Frankfurter Rundschau 25.3.99

Öcalan wird auf Imrali der Prozeß gemacht
Staatssicherheitsgericht lehnt Forderung der Anwälte nach Verlegung des PKK-Chefs ab

ATHEN, 24. März (öhl/dpa/afp/ap). Der seit Mitte Februar in türkischem Gewahrsam sitzende PKK-Chef Abdullah Öcalan wird auf der Insel Imrali im Marmarameer vor Gericht gestellt, seinem gegenwärtigen Haftort. Das beschloß am Mittwoch das Staatssicherheitsgericht in Ankara, das bereits seit 1997 in Abwesenheit wegen Hochverrats gegen Öcalan verhandelt.  Das schon laufende Verfahren soll mit neuen Anklagen ergänzt und mit bereits vor anderen türkischen Gerichten gegen den PKK-Chef anhängigen Strafprozessen zusammengefaßt werden. Gleichzeitig wurde beschlossen, Nebenklagen von PKK-Opfern zuzulassen.
Wann die Hauptverhandlung gegen Öcalan beginnen kann, ist weiter offen.
Dazu müssen auf Imrali erhebliche bauliche Maßnahmen getroffen werden.  Das Staatssicherheitsgericht vertagte sich am Mittwoch zunächst auf den 30. April. Öcalans Anwalt Zeki Okcuoglu sagte, wenn bis dahin die Anklageschrift für das Hauptverfahren fertig sei, werde das Gericht dann auf Imrali zusammenkommen.
Öcalans Anwälte hatten am Mittwoch erstmals Gelegenheit, ihren Mandanten vor Gericht zu verteidigen. Ihre Forderung, Öcalan in ein unter der Verantwortung des Justizministeriums stehendes Gefängnis zu verlegen, lehnte das Gericht ab. Die Anwälte hatten argumentiert, die Insel Imrali sei militärisches Sperrgebiet. Deshalb hätten sie den PKK-Chef bislang insgesamt nur drei Stunden lang sehen dürfen. Die Vorbereitung der Verteidigung erfordere aber mehr Zeit. Einzelgespräche, so die Verteidiger weiter, seien ganz verboten. Vor Verhandlungsbeginn kam es zu Tumulten in und vor dem Gerichtssaal, weil Nationalisten und hunderte Angehörige von „Märtyrern“ gegen die kurdische Separatistenorganisation und gegen Öcalan demonstrierten und die Anwälte beschimpften.
Im laufenden Hochverrats-Prozeß ist Öcalan wegen einer Rede im PKK-nahen Satellitensender Med-TV vor drei Jahren und wegen „Steuerung von terroristischen Aktionen der PKK“ angeklagt. Die Prüfstelle der Unabhängigen Fernseh-Kommission (ITC) hatte Med-TV Montag abend stillgelegt. Im Falle seiner Verurteilung wegen Hochverrats droht Öcalan die Todesstrafe. Er wird persönlich und pauschal für den Tod von mehr als 30 000 Menschen verantwortlich gemacht. So viele Menschen sind seit Beginn der gewalttätigen Auseinandersetzungen vor 15 Jahren ums Leben gekommen.
Bombenanschlag in Istanbul
ISTANBUL/BONN (dpa/ap). Auf eine Mc-Donald’s-Filiale in Istanbul ist am Mittwoch ein Bombenanschlag verübt worden. Nach Polizeiangaben detonierte der in einer Cola-Dose versteckte Sprengsatz in den Toilettenräumen. Es wurde niemand verletzt. Die Täter werden in der PKK vermutet. Die Bundesregierung erklärte in Bonn, man nehme PKK-Drohungen ernst, Anschläge auf Touristen in türkischen Urlaubsgebieten zu verüben. Es gebe keine hundertprozentige Sicherheit.  Ankara habe aber angekündigt, die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken.


Neue Zürcher Zeitung, 25.03.1999

Vertagung des Hauptprozesses gegen Öcalan
Verteidigung des PKK-Chefs unter schwierigen Bedingungen

Das Staatssicherheitsgericht in Ankara hat den Hauptprozess gegen den Kurdenführer Öcalan auf ein noch unbekanntes Datum nach den türkischen Wahlen vom 18. April vertagt. Das Team von Öcalans Anwälten berichtet von schwierigen Arbeitsbedingungen.

it. Istanbul, 24. März
Vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara hat am Mittwoch die zweite Anhörung in einem der Prozesse gegen den Kurdenführer Öcalan stattgefunden. Der Gründer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wird von Ankara pauschal für die rund 30 000 Opfer des 15jährigen Kriegs im Südosten des Landes verantwortlich gemacht und in verschiedenen Verfahren des Hochverrats beschuldigt. In einem am Mittwoch fortgesetzten Verfahren, das in Abwesenheit des Angeklagten stattfand und noch vor dessen Festnahme begonnen hatte, geht es hauptsächlich um eine Rede, die vor drei Jahren von dem in London stationierten kurdischen Sender Med TV ausgestrahlt worden ist. Öcalan soll sich dabei der Anstiftung zum gewalttätigen Umsturz der rechtmässigen Ordnung schuldig gemacht haben. Für dieses Vergehen wird die Todesstrafe gefordert. In den andern Prozessen wird Öcalan Hochverrat vorgeworfen. Dass Öcalan am Mittwoch vor einem türkischen Gericht von seinen Verteidigern repräsentiert werden durfte, war ein Novum und wird von Beobachtern als Generalprobe für den Hauptprozess bezeichnet.

Über 2000 Einzelverfahren
Die Gesamtzahl der Prozesse gegen Öcalan wird auf weit über zweitausend geschätzt. Nach der Festnahme der Kurdenführers wurden drei Staatsanwälte damit beauftragt, alle Akten zusammenzutragen. Das Staatssicherheitsgericht hat am Mittwoch beschlossen, das Hauptverfahren gegen Öcalan zu vertagen; voraussichtlich auf ein Datum nach den Parlamentswahlen vom 18. April. Begründet wurde die Verschiebung damit, dass weder die neue Anklageschrift noch der für den Prozess benötigte Saal auf der Marmara- Insel Imrali fertiggestellt seien. Im Gefängnis von Imrali ist Öcalan seit seiner Überführung in die Türkei Mitte Februar der einzige Insasse. Im Gespräch bestätigte der Koordinator von Öcalans Anwälten, Ahmet Zeki Okcuoglu, dass sein Mandant in völliger Isolation lebe. Er dürfe weder lesen noch schreiben, noch Verwandtenbesuche empfangen. Öcalans Anwälte sei es bei ihren Besuchen untersagt, Akten, Papier oder Schreibzeug mitzunehmen. Eine einzige Ausnahme bildete bisher Öcalans «Friedensaufruf», worin er die PKK-Anhänger aufgefordert hatte, sich strikte an an einen zuvor von ihm ausgerufenen Waffenstillstand zu halten. Diese Erklärung wurde von den Verteidigern notiert und später weiterverbreitet.

Starker psychologischer Druck
Laut den Angaben Okcuoglus hat bisher keiner der Anwaltsbesuche unter Bedingungen stattgefunden, wie sie gesetzlich vorgeschrieben wären. Beim ersten Besuch hätten ein Richter und ein Beamter, der das gesamte Gespräch notierte, sowie maskierte Männer dem Gespräch beigewohnt. Bei den übrigen Malen sei jeweils eine Gefängnisangestellte zugegen gewesen. Bei jedem Besuch klage Öcalan, unter starkem psychologischem Druck zu stehen. Der Mandant erwähne keine Einzelheiten, wahrscheinlich weil die Gespräche aufgezeichnet und die Verhöre entgegen den gesetzlichen Bestimmungen noch fortgesetzt würden. Aus Angst vor Repressalien gegen ihren Mandanten enthielten sich die Verteidiger weiterer Fragen. Okcuoglu will deshalb keine konkrete Angaben über den Gesundheitszustand des Kurdenführers machen. Er schätzt aber, dass Öcalan seit seiner Überführung in die Türkei rund 15 Kilogramm abgenommen habe.
Der Name des kurdischstämmigen Okcuoglu stand im letzten Jahrzehnt noch auf der Todesliste der PKK, aus politisch-ideologischen Gründen, wie der Anwalt sagt. Heute verteidigt er seinen ehemaligen ideologischen Gegner unter schwierigen Arbeitsbedingungen. Seitdem er Öcalans Verteidigung übernommen hat, werden er persönlich sowie seine Familie bedroht. Vor jedem Besuch in Imrali werden die Verteidiger jeweils vom Mob beschimpft und manchmal auch mit Steinen beworfen. Im Unterschied zu den meisten Kurden in der Türkei setzt Okcuoglu noch Hoffnung auf Europa. Die europäischen Länder sollten ihre Forderung nach einem fairen Verfahren für den Kurdenführer aufrechterhalten, sagt er. Denn der Öcalan-Prozess, der in Wirklichkeit ein Prozess gegen das kurdische Volk sei, werde zeigen, ob ein friedliches Zusammenleben zwischen Kurden und Türken in Zukunft gewährleistet sei. Dass alle 17 Juristen in Okcuoglus Team kurdischen Ursprungs sind und kein einziger Türke vertreten ist, ist allerdings kein gutes Omen. 


HANDELSBLATT, Mittwoch, 24. März 1999

Anwälte erstmals zur Verteidigung zugelassen
Öcalan-Prozeß wird auf Imrali stattfinden

ap ANKARA. Der Prozeß gegen den inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan wird auf der Gefängnisinsel Imrali stattfinden. Ein Gericht in Ankara lehnte bei einer Anhörung am Mittwoch den Antrag der Verteidigung ab, den Prozeß nach Ankara zu verlegen. Das Gericht begründete die Entscheidung mit dem Einspruch des Justizministeriums, wegen der öffentlichen Empörung und der Gefahr für Öcalans Leben sei eine Verlegung nach Ankara ungeeignet.
Die Verteidiger Öcalans hatten darüber geklagt, daß es jeweils mehrere Stunden dauere, bis sie ihren Mandanten erreichen könnten. Auch bemängelten sie, daß ihnen auf der Insel Einzelgespräche mit Öcalan verboten seien. Nach der Entscheidung soll nun das Justizministerium die Vorbereitungen für den Prozeß auf der Gefängnisinsel treffen. Dieser soll stattfinden, sobald die Staatsanwaltschaft eine neue Anklageschrift auf der Basis der Geständnisse Öcalans nach seiner Gefangennahme formuliert hat.
Die Anwälte hatten am Mittwoch erstmals die Möglichkeit, ihren Mandanten vor Gericht zu verteidigen. Die eintägige Anhörung stand in Zusammenhang mit einem Prozeß, der in Öcalans Abwesenheit und bereits vor seiner Verhaftung am 15. Februar begann. Seine Anwälte waren bislang nicht zugelassen. Öcalan nahm an der Anhörung nicht teil.  In dem Prozeß geht es unter anderem um eine Rede des PKK-Chefs über Selbstmordattentäter. Die Richter ließen auch hunderte Angehörige von PKK-Opfern als Kläger zu. Die Anhörung wurde mehrmals unterbrochen, als vor dem Gerichtsgebäude demonstrierende Angehörige von im Kampf gegen die PKK getöteten Soldaten und Polizisten Öcalans Anwälte beschimpften.


Die Presse 25.3.99
Prozeßreigen gegen Öcalan
Fünfzehn Verfahren hat der türkische Staat gegen den PKK-Chef eröffnet.

Von unserem Mitarbeiter JAN KEETMAN
ISTANBUL/ANKARA. Vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara wurde am Mittwoch ein seit mehr als einem Jahr laufender Prozeß gegen den Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, fortgesetzt. Öcalan selbst saß nicht auf der Anklagebank; aus Sicherheitsgründen verbleibt er auf der Gefängnisinsel Imrali, auf der er seit seiner Festnahme in Kenia einsitzt.  Persönlich vor Gericht auftreten wird Öcalan vermutlich am 24. April, wenn das Hauptverfahren gegen ihn in Imrali beginnt.
Der fortgesetzte Prozeß in Ankara gehört zu einem von insgesamt 15 Verfahren, die gegen Öcalan schon vor seiner Festnahme in Abwesenheit eröffnet wurden. Öcalan ist angeklagt, weil er in einer vom kurdischen Satellitensender Med-TV ausgestrahlten Rede gegen die Einheit des türkischen Staatsgebietes agitiert habe. Damit hat er gegen den Hochverratsparagraphen des türkischen Strafgesetzbuches verstoßen; dieser Paragraph sieht als einzig mögliche Sanktion die Todesstrafe vor.  Mit dem Verfahren soll auch die Rolle von Med-TV beleuchtet werden. Die Türkei wirft dem Sender vor, ein Propagandainstrument der PKK zu sein. Deshalb macht die Türkei Druck auf Großbritannien und auf Belgien, wo sich Studios des Senders befinden, um dessen Schließung zu erreichen.
Daß Aussagen Öcalans in Med-TV Gegenstand laufender Verfahren sind, hat auch Konsequenzen für den Ablauf des Hauptverfahrens. Öcalan betonte nämlich in einer von seinen Anwälten verbreiteten Erklärung, daß er seit 1993 dreimal einseitig einen Waffenstillstand erklärt und damit seine Friedensbereitschaft eindeutig bewiesen habe. In einer Erklärung im Frühjahr 1993 hatte der PKK-Chef auch auf die Gründung eines unabhängigen kurdischen Staates verzichtet.
© Die Presse, Wien