ker. Bremen (Eig. Bericht) – Der 23. Strafverteidigertag in Bremen
hat die Entführung von PKK-Chef Abdullah Öcalan die Türkei
als Verletzung international anerkannter Grund- und Menschenrechte kritisiert
und vor einem „inszenierten Schauprozeß“ sowie der Verhängung
der Todesstrafe gewarnt. Der Kongreß mit mehr als 400 Teilnehmern
befürchtete in einer Resolution eine „massive Verletzung des Rechts
auf Verteidigung“ und setzte sich für eine internationale Beobachtung
des Prozesses ein. Bisher seien zwei Verteidiger sowie sieben kurdische
Anwältinnen und Anwälte kurzfristig inhaftiert worden.
Der Strafverteidigertag forderte vom Auswärtigen Amt, sich gegenüber
der türkischen Regierung für Garantien zum Schutz der Verteidiger
und für die Einhaltung der Verfahrensgarantien einzusetzen, die in
der Europäischen Menschenrechtskonvention des Europarats enthalten
sind. Die Türkei ist eines der 40 Mitglieder des Europarats. Für
„diplomatischere Formulierungen“ hatte als Gast vergebens der langjährige
deutsche Mitarbeiter der Europäischen Menschenkommission in Straßburg,
Wolfgang Peukert, plädiert. Nach seinem Eindruck ist die Türkei
durchaus bemüht, die Menschenrechtskonvention umzusetzen. Er warnte
vor einer Vorverurteilung und bat darum, einige Formulierungen in den Konjunktiv
zu setzen. Dem widersprach die Rechtsanwältin und Grünen-Politikerin
Renate Künast. Diplomatie sei nicht Aufgabe der Strafverteidiger.
Der Strafverteidigertag ist eine Fachtagung von elf Landesverbänden,
denen 1400 überwiegend linksliberale Mitglieder angehören. Über
das Thema „50 Jahre Grundgesetz – Kritische Würdigung, Europäische
Bezüge in der Strafgerichtsbarkeit“ wurde in sechs Arbeitsgruppen
und zwei Podiumsgesprächen diskutiert. Auf der Schlußveranstaltung
fragte der Richter am Bundesgerichtshof, Wolfgang Schomburg: „Wo ist in
diesem europäischen Haus ein Raum für die Justiz?“. Er kritisierte
einen auch für Experten völlig undurchschaubaren „Dschungel von
Rechtsnormen“. Zur Verbesserung und als Reaktion auf die Gründung
von Europol müsse zumindest eine Institution „Eurojust“ entstehen,
die zentral das geltende Recht erfasse und öffentlich zugänglich
mache. In den Arbeitsgruppen wurden sowohl eine „bedrückende Überfüllung“
der psychiatrischen Krankenhäuser mit Straftätern als auch der
Gefängnisse beklagt. Die Anwälte forderten eine Verkürzung
langer Strafen und die Möglichkeit, auch Freiheitsstrafen von mehr
als zwei Jahren zur Bewährung auszusetzen. Gemeinnützige
Arbeit zur Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe sei sinnvoll. Bei den Untersuchungsgefangenen
gebe es den höchsten Nachkriegsstand, weshalb verstärkt über
Möglichkeiten der Haftvermeidung und Haftalternativen nachzudenken
sei.
Sehr kritisch äußerte sich ein Arbeitskreis über die
Qualität psychiatrischer Gutachten. Sie seien häufig mit schweren
fachlichen Mängeln behaftet. Insbesondere die Prognose-Gutachten
seien oft unvollständig und vordergründig. Nach einer Untersuchung
über Rückfälle bei schwersten Straftaten sei es ein besonders
häufiger Fehler, daß Straftaten von Jugendlichen häufig
nur als Störung in einer entwicklungsbedingten Phase bewertet würden.
Oft werde die Aussagekraft der sozialen Anpassung in einer Anstalt über-,
die Art der begangenen Straftat unterschätzt.