidung wird erst
am Dienstag in der Fraktionssitzung fallen. (tom.)
„Dieser Mann muß mit seinem Kopf bezahlen“
Kurden veröffentlichen Foto eines israelischen Schützen
Ein Fotograf hat einen der israelischen Sicherheitsleute abgelichtet,
die am 17. Februar am Generalkonsulat vier kurdische Demonstranten erschossen
haben. Dies berichtete am Freitag die israelische Zeitung „Jedioth Achronoth“.
Das Blatt meldete, die Identität des Schützen sei von „israelischen
Quellen“ bestätigt worden. Zur Zeit kursiere das Bild des Israelis
in kurdischen Kreisen überall in Europa mit der angehefteten Erklärung
„Dieser Mann muß mit seinem Kopf für den Tod von vier Demonstranten
bezahlen“, so die israelische Zeitung.
Das Bild des Mannes, das während des Versuchs kurdischer Demonstranten
aufgenommen wurde, das israelische Generalkonsulat zu stürmen, sei
zunächst in der kurdischen Zeitung „Ozgor Politika“ verbreitet worden,
dem kurdischen Zentralorgan in Deutschland. Am Donnerstag haben nach Angaben
der Zeitung israelische Stellen bestätigt, daß der abgebildete
Sicherheitsbeamte tatsächlich einer der Todesschützen sei. (dpa)
Berliner Kurier 6.3.99
Nach den Todesschüssen vor dem israelischen Konsulat
Untersuchungs-Ausschuß - 3 Fragen und keine Antwort
Von Tobias von Heymann
BERLIN - Die Todes-Schüsse am israelischen Konsulat: Bleiben sie
ein Rätsel ohne Lösung? Den offenen Fragen soll jetzt ein Untersuchungsausschuß
des Abgeordnetenhauses nachgehen.
„Der Ausschuß soll vor allem drei Fragen klären: Warum hat
die Berliner Polizei das Konsulat nicht im Vorfeld massiv abgesichert?
Welche Verantwortung trägt Innensenator Eckart Werthebach (CDU)? Haben
die Polizei-Einsatzleiter vor Ort richtig reagiert?“, sagte Matthias Tank,
Sprecher der Bündnisgrünen dem KURIER. „Am 24. März
stellen wir den Antrag für den Ausschuß, 52 Abgeordnete müssen
ihm zustimmen.“ Zusammen mit der PDS sei diese Zahl zu erreichen.
Inzwischen veröffentlichte die liberale israelische Zeitung „Yedioth
Ahronoth“ das Foto (links) eines der zwei mutmaßlichen Todes-Schützen.
Es stammt von einem kurdischen Fotografen und zeigt den israelischen Sicherheits-Beamten,
wie er am Kopf der Eingangs-Treppe vor der geöffneten Konsulats-Tür
steht. Das Bild soll kurz vor den Schüssen auf die kurdischen PKK-Aktivisten
aufgenommen worden sein. Israelische Sicherheitskreise bestätigten
gestern, daß der 23jährige ledige Mann ein muslimischer Druse
ist, seit drei Monaten in Berlin arbeitete und inzwischen nach Israel ausgeflogen
wurde.
Stille Trauer um toten Kurden
KREUZBERG - Über 800 Menschen haben gestern friedlich des vierten
erschossenen Kurden gedacht, der am vorigen Sonnabend im Benjamin-Franklin-Krankenhaus
seinen Verletzungen erlegen war.
Der Sarg mit dem Leichnam des toten Sinan Karakus (26) war, mit einer
kurdischen Flagge bedeckt, auf dem Blücherplatz aufgebahrt worden.
Der 26jährige war am 17. Februar beim versuchten Sturm auf das israelische
Konsulat in Wilmersdorf von einer Kugel am Hinterkopf getroffen worden,
lag lange im Koma.
Trauernde legten unzählige Nelken ab. Auf Transparenten forderten
sie die Freiheit von Abdullah Öcalan, dem Chef der verbotenen kurdischen
Arbeiterpartei PKK, der Mitte Februar in Kenia festgenommen worden war.
Kurz vor Beginn der Trauerfeier nahm die Polizei 13 Kurden
vorläufig fest, weil sie PKK-Symbole mit sich führten. tvh
Stuttgarter Zeitung 6.3.99
Häppchenweise Informationen
Um die Todesschüsse im israelischen Generalkonsulat ranken sich
noch viele Ungereimtheiten
Der Sturm von Kurden auf das israelische Generalkonsulat in Berlin
und die Todesschüsse israelischer Sicherheitsbeamter werfen nach wie
vor zahlreiche Fragen auf. Eine lautet: Haben die Wachmänner aus reiner
Notwehr geschossen?
Von Joachim Rogge, Berlin
Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge gibt sich betont zurückhaltend.
Seit 14 Tagen ermittelt seine Behörde im Zusammenhang mit der versuchten
Erstürmung des Konsulats. Israelische Wachmänner hatten dabei
drei Kurden erschossen. Ein viertes Opfer war erst vor Tagen im Krankenhaus
seinen Schußverletzungen erlegen. Ein klares Bild, wer wann von wo
auf wen geschossen hat, kann Karge noch nicht vorlegen.
Manches, so Berlins oberster Ermittler, stütze die Version der
Israeli, die sich auf Notwehr beriefen. Ob das ¸¸für den
gesamten Geschehensverlauf gilt, vermag ich noch nicht zu beurteilen’’.
Im Rechtsausschuß des Berliner Parlaments muß sich Karge kritische
Fragen gefallen lassen. Die Abgeordneten hegen den Verdacht, daß
das ¸¸Notwehrrecht’’ überschritten wurde. ¸¸Der
ganze Vorgang ist beschämend für die Stadt, weil es den Berliner
Sicherheitsbehörden nicht gelang, das israelische Konsulat zu schützen’’,
kritisiert Renate Künast. Die Bündnisgrünen wollen nun,
sieben Monate vor der Wahl, in einem Untersuchungsausschuß die Versäumnisse
der Polizei aufklären.
Alle Parlamentsparteien sind über die häppchenweise verteilten
Informationen der Berliner Behörden zunehmend ergrimmt. ¸¸Bei
allem Verständnis - wir sind hier nicht in einer Hauptverhandlung’’,
bittet Berlins Justizsenator Ehrhart Körting (CDU) dennoch um Mäßigung.
Noch Wochen oder gar Monate werde es dauern, bis die Ermittlungen abgeschlossen
seien, prophezeiht Karge. Die beiden Botschaftsschützen sind, ohne
daß die Berliner Stellen zuvor informiert wurden, längst wieder
in Israel. Sie hatten sich auf ihren diplomatischen Status berufen. ¸¸Jetzt
sind sie weg’’, sagt Karge. Die beiden Männer noch einmal zu vernehmen,
sei zwar denkbar, aber das dauere seine Zeit.
Und Widersprüche gibt es zuhauf. Die meisten Ungereimtheiten ranken
sich um die Geschehnisse im Inneren des Konsulats. Nach Angaben der Israeli
drangen zunächst vier Kurden in das Konsulat ein. Einer habe versucht,
einem Wachmann die Waffe zu entreißen. Dabei habe sich ein erster
Schuß gelöst. Ein zweiter Wachmann habe angesichts dieser ¸¸lebensgefährlichen
Situation’’ auf den Kurden geschossen. Im Eingangsbereich und auf der Treppe
seien nach weiteren Schüssen weitere Kurden verletzt zusammengebrochen.
Die Wachmänner hätten auf die Beine gezielt. Das Obduktionsergebnis
sagt anderes aus. Mustafa Kurt starb an seitlichen Brustschüssen.
Eine Kugel zerfetzte die Schlagader im Beckenbereich eines anderen Kurden.
Den vierten Kurden traf ein Querschläger am Hinterkopf. Renate Künast
(Bündnisgrüne) will vor allem geklärt sehen, wie die 18jährige
Sema Alp ums Leben kam. Zwei Kugeln trafen die Frau von hinten, eine in
den Hinterkopf, die andere ins linke Schulterblatt. Das läßt
viele Rückschlüsse zu. Karge vermeidet, darauf näher einzugehen.
Allerdings räumt er ein, daß deutsche Polizisten zwei Erschossene
in den Keller trugen, um die abziehenden Kurden durch den Anblick der Toten
nicht zu weiteren ¸¸spontanen Gewalthandlungen’’ zu provozieren.
Die Angaben der Polizisten differieren. Einige haben acht Schüsse,
andere haben bis zu 30 gezählt. Allen sei aufgefallen, daß sich
die nachdrängenden Kurden von der Schießerei im Inneren des
Hauses nicht beeindrucken ließen. Und wieder andere Polizisten wollen
auf der Außentreppe des Konsulats zwei israelische Schützen
gesehen haben, während Israel bislang immer nur von einem einzigen
Warnschuß sprach, der außerhalb des Gebäudes abgegeben
worden sei. ¸¸Die Angaben der beiden Israeli decken sich nicht
mit allen Erkenntnissen und den Aussagen der beteiligten Polizisten’’,
sagt Karge.
Gestern haben beteiligte Kurden eine Schilderung der Ereignisse vorgelegt,
die den Polizeiangaben widerspricht. Demnach seien Polizisten vor dem Haus
auf Demonstranten zugestürmt. Einige Kurden seien daraufhin ¸¸durch
die freie Pforte auf das Gelände des Generalkonsulats’’ auf die Außentreppe
gegangen. Während sie dort von Polizisten bedrängt worden seien,
habe ein israelischer Sicherheitsbeamter die Eingangstür geöffnet
und sei mit der Waffe im Anschlag herausgetreten: ¸¸Er schoß
sofort gezielt in die Menge’’, heißt es in der Erklärung.
Israeli und Kurden
Was ist im Konsulat passiert?
Mehr als zwei Wochen nach dem Sturm kurdischer PKK-Aktivisten auf das
israelische Generalkonsulat in Berlin ist immer noch nicht geklärt,
ob die israelischen Sicherheitsbeamten, die das Feuer auf die Heranstürmenden
eröffneten, in Notwehr gehandelt haben. Wahrscheinlich wird
man nie genau erfahren, was am 17.Februar vor und vor allem in dem Konsulatsgebäude
wirklich geschehen ist. Aus dem Zwischenbericht des Berliner Generalstaatsanwalts,
der möglicherweise auch ein Schlußbericht ist, geht hervor,
daß die Aussagen der beiden israelischen Wachleute zum Teil erheblich
von denen der deutschen Polizeibeamten abweichen.
Die Israeli erklären, nur innerhalb des Gebäudes geschossen
zu haben, während mindestens sieben deutsche Beamte beobachtet haben
wollen, wie einer der Wachleute von der offenen Eingangstür das Feuer
eröffnet habe. Das heißt, es fielen Schüsse, als die Kurden
noch gar nicht in das Konsulat eingedrungen waren. Umstritten ist auch
die Zahl der abgegebenen Schüsse. Aufklären läßt sich
das, wie gesagt, nicht mehr, denn die beiden Wachleute, die diplomatische
Immunität genießen, wurden unmittelbar nach ihrer Schilderung
des Vorfalls nach Israel ausgeflogen. Sie genießen den vollen Rückhalt
der israelischen Regierung. Der Berliner Staatsanwalt denkt darüber
nach, ein Rechtshilfeersuchen an Israel zu stellen, um die zwei Sicherheitsbeamten
in ihrem Heimatland strafrechtlich verfolgen zu lassen. Das sollte er besser
unterlassen. Denn erstens würde das zu nichts führen, und zweitens
ist die Empörung in Israel jetzt schon groß.
Die deutsche Polizei sei nicht in der Lage, israelische Einrichtungen
zu
schützen, heißt es. Da bleibe eben nur die Selbsthilfe.Von
Werner Birkenmaier