Israelis: Berliner wollen keine Aufklärung
Botschaft wirft Staatsanwaltschaft vor, auf Angebot zur Zusammenarbeit
nicht eingegangen zu sein. Chefermittler Karge verschwieg, daß bereits
zwei Botschaftsangestellte vernommen wurden. Polizei soll Hilfe zunächst
verweigert haben
Die Israelis haben gestern gegen die Berliner Staatsanwaltschaft und
Polizeiführung schwere Vorwürfe erhoben. Der Sprecher der Israelischen
Botschaft in Bonn, Din Heiman, sagte gegenüber der taz: „Wir haben
von Anfang an unsere Zusammenarbeit angeboten.“ Er zeigte sich verwundert
über die Behauptung des leitenden Generalstaatsanwalts Hansjürgen
Karge, der am vergangenen Donnerstag vor dem Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses
und in der anschließenden Pressekonferenz behauptet hatte, das israelische
Personal habe für Vernehmungen durch die deutschen Behörden bislang
nicht zur Verfügung gestanden. „Das stimmt nicht“, sagte Heiman. Schließlich
seien, so Heiman, just am vergangenen Donnerstag, als Karge vor Landtagsabgeordnete
und Presse trat, zwei Angestellte des Konsulats durch die Staatsanwaltschaft
vernommen worden.
„Wir sollten die Wahrheit ans Licht bringen“, sagte Heiman. „Man muß
das aufklären.“ Die zwei Mitarbeiterinnen des Konsulats hatten sich
angeblich zum Zeitpunkt des Angriffs in einem Kelleraum des Gebäudes
verbarrikadiert. Von dort sollen sie einen Notausgang zum Innenhof geöffnet
und Polizisten zugerufen haben, sie sollten in das Konsulat kommen und
die Kurden aufhalten. Die Beamten hätten mit dem Hinweis abgewinkt,
sie seien nicht befugt, das Gebäude eines fremden Staates zu betreten.
„Das ist doch widersprüchlich. Immerhin hielten sich die Beamten zu
dem Zeitpunkt schon auf israelischem Gelände auf“, sagte Heiman. Auch
als Vizekonsul Roger Rachmann von einem vorderen geöffneten Fenster
im Parterre um Polizeihilfe gebeten habe, hätten die Beamten das Konsulat
nicht betreten.
„Die Deutschen können, wenn sie wollen, jederzeit auch die beiden
israelischen Sicherheitsbeamten noch einmal interviewen“, sagte Heiman.
Diese waren wenige Tage nach der Schießerei nach Israel ausgeflogen
worden. „Wir wollten keine Racheakte provozieren“, begründet Heiman
das Vorgehen der Israelis. Doch das Sonderbare sei, daß bislang kein
deutsches Ersuchen vorliege, Rachman oder die zwei israelischen Sicherheitsbeamten
zu vernehmen.
„Warum das so ist, kann nur die deutsche Seite selbst beantworten“,
sagte Heiman diplomatisch - und legte mit dieser Bemerkung die Frage nahe,
ob die deutschen Behörden durch schleppende Ermittlungen etwas verbergen
wollen. Wenn die Israelis mit ihrer Darstellung der Dinge recht behalten,
dann könnte unterlassene Hilfeleistung seitens der deutschen Polizei
vorliegen. Ferner stellt sich die Frage, ob der Generalstaatsanwalt den
Rechtsausschuß und die Presse am Donnerstag belogen hat oder zumindest
den Anschein erwecken wollte, daß die Israelis eine Vernehmung der
zwei Sicherheitsbeamten und anderer Konsulatsangestellter durch die deutschen
Behörden verhinderten.
Auch die Rettungssanitäter der Feuerwehr hat die Staatsanwaltschaft
bislang nicht vernommen. Das sagte Karge vor der Presse am Donnerstag.
Sie können möglicherweise wichtige Aussagen zum Tathergang machen,
hoffte er. Gefragt hat sie bislang offenbar niemand. Für eine Stellungnahme
war bei der Staatsanwaltschaft in Berlin gestern niemand erreichbar.
Annette Rollmann
[taz-Kommentar]
Keine Neugierde
Sturm auf Konsulat: Staatsanwalt gerät unter Druck
Die Vorgänge vor und im israelischen Konsulat vor mehr als zwei
Wochen sind nach wie vor ungeklärt. Doch jetzt erscheint das Manöver
der Staatsanwaltschaft vor dem Rechtsausschuß gegen die israelischen
Schützen wie ein Ablenkungsmanöver vom Handeln der deutschen
Behörden, besser: von deren Versagen. Auch wenn die beiden israelischen
Schützen möglicherweise nicht alle Schüsse aus Notwehr gegen
die anstürmenden Kurden abgefeuert haben, hätte es vielleicht
zu diesem Blutbad gar nicht erst kommen müssen. Die deutschen Polizeibeamten
haben sich offenbar nicht wie gut ausgebildete Polizisten, sondern wie
buchstabentreue Beamte verhalten. Hasenfüßig standen sie vor
dem Gebäude. Sie sahen sich angeblich nicht befugt, exterritoriales
Gebiet zu betreten. Das erscheint angesichts der um Hilfe rufenden Menschen
jammervoll. Versucht Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge den Blick
der Öffentlichkeit daher vor allem auf die anstürmenden Kurden
und die schießenden Israelis zu wenden und den Focus der Presse vor
allem auf die Frage zu konzentrieren: War es Notwehr oder gar Totschlag?
Das kann er zudem mit einem beruhigenden Gefühl anstellen. Er
als deutscher Staatsanwalt kann die beiden israelischen Schützen mit
diplomaitschem Status ohnehin nicht anklagen. Aber er kann damit, so mag
er gehofft haben, einen schlecht durchgeführten Polizeieinsatz verschleiern.
Warum sonst ist den deutschen Ermittlern nicht besonders an der Vernehmung
der israelischen Diplomaten gelegen? Warum zeichnet Karge sonst in der
Öffentlichkeit das irreführende Bild, die israelischen Diplomaten
stünden für Befragungen durch die deutschen Behörden nicht
zur Verfügung? Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, hat Karge
nicht nur der Aufklärung der Vorfälle mächtig geschadet,
sondern vor allem das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Justiz beschädigt.
Ein Journalist sagte auf der Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag:
„Wenn Sie keine angeborene Neugierde hätten, wären sie nicht
Generalstaatsanwalt geworden.“ Karge antwortete schmunzelnd und geschmeichelt:
„Ja, richtig.“ Herr Karge, wo ist denn Ihre Neugierde? Ermitteln
Sie. Aber in alle Richtungen.
Annette Rollmann