Athener Parlament beruft Öcalan-Untersuchungsausschuß
Athen (AP) Das griechische Parlament hat am Freitag die Bildung eines Ausschusses zur Untersuchung der Affäre um die Einreise des Kurdenführers Abdullah Öcalan beschlossen. Das aus 31 Abgeordneten bestehende Gremium soll die Rolle der Regierung und einzelner Personen in der Affäre durchleuchten. Ministerpräsident Konstantinos Simitis hatte das Parlament selbst zur Einsetzung des Ausschusses aufgefordert. Simitis hat schon einen juristischen Untersuchungsausschuß ins Leben gerufen, aufgrund dessen Ermittlungen am Donnerstag 18 Personen angeklagt wurden.
Er erklärte, Öcalan sei von einer Gruppe von Geheimdienstlern, Exmilitärs und politischer Freunde des Chefs der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) am 29. Januar ohne sein Wissen nach Griechenland eingeschleust worden, um die Regierung zu zwingen, ihm politisches Asyl zu gewähren. Dies sei aber stets abgelehnt worden. Die Affäre hat schon drei Minister das Amt gekostet, darunter Außenminister Theodoros Pangalos. Öcalan wurde schließlich in die griechische Botschaft in Kenia abgeschoben und dort bei seiner versuchten Ausreise von türkischen Agenten entführt. Seitdem wartet der PKK-Chef auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer auf seinen Prozeß.
Neue Zürcher Zeitung, 13.03.1999
Athen bemüht sich um Klärung der Affäre Öcalan
Beginn einer Untersuchung im griechischen Parlament
H. G. Athen, 12. März
Griechenlands politischer Dauerbrenner der letzten vier Wochen,
die Affäre Öcalan, hat vor der Justiz und einem parlamentarischen
Untersuchungsausschuss jenen Platz gefunden, an den sie schon längst
gehört hätte. Die heftige Auseinandersetzung darüber, ob
die Einschleusung des PKK-Chefs in griechisches und später kenyanisches
Hoheitsgebiet das Werk von Privatleuten, Geheimagenten und versagenden
Ministern gewesen ist oder ob die Verantwortung dafür der gesamten
Regierung Simitis angelastet werden kann, verspricht damit endlich in sachlichere
und ruhigere Bahnen zu münden.
Den Anfang hat am Donnerstag die Athener Staatsanwaltschaft mit
der Erhebung einer Anklage gegen 18 Personen, einschliesslich Öcalan,
gemacht. Sie sollen Ende Januar in die illegale Verbringung des Kurdenführers
nach Griechenland verwickelt gewesen sein. Die Staatsanwälte forderten
die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten und verlangten weiter,
dass sich das Parlament mit der politischen Verantwortung von Regierungsmitgliedern
befasse. Ihr Verlangen wurde von der rechten und der linken Opposition
begrüsst, während der sozialistische Regierungssprecher dagegen
Vorbehalte anmeldete. Der bis dahin in der Öcalan-Affäre am stärksten
beschuldigte ehemalige Aussenminister Pangalos gab sich gelassen.
Die in den griechischen Medien lebhaft geführte Diskussion,
ob in den Aufzeichnungen des Botschafters in Nairobi mit dem Decknamen
«der grosse Sänger» Pangalos oder Ministerpräsident
Simitis als Hauptverantwortlicher gemeint gewesen sei, ergab am Freitag
eine Entlastung des Aussenministers. Doch auch der Verdacht gegen Simitis
erhärtete sich nicht. Öcalans Anwalt Phailos Kraniditotis gab
den Namen seines Hauptgesprächspartners auf Regierungsseite in den
letzten Tagen vor der Verschleppung des PKK-Führers aus Kenya in die
Türkei bekannt. Es handelt sich dabei um einen Vertrauensmann Simitis',
den Kabinettssekretär Kosmidis. Kranidiotis will diesen auch ausdrücklich
auf die Vorbereitung kurdischer Aktionen gegen griechische Vertretungen
in ganz Europa hingewiesen haben, falls Öcalan in Nairobi in türkische
Hand fallen sollte. Diese Warnung wurde aber nicht weitergeleitet. So wäre
in Wien um ein Haar Griechenlands Staatsoberhaupt Stephanopoulos kurdischen
Botschaftsbesetzern in die Hände gefallen, wenn er sich bei seinem
Staatsbesuch etwas länger dort aufgehalten hätte.
Die Parlamentsdebatte zur Einsetzung des von der Regierung vorgeschlagenen
Untersuchungsausschusses begann mit einem Misston, da der vertrauliche
Bericht der Staatsanwälte an die Abgeordneten wegen einer Indiskretion
bereits in einer Zeitung erschienen war. Dennoch entschlossen sich am Freitag
abend alle Parteien zur Mitarbeit in dem Gremium, das auch dazu befugt
wäre, Minister und selbst den Ministerpräsidenten in Sachen Öcalan
zur Rechenschaft zu ziehen.