Offener Brief an den Bürgermeister Dr. Henning Scherf und den Senat
der Hansestadt Bremen
Sehr geehrter Dr. Scherf,
Sehr geehrte Damen und Herren
Seit Gründung des türkischen Staates 1923 ist das kurdische
Volk ständigen Massakern und der Vernichtung ausgesetzt. Entgegen
der vorher getroffenen Absprache, der Bevölkerung in den kurdischen
Gebieten weitgehende Autonomie zu gewähren, begann die Atatürk-Regierung,
das kurdische Volk zu liquidieren.
Gemäß dem kemalistischen Grundsatz: „Wir kennen keine Völker,
wir kennen nur Türken“, wurde die kurdische Sprache verboten. Dörfer
wurden umgesiedelt und Beamte zwangsversetzt, um die bestehende sozialen
und politischen Strukturen zu zerstören.
Seit 1984 führt das Militärregime einen offenen Krieg in Kurdistan.
Die Waffen und das Militärarsenal dafür werden vorrangig aus
der BRD geliefert. Mehr als 30.000 Tote sind in diesem Krieg bis jetzt
zu beklagen. Fast 4.000 kurdische Dörfer wurden von den Soldaten
verbrannt, etwa 5 Mio. Menschen zur Flucht getrieben. Die Spezialeinheiten
zwingen die Frauen, sich vor allen Dorfbewohnern nackt auszuziehen. Die
Frauen werden sexuell beschimpft und nicht selten vor den Augen ihrer
Angehörigen vergewaltigt. Sexuelle Gewalt ist ein Mittel, das jeder
Frau droht, die in die Hände des Militärs, der Gendarmerie,
der Spezialeinheiten oder der Polizei fällt. Alle verhafteten Frauen
müssen sich vollständig entkleiden und eine Zwangsuntersuchung,
den sogenannten Jungfernschaftstest, über sich ergehen lassen. Menschen
werden auf offener Straße von der Gendarmerie entführt oder
verschwinden aus dem Polizeigewahrsam. Viele von ihnen tauchen nie wieder
auf, andere werden mit Folterspuren am ganzen Körper tot aufgefunden.
Im Oktober letzten Jahres bedrohte die türkische Militärregierung
den Nachbarstaat Syrien, um dessen Regierung zu zwingen, den Präsidenten
des kurdischen Volkes und Vorsitzenden der kurdischen Arbeiterpartei PKK,
Abdullah Öcalan, den sie in Damaskus vermuteten, an die Türkei
auszuliefern. Dieses war die Antwort der Machthaber in Ankara auf den
Vorschlag Abdullah Öcalans, zum Antikriegstag, dem 1. September,
letzten Jahres einen Waffenstillstand auszurufen und über eine friedliche
Lösung zu verhandeln. Statt auf das Angebot der PKK einzugehen, überrollte
die türkische Regierung das Land mit einer Welle von Verhaftungen
von Kurdinnen und Kurden und türkischen Oppositionellen, einer militärischen
Großoffensive in Kurdistan und der Bedrohung Syriens. Ein geplantes
Attentat auf Abdullah Öcalan schlug fehl.
In der Zeit, wo sich Abdullah Öcalan in Italien befand, ist dieses
Komplott fortgesetzt worden. Mit Unterstützung der USA zwangen die
anderen europäischen Staaten Italien, das Gesuch Öcalans nach
einem politischen Status herauszuzögern. Kein europäischer Staat
erklärte sich bereit, Abdullah Öcalan Asyl als politisch Verfolgter
zu gewähren und damit die Initiative für eine politische Lösung
des Konfliktes zu übernehmen.
Auch die Bundesregierung hat ihre Verantwortung nicht wahrnehmen wollen.
Statt den Präsidenten des kurdischen Volkes in die BRD einzuladen
und ihren Einfluß auf die Türkei geltend zu machen, sich einer
Internationalen Kommission zur Beendigung des Kurdistan-Konflikts zu stellen,
wurde auf einen Haftbefehl beharrt, der bereits 1993 gegen Abdullah Öcalan
ausgestellt worden war.
Am 16.2.99 hat das internationale Komplott gegen Abdullah Öcalan
ein ungeahntes Ausmaß angenommen. Seit 25 Jahren führt er mit
dem kurdischen Volk einen aufopferungsvollen Kampf für dessen Recht
auf Selbstbestimmung. Er hat einen ehrenvollen Kampf geführt
und der ganzen Welt die kurdische Identität präsentiert.
Menschlichkeit, Menschenwürde und Freundschaft zwischen den Völkern,
das sind die Werte, die er verteidigt. Trotzdem – und das entgegen allen
bestehenden internationalen Konventionen – wurde er dafür als Terrorist
beschimpft und von der Türkei, den USA und der BRD mit internationalen
Haftbefehlen gesucht. Laut UNO-Definition hat ein Volk, gegen das durch
den Kolonialherren Gewalt ausgeübt wird, das Recht, sich zur Wehr
zu setzen. Nicht der kurdische Befreiungskampf verstößt gegen
das Gewaltverbot in der UN-Charta, sondern der Krieg des türkischen
Militärs. In der Nacht zum 16. Februar erreichte das internationale
Komplott gegen den Präsidenten des kurdischen Volkes seinen vorläufigen
Höhepunkt, als die türkische Regierung - jeglichen bestehenden
Rechtsstatus zwischen den Völkern für nichtig erklärend
- unter Mithilfe des CIA und des Mossad, Abdullah Öcalan kidnappte
und aus Kenia in die Türkei verschleppte, wo er seitdem inhaftiert
ist und offensichtlich gefoltert wird. Die Bilder, die die türkischen
Presseagenturen an die Medien in aller Welt schicken, beweisen, daß
seine Menschenwürde nicht geachtet wird, da er ganz eindeutig unter
starkem Drogeneinfluß steht. Weitere Foltermethoden sind nicht auszuschließen,
ebensowenig seine Ermordung. Nicht einmal Rechtsbeistand wird ihm gewährt.
Den JuristInnen aus dem internationalen AnwältInnen-Team, das ihn
auf seinen eigenen Wunsch hin schon in Rom vertreten hat, wird die Einreise
in die Türkei verweigert.
Wenn er die Verhöre überlebt, droht ihm ein Verfahren vor einem
der türkischen Staatssicherheitsgerichte, dem DGM. Diese DGM`s wurden
vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil
vom 5. Juni 1998 als mit Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention
unvereinbar erklärt. Seine AnwältInnen fordern deshalb, wegen
der nicht gegebenen Garantie auf körperliche Unversertheit, auf sein
Leben überhaupt und wegen der völkerrechtswidrigen Entführung,
unter der seine Verhaftung zustande gekommen ist, ihn außerhalb
der Türkei vor ein internationales Gericht zu stellen.
Wir, kurdische Frauen und Mütter, die wir gezwungen wurden, Kurdistan
zu verlassen und nach Europa zu kommen, mußten viel Leid ertragen.
Zu dem Schmerz um unsere zerstörten Dörfer, verbrannten Häuser,
dem geflossenen Blut unserer verwundeten und ermordeten Kinder und Angehörigen
und unsere gefolterten und verschwundenen Angehörigen, kommt jetzt
auch noch der Schmerz um die Auslieferung unseres Präsidenten an
die türkischen Militärs. Zu dem Schmerz um diesen Verrat an
dem gesamten kurdischen Volk kommt noch die Angst um das Leben unseres
Präsidenten.
Wir kurdischen Frauen und Mütter wenden uns an Sie, damit sie sich
für eine friedliche Lösung in unserem Land einsetzen. Wir wissen,
daß Sie bei jedem offiziellen Anlaß erklären, RepräsentantInnen
eines demokratischen Staates zu sein. Wir wissen, daß Ihnen die
fortwährenden Menschenrechtsverletzungen und die Vernichtung von
Menschenleben in unserer Heimat bekannt sind. Wir wissen aber auch, daß
die Bundesrepublik den seit 15 Jahren andauernden Krieg gegen das kurdische
Volk ökonomisch, militärisch und politisch unterstützt.
Deswegen ist die Bundesrepublik und sind ihre politischen RepräsentantInnen
mitverantwortlich an dem Völkermord in Kurdistan. Und wir wissen
auch, daß die Bundesrepublik und ihre politischen Gremien nicht
den Krieg des türkischen Staates verurteilt, sondern den Kampf des
kurdischen Volkes um Selbstbestimmung und sein legitimes Recht, diesen
Kampf auch in diesem Land zu führen.
Wir kurdischen Frauen und Mütter fordern Sie deswegen auf, für
eine friedliche Lösung in Kurdistan aktiv zu werden und die hier
lebenden Kurdinen und Kurden darin zu unterstützen.
Wir fordern:
Die Garantie für die Sicherheit des Lebens Abdullah Öcalans
Die sofortige Entsendung einer Kommission bestehend aus ÄrztInnen
und medizinischem Fachpersonal in die Türkei
Seinen AnwältInnen die Einreise in die Türkei sowie den Zugang
zu ihrem Mandanten zu ermöglichen
Das legitime Recht der hier lebenden Kurdinnen und Kurden, ihre politischen
Forderungen in die Öffentlichkeit tragen zu können
Eine Internationale Kurdistan-Konferenz für eine politische Lösung
Freiheit für Abdullah Öcalan
Freiheit für Kurdistan
Yeketiya Azadîya Jinen Kurdistane (YAJK) – Freier Frauenverband
Kurdistans, Europavertretung
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