Bochum, 26.02.1999 Erklärung für die Presse und die Öffentlichkeit
Die Kurden in aller Welt sind in Sorge um das Schicksal ihres »Serok« Abdullah Öcalan Die Entführung und Verschleppung des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan“, hat die Kurdinnen und Kurden weltweit In Trauer, Sorge, Verzweiflung, Empörung und Wut gestürzt. Wir werden im folgenden versuchen, die Ereignisse der letzten zehn Tage, die tieferen Ursachen, durch die sie erst möglich wurden, und die Reaktionen der KurdInnen aus unserer Sicht zu analysieren. Selbstverständlich geschieht das aus der Position der unmittelbar Betroffenen; die Gefühle der Kurdinnen in unseren Vereinen sind auch die unseren, und niemand kann von uns erwarten, daß wir die Abfolge der Geschehnisse distanziert betrachten. Wir alle sind Betroffene und Leidtragende aber niemand von uns wird resignieren. Das Versagen der europäischen Regierungen Als der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan, im November vorigen
Jahres nach Europa kam, setzte er seine Hoffnung und gewisse Erwartungen
auf das Verständnis und die Vermittlungsbereitschaft der europäischen
Regierungen. Er kam als ein von der Türkei mit dem Tode bedrohter
Politiker, dessen Leben auf dem Spiel stand; spätestens seit den
türkischen Kriegsdrohungen gegen Syrien konnte niemand über
seine Situation im Zweifel sein. Trotz einer Reihe von einsichtigen Erklärungen,
u.a. des Europäischen Parlaments, blieben die Regierungen der einzelnen
europäischen Staaten untätig, und keine von ihnen konnte sich
trotz der Erkenntnis der Lage von Herrn Öcalan dazu durchringen,
ihm Schutz zu gewähren. Die europäischen Regierungen die ständig
von „Recht und Gesetz“ reden , andererseits aber auch von Menschenrechten,
brachen ihre eigenen Gesetze und lehnten es ab, das Leben des PKK Vorsitzenden
zu schützen. Diese Ablehnung ist umso bitterer, da er zu jeder friedlichen
Lösung der Probleme bereit war und das auch mehrfach deutlich machte.
Mehr noch, er erklärte sich im Bewußtsein der Rechtmäßigkeit
seines Kampfes sogar bereit, sich vor ein internationales Gericht stellen
zu lassen, Der Anteil ausländischer Geheimdienste Es ist klar, daß der türkische Geheimdienst ohne Hilfe von
außen weder in der Lage gewesen wäre, den Weg des Vorsitzenden
bis nach Nairobi zu verfolgen, noch die kenianische Regierung dazu zu
bringen, ihn auszuliefern. In diesem Zusammenhang ist ein Artikel aus
der führenden ägyptischen Zeitung „al ahram“ (vom 20.02., am
21.02. im Internet verbreitet) sehr aufschlußreich. Die Zeitung
sei im Besitz von Informationen, die die direkte Verwicklung des israelischen
Geheimdienstes Mossad in die Entführung des PKK Vorsitzenden klar
bestätigen. Der Mossad habe zuvor eine Reihe von Fehlschlägen
erlitten, aufgrund derer der Geheimdienst eifrig seine Dienste in dieser
Sache angeboten habe, um sein verlorenes Prestige in Israel wiederzugewinnen.
Außerdem, fährt ‘al ahram“ fort, wollte Israel auf diese Weise
zeigen, daß die israelisch türkische Militär Kooperation
weit mehr bedeute als nur gelegentliche gemeinsame Manöver.
In einem weiteren Artikel in derselben Nummer der Zeitung heißt
es, welches auch immer das Land gewesen sei, das der Türkei geholfen
habe, Öcalan gefangenzunehmen, eines sei gewiß: Die türkischen
Spezialeinheiten hätten keine Rolle in dieser gesamten Episode gespielt
außer der einen, „den Mann vom kenianischen Geheimdienst in Empfang
zu nahmen’’. Daher seien die türkischen Sicherheitskräfte nun
den ausländischen Geheimdiensten verpflichtet und schuldeten diesen
ihrerseits einen Gefallen, wann immer er verlangt würde. Kurdische Empörung als Vorwand für Forcierung von Abschiebungen Auf dem Hintergrund der Verzweiflung der Kurden, daß sich ihr Vorsitzender, der ihr Symbol für Frieden und Freiheit ist und auf den sie ihre ganze Hoffnung setzen, seit jenem Entführungstag in der Hand seiner unerbittlichen Feinde befindet, gleichzeitig im Gefühl tiefster Enttäuschung in Bezug auf die Erwartungen, die sie auf die Politiker Europas gesetzt hatten, sind die ersten Reaktionen der Kurden zu beurteilen. Ober ihre Gefühle, ihre Wünsche und ihr Vertrauen haben sich die maßgebenden deutschen Politiker nicht nur rücksichtslos hinweggesetzt, die hilflosen, spontanen und zum Teil überspitzten Reaktionen der ersten Tage werden nun von eben diesen Politikern für ihre eigenen politischen Zwecke mißbraucht. Innerhalb von Stunden waren die Klischees von den „terroristischen Kurden“ wieder aus der Schublade geholt. „Die PKW“ habe das alles „gesteuert“, so hörte man allenthalben auch, wenn Mitglieder des Zentralkomitees der PKK, Guerilla Kommandanten und die ERNK Europaführung täglich zu Vernunft und Mäßigung aufriefen, ebenso wie der kurdische Fernsehsender MED TV und die Zeitung Özgür Politika, Genau durch diese Bemühungen ist es auch gelungen, die Überreaktionen der Kurden in den ersten Tagen zu stoppen, die Protestaktionen in demokratische Bahnen zu lenken und weitere Eskalationen zu verhindern. ohne diesen mäßigenden Einfluß von PKK Verantwortlichen und kurdischen Medien wären die Entwicklungen unabsehbar gewesen. Menschen, die bereit sind, sich aus Verzweiflung über das Unrecht, das ihrem verehrten „Apo“ geschieht, selbst in Brand zu setzen, lassen sich durch Straf- oder Abschiebeandrohungen nicht stoppen. Anstatt diese offensichtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, riefen deutsche Politiker nach „unnachsichtiger Bestrafung“ der Gewalttäter“ und nach „sofortiger Abschiebung“ (einige plädierten sogar dafür Gerichtsurteile nicht abzuwarten und auch bei Gefahr von Folterung abzuschieben). Die allgemeine dumpfe Ausländerfeindlichkeit gewisser Kreise in Deutschland wurde dabei von Massenmedien und Politikern wie dem bayerischen Innenminister Beckstein mit dieser erneuten Kriminalisierung der Kurdinnen und Kurden kräftig geschürt. (Wenn zur Zeit allerdings französische Bauern heftig gegen EU Politiker protestieren, wenn dabei Autoreifen brennen oder sie sich Prügeleien mit der Polizei liefern, spricht niemand von „Terror“ , sondern man redet von „berechtigten Anliegen“.) Die Rolle der deutschen und türkischen Medien Die Rolle vieler deutscher Medien, vor allem der Boulevardblätter
und einer Reihe von Fernsehsendern, bestand darin, Sprachrohr der populistischen
Politiker zu sein, deren Äußerungen noch aufzubauschen und
die radikalsten unter ihnen nahezu täglich ihre Sprüche klopfen
zu lassen. So häufig wie in den vergangenen zehn Tagen sieht man
den bayerischen Innenminister sonst im ganzen Jahr nicht in den Medien!
Auf einmal waren die Kurden Thema Nummer Eins in denselben Medien, die
jahrelange Dialogbemühungen, friedliche Demonstrationen und Kulturfeste
weitgehend ignoriert hatten. Solidarität, Sympathie und Unterstützung Einen wohltuenden Gegensatz zu den Massenmedien, die mehr um Desinformation
als um ausgewogene Information bemüht zu sein schienen, bildeten
eine Reihe von Lokal- und Bürgerradios und weniger auflagestarken
Tageszeitungen, wie z.B. „Neues Deutschland“, Hier fand eine differenzierte
und um Objektivität bemühte Berichterstattung und Kommentierung
der Ereignisse statt, von der allerdings nur eine vergleichsweise kleine
Hörer- und Leserschicht profitierte. Spekulationen über die Zukunft der PKK Seit der Verhaftung Abdullah Öcalans wird in deutschen Zeitungen viel spekuliert. Da ist von Spaltung der PKK die Rede, von „Richtungskämpfen“ zwischen gewalttätigen und eher friedlichen Strömungen und deren Trägern etc. Das alles ist müßiges Geschwätz. In den Verlautbarungen der Parteiführung (von Angehörigen des Zentralkomitees, des Generalstabes der Guerilla und aus dem Vorstand der Volksbefreiungsfront ERNK) herrscht Einigkeit darüber, daß die Linie des Parteivorsitzenden Abdullah Öcalan in jeder Hinsicht fortgesetzt wird. Ob es einen Nachfolger für ihn geben wird, wer das gegebenenfalls sein könnte, oder ob eventuell ein Leitungsgremium die Führung übernehmen wird, ist noch nicht entschieden. Diese Fragen sind auch eher sekundär, da sich alle Führungspersönlichkeiten in den wesentlichen Punkten einig sind. Offensichtlich ist die Partei weder ideologisch noch diplomatisch am Ende, und ebenfalls keinesfalls militärisch. Die Kurdinnen und Kurden Kurdistan, in der Türkei in Europa und weltweit Im letzten Abschnitt unserer Ausführungen kehren wir noch einmal
zur Situation der Kurden selbst zurück. Jede und jeder von ihnen
fühlt sich in der Demütigung von „Serok“, dem Anführer
Abdullah Öcalan, selbst gedemütigt, in seiner Folter gefoltert,
in seiner Gefangenschaft gefangen. Dennoch ist gerade jetzt Abdullah Öcalan
nicht mehr nur der Vorsitzende einer Partei, sondern er ist für die
überwältigende Mehrheit aller Kurden zum Symbol des kurdischen
Kampfes, des friedlichen wie des bewaffneten, zur Personifizierung der
Lösung der kurdischen Frage geworden.
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