M. Can Yüce in Özgür Politika, 6.4.99
Die neue Lage und die Realität, die sie ans Tageslicht gebracht
hat
Der 15. Februar ist in der Geschichte der KurdInnen ein Wendepunkt. Die
sich auf einer Ach-se befindenden Staaten USA, Türkei und Israel,
sowie der weltweite reaktionäre Block haben am 15. Februar versucht,
den KurdInnen ein Ende zu setzen und die Vernichtung zu vollen-den. Auf
jeden Fall ist der 15. Februar für die KurdInnen, für die Völker
in der Region, für die fortschrittliche Menschheit ein schwarzer
Tag. Unser Volk wird diesen Tag nicht vergessen. Aber es ist auch ganz
offen, die KurdInnen haben diesen schwarzen Tag nicht zu einem Tag der
Trauer gemacht, sie haben ihn genutzt und zum Anlaß genommen, ihn
in Kampf und Sieg umzusetzen. Sie haben ihre Einheit, Freiheit und Entschlossenheit
bekräftigt. So haben sie den Spezialkriegsblock und seine Vernichtungspläne,
seinen ersten Putsch entlarven können. Natürlich hat das seinen
Hintergrund.
Nicht alle KurdInnen haben diesen Aufstand auf dem selben Niveau erlebt.
Es gab welche, die ängstlich waren, die unentschlossen waren, welche,
die zweigleisig gefahren sind, welche, die scheinheilig gehandelt haben,
welche, die die Situation für ihre Politik genutzt haben, welche,
die abwartend in einer Zuschauerhaltung verharrt haben.
Sie alle waren nicht in der Lage diesen Aufstand zu verhindern. Aber als
Ansatz oder Rich-tung ist der spezifische Charakter der Mittelklasse zum
Ausdruck gekommen. Es ist eigent-lich nicht überraschend und wir
sind darauf vorbereitet, daß die Mittelklasse in einer solchen kritischen
nicht eindeutigen Phase, eine solche Position vertritt. Es ist wichtig
die verschiede-nen Strukturen genau zu beobachten, zu bestimmen und sich
danach zu richten. Es ist in einer solchen Situation möglich, die
Position der verschiedenen Klassen genau zu bestimmen.
Wenn der Kampf sich ausbreitet und sich neue Möglichkeiten eröffnen,
wenn die Machter-greifung am Horizont erblickt wird, dann zeigt sich,
daß die Mittelklassen sich dem Kampf anschließen und ein breiterer
Rahmen möglich wird. Das war bisher in fast jeder Revolution der
Fall. In der jetzigen Phase ist der größte Teil der Mittelklassen
im Kampf und beteiligt sich auf die eine oder andere Weise. Sie haben
ihre eigenen Vorstellungen, ihre eigenen Klas-seninteressen, was sie erwarten,
formuliert. Das hat auch gleichzeitig den nationalen Befrei-ungskampf
in eine Phase gebracht, in der die Klassenwidersprüche offen hervortreten.
Wo die Führung schwach oder unklar ist, hat sich gezeigt, daß
die Mittelklasse versucht die Ansätze zu bestimmen. In dieser jetzigen
Phase können wir das ganz deutlich sehen. Diese Neigung der Mittelklasse
zeigt sich ganz konkret daran, daß sie zur Kollaboration mit dem
reaktionä-ren, reformistischen Lager schwenkt. Ein Beispiel: Manche
sagen, daß durch die Zusammen-arbeit mit den rechten, christdemokratischen
Parteien in Europa, daß durch diese magische Formel, die Isolation
der KurdInnen aufgebrochen werden kann. Manche behaupten, daß Be-griffe,
wie Internationalismus und Geschwisterlichkeit den KurdInnen nichts geben
und stel-len den Nationalismus in den Vordergrund. Diesen Ansatz haben
sie früher sehr verschämt geflüstert, aber seit dem 15.
Februar haben sie das ganz deutlich zum Ausdruck gebracht. Manche verharren
in einer Abwartehaltung, bis die Lage sich klärt. Das ist ein Vorwand.
Diese Ansätze der Mittelklasse können deutlich gesehen werden
und müssen diskutiert wer-den, aber wir versuchen in diesem kurzen
Artikel erst einmal diesen Punkt aufzuzeigen.
Die Mittelklasse zeigt sich in verschiedensten Ansätzen, egal ob
sie zum Nationalismus schwenken, zum rechten Lager, oder versuchen den
Kampf auf eine pazifistische Linie zu ziehen. Dieser Ansatz ist die Unentschlossenheit
zum Sieg, ein Ansatz ohne Rückrat.
An diesem Punkt ist eine feste Führung, Entschlossenheit und Weitsichtigkeit
von Bedeutung. Das zeigt sich heute in ganz deutlicher Weise. Natürlich
nicht mit Herangehensweisen, die ausschließenden Charakter haben,
oder eine enge Herangehensweise, davor müssen wir und hüten.
Aber wir müssen es mit einer offenen Art und Weise, auf allen Ebenen
und den richti-gen politischen Idealen zusammenfügen.
Der Erfolg der Revolution geht von diesem Standpunkt aus. Wir dürfen
nicht vergessen, daß wenn Mittelklasseansätze in den Führungskreisen
der Revolution eine bedeutende Rolle spielen, dann steht die Niederlage
fest.
In der revolutionären nationalen Befreiungslinie ist die weiteste
nationale Einheitspolitik die Grundlage und muß auf jeden Fall umgesetzt
werden, aber zugleich darf auch ein Punkt nicht vergessen werden, es ist
der folgende: Insbesondere in der Parteilinie auf allen Ebenen der revolutionären
Haltung nicht nachzugeben und kontinuierlich einen entschlossenen Klassen-kampf
zu führen, die Führung zu bestimmen, zu schützen, sie weiter
aufzubauen. Der Erfolg der Revolution ist vor allem mit dieser Frage verknüpft.
Diese Phase ist wie ein Lakmuspapier, die alles schwarz auf weiß
anzeigt. Jeder Klassen-standpunkt zeigt sich in allen seinen Farben und
Linien ganz deutlich. Es ist von entscheiden-der Bedeutung, diese ideologisch-politische
Linie deutlich zu sehen und sie auf allen Ebenen umzusetzen. Auf der Seite
des revolutionären Kampfes muß das die Schlüsselfrage
sein.
Außerdem hat sich in dieser letzten Phase eine weitere Linie herausgebildet,
die die Situation für ihre eigenen Vorteile nutzen will. Die an der
Front der KurdInnen falsche Politik machen. Auch wenn diese Linie nicht
sehr ausgeprägt ist, sie ist vorhanden.
Zum Beispiel geben sie das Mikrophon denen, die die revolutionäre
Linie als gescheitert be-zeichnen, was mit der Realität nichts zu
tun hat. Einige dieser versuchen sich mit diesen Er-klärungen Pluspunkte
zu verschaffen, das ist uns allen klar geworden.
Außerdem gibt es welche, die versuchen, auf den Werten, die geschaffen
wurden, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Wir wollen uns nicht lange
mit diesen Punkten beschäftigen, denn unser Volk hat mit seinem großen
Aufstand diesen Ansätzen die richtige Antwort gegeben. Auch in der
Front in der Türkei gibt es welche, die eigene Vorteile aus der Situation
ziehen wollen. Die, die sich links geben und sagen, sie seien die Partei
„der Revolution und Liebe“ und die, die behaupten, den Kampf der „Revolution
gegen die Oligarchie“ zu führen, haben auf ver-schieden Wegen gezeigt,
wie sie die Gelegenheit nutzen um Vorteile für sich daraus zu zie-hen.
Die, auf denen die Geschichte blutigen Völkermord schreibt, deren
Ehre mit Füßen getreten wurde, denen jegliche menschliche Werte
zertreten werden sollen, deren Führung verhaftet wurde, als die festgenommen
wurden, und sie jede mögliche psychologische und physische Folter
erleiden mußten, ließen sie in ihrer Wut und Verzweiflung
auch falsche Aktionen stattfinden. Anstatt diese Situation zu verstehen
haben diese Kräfte die Ereignisse als Grund genommen, Lehren zu erteilen
um sich so eine Position zu verschaffen. Wenn das nicht die Gelegenheit
ausnutzen ist, was ist es dann?
Wir kritisieren nicht auf harte Weise, denn wir dürfen nicht vergessen,
daß hinter diesem Gelegenheit-ausnutzen (firsatçilik) der
Kemalismus und Sozialchauvinismus steckt.
In jedem Fall unser Volk sieht, was passiert und beobachtet es genau.
Unser Volk ist verständnisvoll und wird nicht die vergessen, die
ihnen die Hand zur Freund-schaft reichen und wird, auch die, die Vorteile
für sich herausziehen und sich „Freunde“ nen-nen, auch die wird es
nicht vergessen.
M. Can Yüce -Militanter der PKK - ist seit dem
Jahr 1980 Kriegsgefangener des kolonialfaschistischen Regimes in der Türkei.
Mit zahlreichen Schriften und Briefen meldet er sich regelmäßig
aus dem Canak-kale -Gefängnis in Burca/Türkei zu Wort.
Wir bitten die mangalhafte Übersetzung
des Artikels zu entschuldigen.
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