Prozeß »ohne rechtliche Schranken«
Öcalans Verteidiger klagen über Behinderungen
Von Rainer Schultz,
In knapp zwei Wochen soll der Prozeß gegen den »Staatsfeind
Nr. 1 « der Türkei beginnen. Daß es zu einem fairen Verfahren
für PKK-Chef Öcalan kommt, ist bisher nicht zu erkennen.
Am 24. März soll der Prozeß gegen Adullah Öcalan, den Vorsitzenden der kurdischen Arbeiterpartei (PKK), beginnen, der seit dem 15. Februar auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft gehalten wird. Dazu wird das berüchtigte Staatssicherheitsgericht von Ankara auf die Insel verlegt werden. Die Region rund um das Eiland ist seit dem 2. März militärisches Sperrgebiet. Während die türkische Regierng beteuert, daß eine rechtmäßige Verteidigung des PKK-Chefs gesichert sei, sind die Rahmenbedingungen für den Prozeß weitgehend unklar. Eine offizielle Anklageschrift der Staatsanwaltschaft existiert bisher nicht. Auch der Termin des Prozeßbeginns ist noch nicht amtlich.
Keine unbeobachteten Gespräche mit Anwälten
Vorgeworfen wird dem 50jährigen Kurden »Separatismus«
und »Hochverrat«. Er sei als Anführer der »berüchtigtsten
Terrororganisation der Welt«, so Ankara, verantwortlich für
die mehr als 30 000 Toten, die es seit dem Beginn des bewaffneten Kampfes
der Kurden für Autonomie vor 15 Jahren gegeben hat. Der Versuch, auch.
ohne Anwendung von Gewalt »Teile des Staatsgebiets aus dem Staatenverband
zu lösen«, erfüllt in der Türkei einen Straftatbestand,
auf den die Todesstrafe steht.
Um die drohende Höchststrafe für den PKK-Vorsitzenden abzuwenden,
fordern seine Anwälte die Möglichkeit einer »angemessenen
Verteidigung» in einem »fairen Prozeß». Dazu zählen
insbesondere unbeobachtete Gespräche mit Rechtsanwälten seiner
Wahl. Die wurden bisher nicht gewährt. Trotz diverser Besuchsanträge
seiner beiden türkischen Verteidiger, Ahmet Okcuoglu Und Hatite Korkut,
wurde bisher nur ein 20minütiges, vor maskierten Soldaten, überwachtes
Gespräch mit dem Gefangenen genehmigt. Herr Okcuoglu bemühe sich
aber täglich um eine zweite Besuchserlaubnis, berichtet die jetzt
gegründete Internationale Initiative »Freiheit für Abdullah
Öcalan und, Frieden in Kurdistan«.
Die beiden türkischen Anwälte forderten in einem Interview,
den »politischen Druck von außen« zu verstärken,
um einen »fairen Prozeß nach internationalen Maßstäben«
zu ermöglichen. Berichte der türkischen Regierung" Öcalan
habe normale Haftbedingungen, wies das Juristen-Duo entschieden zurück.
Es verwies in einer Presseerklärung darauf, daß sein Mandant
sich während des Besuches darüber beschwert habe, »nicht
einmal über, Stift oder Papier« zu verfügen. Von einer
an gemessenen Verteidigungsvorbereitung könne nicht die Rede sein.
Ausländische Rechtsanwälte dürfen bisher auch als Beobachter
nicht in die Türkei einreisen. Das empfinde die Regierung als Einmischung
in ihre »staatlichen Souveränitätsrechte«. In der
vergangenen Woche befand sich zwar eine Delegation des Anti-Folter-Komitees
vom Europarat bei Öcalan. Sie sollte u.. a. seine Haftbedingungen
prüfen. Ihr Bericht darf aber nur mit Zustimmung der betroffenen Regierung
veröffentlicht werden. Wohl deshalb ist noch nichts über die
Untersuchung bekannt.
Eine freie Berichterstattung wird auch durch die Nichtzulassung von
Prozeßbeobachtern verhindert. Lediglich eine norwegische Parlamentsdelegation
wurde bisher - unter dem Vorbehalt, sich nicht als Beobachter zu bezeichnen
- in die Türkei eingeladen. Noch schwieriger dürfte das für
kurdische Medien werden." Abgesehen davon, daß sie in der Türkei
ohnehin verboten sind: Anfang der Woche forderte Ankaras Ministerpräsident
Bülent Ecevit die Regierungschefs der EU- und NATO-Staaten dazu auf,
die aus Brüssel sendende kurdische Fernsehstation »Med-TV«
und die Zeitung »Özgür Politika« wegen»Aufforderung
zu terroristischen Angriffen« zu verbieten.
Freilassung Voraussetzung für politischen Dialog
Die Zugespitzte Situation in der Türkei dürfte sich weiter
verschärfen, seitdem sich die Meldungen häufen, daß sich
Öcalans Gesundheitszustand verschlimmere. Wie der »Stern«
am Donnerstag berichtete, hält ein Bruder des Inhaftierten, Osman
Öcalan, die Freilassung> von. »Apo«. Und seine Anerkennung
als Vertreter des kurdischen Volkes für die Voraussetzung eines politischen
Dialogs. Andernfalls sei die PKK gezwungen, »auf eine kriegerische
Lösung zu setzen«. Die Föderation kurdischer Vereine (YEK
KOM) zählt Osman, Öcalan zum Führungsgremium der PKK, dessen
Vorsitzender aber sein Bruder bleiben soll - solange er lebt.