Stern März 99
Das Kurz-Interview
„Ein Feuerball gegen den Feind“
Osman Öcalan über den „totalen Krieg“ gegen die Türkei
Nach der Entführung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan kam es in
der PKK angeblich zu heftigen Flügelkämpfen. Nun haben sich
nach einem Treffen der Führungskader jene durchgesetzt, die eine
Fortsetzung des bewaffneten Kampfes propagieren. Einer von ihnen
ist Osman Öcalan, 43, ein Bruder des Verhafteten.
STERN: Vor seiner Entführung hat Ihr Bruder das Ende des bewaffneten
Widerstands angeboten, falls den Kurden kulturelle und politische Autonomie
gewährt würde. Steht dieses Angebot noch?
ÖCALAN: Wir sind jetzt gezwungen, auf eine kriegerische Lösung
zu setzen. Die
türkische Regierung hat nur die Vernichtung der PKK im Sinn. Ein
politischer Dialog
kommt nur dann in Frage, wenn Ankara Abdullah Öcalan freiläßt
und ihn als Vertreter des kurdischen Volkes anerkennt.
STERN: Sie haben Ihre Anhänger zum „totalen Krieg“ gegen die Türkei
aufgefordert.
Was bedeutet das?
ÖCALAN: Wir werden Volksaufstände organisieren und Selbstmordattentate
gegen das Militär verüben. Wir werden ein Feuerball gegen
den Feind sein.
STERN: Wird die PKK ihren Krieg auch wieder in europäische Städte
tragen?
ÖCALAN: Konsulate zu besetzen und Parteibüros zu verwüsten
ist nicht unser Konzept. Wir werden in Europa keine Gewalt ausüben.
In Zukunft müssen unsere Anhänger die Gesetze jenes Landes
respektieren, in dem sie leben.
STERN: Schließt Ihr „totaler Widerstand“ auch Ziele in Touristenorten
mit ein?
ÖCALAN: Die PKK will keine Touristen töten. Aber wir haben
die kurdische Bevölkerung aufgerufen, sich für die Verhaftung
unseres Vorsitzenden zu rächen.
STERN: Wer führt jetzt die PKK?
ÖCALAN: Noch ist Abdullah Öcalan unser Vorsitzender. Der Kampf
der PKK wird von einem siebenköpfigen Kollektiv befehligt. Es gibt
keinen Führungsstreit zwischen mir und Cemil Bayik...
STERN: ...einem der PKK-Gründer und Frontkommandanten.
ÖCALAN: Sollte er zum neuen Führer bestimmt werden, bin ich
bereit, unter seiner Führung zu kämpfen.
STERN: Der türkische Ministerpräsident Ecevit hat Ihrem Bruder
einen fairen Prozeß
versprochen. Glauben Sie daran?
ÖCALAN: Die türkische Justiz ist nicht unabhängig. Nur
ein internationales Gericht kann über Öcalan urteilen.
STERN: Wird Ihr Bruder hingerichtet?
ÖCALAN: Wir erwarten das Schlimmste. Sollte es geschehen, wird
in der Türkei kein Stein mehr auf dem anderen bleiben.
Interview: Gabriel Grüner
Mitarbeit: Michael Enger/Yavuz Fersoglu
|