Öcalan wird auf Imrali der Prozeß gemacht
Staatssicherheitsgericht lehnt Forderung der Anwälte nach Verlegung
des PKK-Chefs ab
ATHEN, 24. März (öhl/dpa/afp/ap). Der seit Mitte Februar in
türkischem Gewahrsam sitzende PKK-Chef Abdullah Öcalan wird auf
der Insel Imrali im Marmarameer vor Gericht gestellt, seinem gegenwärtigen
Haftort. Das beschloß am Mittwoch das Staatssicherheitsgericht in
Ankara, das bereits seit 1997 in Abwesenheit wegen Hochverrats gegen Öcalan
verhandelt. Das schon laufende Verfahren soll mit neuen Anklagen
ergänzt und mit bereits vor anderen türkischen Gerichten gegen
den PKK-Chef anhängigen Strafprozessen zusammengefaßt werden.
Gleichzeitig wurde beschlossen, Nebenklagen von PKK-Opfern zuzulassen.
Wann die Hauptverhandlung gegen Öcalan beginnen kann, ist weiter
offen.
Dazu müssen auf Imrali erhebliche bauliche Maßnahmen getroffen
werden. Das Staatssicherheitsgericht vertagte sich am Mittwoch zunächst
auf den 30. April. Öcalans Anwalt Zeki Okcuoglu sagte, wenn bis dahin
die Anklageschrift für das Hauptverfahren fertig sei, werde das Gericht
dann auf Imrali zusammenkommen.
Öcalans Anwälte hatten am Mittwoch erstmals Gelegenheit,
ihren Mandanten vor Gericht zu verteidigen. Ihre Forderung, Öcalan
in ein unter der Verantwortung des Justizministeriums stehendes Gefängnis
zu verlegen, lehnte das Gericht ab. Die Anwälte hatten argumentiert,
die Insel Imrali sei militärisches Sperrgebiet. Deshalb hätten
sie den PKK-Chef bislang insgesamt nur drei Stunden lang sehen dürfen.
Die Vorbereitung der Verteidigung erfordere aber mehr Zeit. Einzelgespräche,
so die Verteidiger weiter, seien ganz verboten. Vor Verhandlungsbeginn
kam es zu Tumulten in und vor dem Gerichtssaal, weil Nationalisten und
hunderte Angehörige von „Märtyrern“ gegen die kurdische Separatistenorganisation
und gegen Öcalan demonstrierten und die Anwälte beschimpften.
Im laufenden Hochverrats-Prozeß ist Öcalan wegen einer Rede
im PKK-nahen Satellitensender Med-TV vor drei Jahren und wegen „Steuerung
von terroristischen Aktionen der PKK“ angeklagt. Die Prüfstelle der
Unabhängigen Fernseh-Kommission (ITC) hatte Med-TV Montag abend stillgelegt.
Im Falle seiner Verurteilung wegen Hochverrats droht Öcalan die Todesstrafe.
Er wird persönlich und pauschal für den Tod von mehr als 30 000
Menschen verantwortlich gemacht. So viele Menschen sind seit Beginn der
gewalttätigen Auseinandersetzungen vor 15 Jahren ums Leben gekommen.
Bombenanschlag in Istanbul
ISTANBUL/BONN (dpa/ap). Auf eine Mc-Donald’s-Filiale in Istanbul ist
am Mittwoch ein Bombenanschlag verübt worden. Nach Polizeiangaben
detonierte der in einer Cola-Dose versteckte Sprengsatz in den Toilettenräumen.
Es wurde niemand verletzt. Die Täter werden in der PKK vermutet. Die
Bundesregierung erklärte in Bonn, man nehme PKK-Drohungen ernst, Anschläge
auf Touristen in türkischen Urlaubsgebieten zu verüben. Es gebe
keine hundertprozentige Sicherheit. Ankara habe aber angekündigt,
die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken.
Vertagung des Hauptprozesses gegen Öcalan
Verteidigung des PKK-Chefs unter schwierigen Bedingungen
Das Staatssicherheitsgericht in Ankara hat den Hauptprozess gegen den Kurdenführer Öcalan auf ein noch unbekanntes Datum nach den türkischen Wahlen vom 18. April vertagt. Das Team von Öcalans Anwälten berichtet von schwierigen Arbeitsbedingungen.
it. Istanbul, 24. März
Vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara hat am Mittwoch die zweite
Anhörung in einem der Prozesse gegen den Kurdenführer Öcalan
stattgefunden. Der Gründer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wird
von Ankara pauschal für die rund 30 000 Opfer des 15jährigen
Kriegs im Südosten des Landes verantwortlich gemacht und in verschiedenen
Verfahren des Hochverrats beschuldigt. In einem am Mittwoch fortgesetzten
Verfahren, das in Abwesenheit des Angeklagten stattfand und noch vor dessen
Festnahme begonnen hatte, geht es hauptsächlich um eine Rede, die
vor drei Jahren von dem in London stationierten kurdischen Sender Med TV
ausgestrahlt worden ist. Öcalan soll sich dabei der Anstiftung zum
gewalttätigen Umsturz der rechtmässigen Ordnung schuldig gemacht
haben. Für dieses Vergehen wird die Todesstrafe gefordert. In den
andern Prozessen wird Öcalan Hochverrat vorgeworfen. Dass Öcalan
am Mittwoch vor einem türkischen Gericht von seinen Verteidigern repräsentiert
werden durfte, war ein Novum und wird von Beobachtern als Generalprobe
für den Hauptprozess bezeichnet.
Über 2000 Einzelverfahren
Die Gesamtzahl der Prozesse gegen Öcalan wird auf weit über
zweitausend geschätzt. Nach der Festnahme der Kurdenführers wurden
drei Staatsanwälte damit beauftragt, alle Akten zusammenzutragen.
Das Staatssicherheitsgericht hat am Mittwoch beschlossen, das Hauptverfahren
gegen Öcalan zu vertagen; voraussichtlich auf ein Datum nach den Parlamentswahlen
vom 18. April. Begründet wurde die Verschiebung damit, dass weder
die neue Anklageschrift noch der für den Prozess benötigte Saal
auf der Marmara- Insel Imrali fertiggestellt seien. Im Gefängnis von
Imrali ist Öcalan seit seiner Überführung in die Türkei
Mitte Februar der einzige Insasse. Im Gespräch bestätigte der
Koordinator von Öcalans Anwälten, Ahmet Zeki Okcuoglu, dass sein
Mandant in völliger Isolation lebe. Er dürfe weder lesen noch
schreiben, noch Verwandtenbesuche empfangen. Öcalans Anwälte
sei es bei ihren Besuchen untersagt, Akten, Papier oder Schreibzeug mitzunehmen.
Eine einzige Ausnahme bildete bisher Öcalans «Friedensaufruf»,
worin er die PKK-Anhänger aufgefordert hatte, sich strikte an an einen
zuvor von ihm ausgerufenen Waffenstillstand zu halten. Diese Erklärung
wurde von den Verteidigern notiert und später weiterverbreitet.
Starker psychologischer Druck
Laut den Angaben Okcuoglus hat bisher keiner der Anwaltsbesuche unter
Bedingungen stattgefunden, wie sie gesetzlich vorgeschrieben wären.
Beim ersten Besuch hätten ein Richter und ein Beamter, der das gesamte
Gespräch notierte, sowie maskierte Männer dem Gespräch beigewohnt.
Bei den übrigen Malen sei jeweils eine Gefängnisangestellte zugegen
gewesen. Bei jedem Besuch klage Öcalan, unter starkem psychologischem
Druck zu stehen. Der Mandant erwähne keine Einzelheiten, wahrscheinlich
weil die Gespräche aufgezeichnet und die Verhöre entgegen den
gesetzlichen Bestimmungen noch fortgesetzt würden. Aus Angst vor Repressalien
gegen ihren Mandanten enthielten sich die Verteidiger weiterer Fragen.
Okcuoglu will deshalb keine konkrete Angaben über den Gesundheitszustand
des Kurdenführers machen. Er schätzt aber, dass Öcalan seit
seiner Überführung in die Türkei rund 15 Kilogramm abgenommen
habe.
Der Name des kurdischstämmigen Okcuoglu stand im letzten Jahrzehnt
noch auf der Todesliste der PKK, aus politisch-ideologischen Gründen,
wie der Anwalt sagt. Heute verteidigt er seinen ehemaligen ideologischen
Gegner unter schwierigen Arbeitsbedingungen. Seitdem er Öcalans Verteidigung
übernommen hat, werden er persönlich sowie seine Familie bedroht.
Vor jedem Besuch in Imrali werden die Verteidiger jeweils vom Mob beschimpft
und manchmal auch mit Steinen beworfen. Im Unterschied zu den meisten Kurden
in der Türkei setzt Okcuoglu noch Hoffnung auf Europa. Die europäischen
Länder sollten ihre Forderung nach einem fairen Verfahren für
den Kurdenführer aufrechterhalten, sagt er. Denn der Öcalan-Prozess,
der in Wirklichkeit ein Prozess gegen das kurdische Volk sei, werde zeigen,
ob ein friedliches Zusammenleben zwischen Kurden und Türken in Zukunft
gewährleistet sei. Dass alle 17 Juristen in Okcuoglus Team kurdischen
Ursprungs sind und kein einziger Türke vertreten ist, ist allerdings
kein gutes Omen.
HANDELSBLATT, Mittwoch, 24. März 1999
Anwälte erstmals zur Verteidigung zugelassen
Öcalan-Prozeß wird auf Imrali stattfinden
ap ANKARA. Der Prozeß gegen den inhaftierten PKK-Führer Abdullah
Öcalan wird auf der Gefängnisinsel Imrali stattfinden. Ein Gericht
in Ankara lehnte bei einer Anhörung am Mittwoch den Antrag der Verteidigung
ab, den Prozeß nach Ankara zu verlegen. Das Gericht begründete
die Entscheidung mit dem Einspruch des Justizministeriums, wegen der öffentlichen
Empörung und der Gefahr für Öcalans Leben sei eine Verlegung
nach Ankara ungeeignet.
Die Verteidiger Öcalans hatten darüber geklagt, daß
es jeweils mehrere Stunden dauere, bis sie ihren Mandanten erreichen könnten.
Auch bemängelten sie, daß ihnen auf der Insel Einzelgespräche
mit Öcalan verboten seien. Nach der Entscheidung soll nun das Justizministerium
die Vorbereitungen für den Prozeß auf der Gefängnisinsel
treffen. Dieser soll stattfinden, sobald die Staatsanwaltschaft eine neue
Anklageschrift auf der Basis der Geständnisse Öcalans nach seiner
Gefangennahme formuliert hat.
Die Anwälte hatten am Mittwoch erstmals die Möglichkeit,
ihren Mandanten vor Gericht zu verteidigen. Die eintägige Anhörung
stand in Zusammenhang mit einem Prozeß, der in Öcalans Abwesenheit
und bereits vor seiner Verhaftung am 15. Februar begann. Seine Anwälte
waren bislang nicht zugelassen. Öcalan nahm an der Anhörung nicht
teil. In dem Prozeß geht es unter anderem um eine Rede des
PKK-Chefs über Selbstmordattentäter. Die Richter ließen
auch hunderte Angehörige von PKK-Opfern als Kläger zu. Die Anhörung
wurde mehrmals unterbrochen, als vor dem Gerichtsgebäude demonstrierende
Angehörige von im Kampf gegen die PKK getöteten Soldaten und
Polizisten Öcalans Anwälte beschimpften.
Die Presse 25.3.99
Prozeßreigen gegen Öcalan
Fünfzehn Verfahren hat der türkische Staat gegen den PKK-Chef
eröffnet.
Von unserem Mitarbeiter JAN KEETMAN
ISTANBUL/ANKARA. Vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara wurde am
Mittwoch ein seit mehr als einem Jahr laufender Prozeß gegen den
Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan,
fortgesetzt. Öcalan selbst saß nicht auf der Anklagebank; aus
Sicherheitsgründen verbleibt er auf der Gefängnisinsel Imrali,
auf der er seit seiner Festnahme in Kenia einsitzt. Persönlich
vor Gericht auftreten wird Öcalan vermutlich am 24. April, wenn das
Hauptverfahren gegen ihn in Imrali beginnt.
Der fortgesetzte Prozeß in Ankara gehört zu einem von insgesamt
15 Verfahren, die gegen Öcalan schon vor seiner Festnahme in Abwesenheit
eröffnet wurden. Öcalan ist angeklagt, weil er in einer vom kurdischen
Satellitensender Med-TV ausgestrahlten Rede gegen die Einheit des türkischen
Staatsgebietes agitiert habe. Damit hat er gegen den Hochverratsparagraphen
des türkischen Strafgesetzbuches verstoßen; dieser Paragraph
sieht als einzig mögliche Sanktion die Todesstrafe vor. Mit
dem Verfahren soll auch die Rolle von Med-TV beleuchtet werden. Die Türkei
wirft dem Sender vor, ein Propagandainstrument der PKK zu sein. Deshalb
macht die Türkei Druck auf Großbritannien und auf Belgien, wo
sich Studios des Senders befinden, um dessen Schließung zu erreichen.
Daß Aussagen Öcalans in Med-TV Gegenstand laufender Verfahren
sind, hat auch Konsequenzen für den Ablauf des Hauptverfahrens. Öcalan
betonte nämlich in einer von seinen Anwälten verbreiteten Erklärung,
daß er seit 1993 dreimal einseitig einen Waffenstillstand erklärt
und damit seine Friedensbereitschaft eindeutig bewiesen habe. In einer
Erklärung im Frühjahr 1993 hatte der PKK-Chef auch auf die Gründung
eines unabhängigen kurdischen Staates verzichtet.
© Die Presse, Wien