Zur Zeit laufen in den Amtsstuben Berlins die Vorbereitungen fuer eine
im Mai 1999 beginnende Prozesslawine gegen kurdische Aktivistinnen und
Aktivisten. Der
Innensenat, die Staatsanwaltschaft und die Auslaenderbehoerde planen,
247 Berliner Kurdinnen und Kurden wegen der Protestaktionen anlaesslich
der Entfuehrung
von Abdullah Oecalan anzuklagen, abzuurteilen, einzusperren und nach
Moeglichkeit in die Tuerkei abzuschieben.
In den Tagen nach der internationalen Geheimdienstaktion gegen den
Vorsitzenden der Kurdischen Arbeiterpartei PKK am 16. Februar 1999 in Kenia
gab es
weltweit, auch in Berlin, massive Protestaktionen von Kurdinnen und
Kurden. Die Besetzungen und Demonstrationen richteten sich gegen die diplomatischen
Vertretungen der USA, Israels und Griechenlands sowie die Einrichtungen
der Regierungsparteien SPD und B9O/Die Gruenen; der Protest zielte gegen
die
Maechte, die mit Waffen, Worten und Geld den tuerkischen Staat in seinem
Krieg gegen das kurdische Volk unterstuetzen. Es waren die NATO-Staaten,
die nach
dem einseitigen Waffenstillstand der kurdischen Volksbefreiungsarmee
im September 1998 und der politischen Initative des PKK-Vorsitzenden in
Italien im
November 1998 ertschieden hatten, keinen internationalen Verhandlungsprozess
fuer eine friedliche Loesung des Kurdistan-Konfliktes anzustreben. Die
unmissverstaendliche Botschaft des internationalen Kidnappings an die
Kurdinnen und Kurden war: die „internationale Gemeinschaft“ will, dass
das tuerkische
Staatssicherheitsgericht Abdullah Oecalan zum Schafott fuehrt und der
tuerkische Generalstab das Kurdistan-Problem loest - Todesstrafe und Krieg.
„Freiheit fuer Abdullah Oecalan“ war die zentrale Forderung der kurdischen
Protestaktionen. Die Staatsgewalt reagierte allein mit polizeilicher Unterdrueckung.
In
der Woche vom 15. bis zum 21. Februar 1999 wurden bundesweit 2100 Kurdinnen
und Kurden festgenommen, zum Teil von Schnellgerichten verurteilt, zum
Teil in
die Tuerkei abgeschoben. Die politischen Parteien forderten unter dem
Kampfbegriff: „Innere Sicherheit“ erleichterte Abschiebungen und generelle
Demonstrationsverbote, um in Zukunft die politische Betaetigung von
Kurdinnen und Kurden noch staerker zu unterbinden. Die allermeisten Medien
untermalten
diese Forderungen mit einer einheitlich rassistischen Propaganda.
In Berlin starben Sema Alp, Ahmet Acar, Mustafa Kurt und Sinan Karakus
unter den Kugeln israelischer Sicherheitsbeamter. Sie und weitere zwoelf
verletzte
Kurdinnen und Kurden wurden mehrheitlich in Ruecken und Hinterkopf
getroffen. „Natuerlich entsprechen Schuesse von hinten nicht der klassischen
Notwehrsituation. Da die Israelis ueber den Status von Diplomaten verfuegen,
sei ein Verfahren gegen sie jedoch ausgeschlossen. Ohne diesen Schutz,
so der
Generalstaatsanwalt, wuerde er ein Verfahren fuehren muessen, dessen
Anschuldigungen von Koerperverletzung mit Todesfolge bis zu Mord reichen
wuerden“,
berichtete die Berliner Zeitung ueber den Untersuchungsbericht des
Generalstaatsanwaltes Hansjuergen Karge. Die Todesschuetzen mit Diplomatenpass
werden
nicht vor Gericht gestellt - im Gegensatz zu den kurdischen Demonstrantinnen
und Demonstranten.
229 Kurdinnen und Kurden wurden an diesem 17. Februar in Berlin festgenommen.
Der Berliner Innensenator Werthebach (CDU) gab am 1. April bekannt,
dass
seine Behoerde 247 an den Protestaktionen beteiligte Kurdinnen und
Kurden namentlich erfasst habe. Gegen 88 Personen werde Anklage erhoben
und zusaetzlich
die Ausweisung in die Tuerkei geprueft. Bei 18 der 43 bis zum 1. April
ueberprueften Kurdinnen und Kurden wurde die Staatsanwaltschaft um Zustimmung
zur
Ausweisung in die Tuerkei ersucht. Mittlerweile hat die Auslaenderbehoerde
mit den ersten Anhoerungen zu den beabsicheen Abschiebungen begonnen.
Kurdinnen
und Kurden, die aufgrund von Folter und Verfolgung vor ihren Henkern
geflohen sind und das Glueck hatten, in Deutschland politisches Asyl zu
erhalten, werden
schon stereotype Formbriefe zugestellt, in denen „aufenthaltsbeendende
Massnahmen“ angekuendigt sind. Alle wissen, was das bedeutet. Der 17-jaehrige
Kurde
Emin Acar, am 12. Maerz 1999 aus Deutschland abgeschoben, wurde nach
viertaegigem Verhoer durch die Antiterrorabteilung der tuerkischen Polizei
ins
Gefaengnis Uemranye gebracht. „Er hat Schwierigkeiten beim Atmen, seine
Genitalien sind angeschwollen und sein Koerper ist durch Stockschlaege
voller
Bluterguesse. Er leidet unter Schlaflosigkeit und fuehrt Selbstgespraeche“
- so die Schilderung in einem Offenen Brief, den 420 kurdische Mitgefangene
von Emin
Acar an die deutsche und tuerkische Oeffentlichkeit richteten.
Bisher gibt es laut Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren gegen 140
Berliner Kurdinnen und Kurden; diese Zahl kann sich aber angesichts der
Ankuendigung des
Innensenats weiter erhoehen. 15 Kurdinnen und Kurden befinden sich
in Untersuchungshaft. Im Mai werden die ersten Prozesse beginnen. Die Anklagepunkte
sind
„schwerer Landfriedensbruch“, „schwerer Hausfriedensbruch“, „schwerer
Widerstand gegen Polizeibeamte“ und „gefaehrliche schwere Koerperverletzung“.
Die
Staatsanwaltschaft erwartet laut Berliner Zeitung vom 27. April ein
Strafmass von mindestens vier Jahren. Die ersten Prozesse gegen einzelne
Kurdinnen und Kurden
sollen schnell abgeschlossen werden, bevor voraussichtlich im Juli
zwei grosse Prozesse gegen mehrere Angeklagte anstehen.
Rot-gruene Kurdistanpolitik:
„Wir werden nicht alles anders, aber vieles besser machen“
Dieser Leitsatz der rot-gruenen Bundesregierung hat sich auch in der
deutschen Kurdistanpolitik bewahrheitet. Die von Aussenminister Fischer
beschworene
„Kontinuitaet deutscher Aussenpolitik“ setzt sich in dieser Frage zusammen:
aus dem Besuch der tuerkischen Polizei bei der GSG 9 im November 1998 und
der
Erklaerung der Bundesregierung vom 1. April 1999, diese Form der Zusammenarbeit
mit der tuerkischen Polizei sei „weiterhin unverzichtbar“; aus dem Lizenzbau
deutscher Transportpanzer sowie der Liefer- ung deutscher Kriegsschiffie
und U-Boote an die tuerkische Armee seit Dezember 1998 und der Aussage
des
Auswaertigen Amtes vom 10. Dezember 1998, die Bundesregierung verfuege
ueber keinerlei Beweise bezueglich des Einsatzes deutscher Waffen in Kurdistan;
aus
den seit der Innenministerkonferenz am 25. Februar 1999 ver- staerkten
Abschiebungen in die Tuerkei und der Aussage des Innenminsteriums vom 30.
Maerz
1999, vermutete PKK- Anhaengerinnen und Anhaenger werden vom Erwerb
der deutschen Staatsangehoerigkeit ausgeschlossen, weil sie „auswaertige
Belange der
Bundesrepublik Deutschland gefaehrden“; aus ...
Wir rufen dazu auf, die Angeklagten zu unterstuetzen und gegen die
bevorstehenden Prozesse zu protestieren.
Wir rufen dazu auf, das politische Anliegen der Angeklagten zu verteidigen.
Wir rufen zum Widerstand auf gegen die ungebrochene Politik des
Krieges mit deutschen Waffen, gegen die kalte Abschiebung in die Hand der
Folterer und deren
Weiterbildung bei der deutschen Polizei.
Verteidigung, Betreuung der Angeklagten und Oeffentlichkeitsarbeit werden
sehr viel Geld kosten. Bitte ueberweist auf das Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V., KN 718 95 90 600, Berliner Bank, BLZ 100 200 00,
Stichwort: „Kurdistan“
Weiter Informationen beim:
Solidaritaetskomitee fuer die kurdischen politischen Gefangenen in
Berlin
Yorckstrasse 59
10965 Berlin
Telefon 030 - 788 999 01
Fax 030 - 788 999 02
Unterstuetzt von: Azadi - Rechtshilfeverein fuer Kurdinnen und Kurden
in Deutschland e.V., Awadani Kurdistan e.V., Demokratische Emigranten Union
e.V.,
Ermittlungsausschuss Berlin, Hoybun Verein, Informationsstelle Kurdistan
e.V., Internationalistische Gruppe Berlin, Kurdische Gemeinde zu Berlin
e.V., Kurdisches
Institut fuer Wissenschaft und Forschung e.V., Kurdisches Zentrum e.V.,
Kurdistan Kultur- und Hiffsverein e.V. (Komkar), Libertad!, Rote Hiffe
e.V. Ortsgruppe
Berlin, Verein der Eltern aus Kurdistan in Berlin e.V.