Ocalan-Geständnis von Ankara getürkt?
Türkische Presse wirft Bundesrepublik PKK-Unterstützung
vor
Seit Tagen berichten die großen türkischen Zeitungen über
vermeintliche Aussagen Abdullah Öcalans. Dabei sitzt der PKK-Vorsitzende
seit seiner Verschleppung aus der griechischen Botschaft in Kenia in der
vergangenen Woche abgeschottet von der Außenwelt und ohne anwaltliche
Vertretung auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer
in Einzelhaft. Erst am Donnerstag nachmittag durften ihn zwei seiner Verteidiger,
Ahmet Zeki Okcuoglu und dessen Kollegin Hatice Korkut, besuchen.
Die Vernehmung des türkischen Staatsfeindes Nummer eins war zu
diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Das nationalistische Blatt Hürriyet
zitierte in seiner Donnerstagausgabe einen türkischen Staatswalt mit
den Worten, der PKK-Chef habe nun alle Fragen beantwortet. »Wir haben
alles, was wir wollen. Jetzt werden wir die Anklage vorbereiten.«
36 Seiten lang soll das »Geständnis« Öcalans sein.
Es ermöglicht der Führung in Ankara einen Rundumschlag gegen
die Opposition in dem kleinasiatischen Land. Demnach soll Öcalan den
Ermittlern Personen genannt haben, die mit der verbotenen Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK) in Verbindung stünden. Prompt wurden die linken Oppositionellen
in der Türkei verhaftet. Des weiteren habe Öcalan direkte Verbindungen
zwischen der PKK und der prokurdischen HADEP-Partei eingeräumt, gegen
die zur Zeit ein Verbotsverfahren anhängig ist. Auch wenn solche Kontakte
von HADEP-Vertretern immer wieder bestritten werden: Generalstaatsanwalt
Vural Savas beantragte umgehend, HADEP-Kandidaten die Teilnahme an den
Parlaments- und Kommunalwahlen am 18. April zu verbieten.
Seit der Öcalan-Verschleppung sind dem unabhängigen Menschenrechtsverein
IHD zufolge mehr als 3 300 Oppositionelle verhaftet worden. Für ein
umgehendes Dementi der deutschen Botschaft in Ankara sorgten am Donnerstag
Berichte in türkischen Massenzeitungen, die BRD habe die kurdische
Rebellenbewegung mitfinanziert. Verkehrte Welt: Ausgerechnet die Bundesrepublik
sah sich plötzlich neben Griechenland, Syrien und Iran auf der türkisch-
amerikanischen Liste von »Schurkenstaaten«, die Geldmittel
an die PKK hätten fließen lassen. »Darüber kann ich
nur lachen. In Deutschland sind Spenden von Kurden in Millionenhöhe
beschlagnahmt und der PKK somit direkt entzogen worden«, so Öcalan-Anwalt
Hans-Eberhard Schultz gegenüber junge Welt. »Nach den Standards
der Europäischen Menschenrechtskonvention wäre ein solches Geständnis
wohl nicht viel wert. Hinzu kommt, daß bislang dokumentierte Fälle
immer wieder deutlich machen, wie solche Geständnisse zustande kommen:
unter Folter oder unter Drohung von Folter«, so Schultz.
Seit Jahren tragen die Bundesrepublik und Europa eine »Mitverantwortung
an der Vernichtungspolitik gegen das kurdische Volk«, kontern die
PDS-Bundestagsabgeordneten Heidi Lippmann-Kasten, Ulla Lötzer und
Ulla Jelpke. Es sei der Öffentlichkeit bekannt, daß die BRD,
die USA und auch Europa mit ihrer »jahrelangen Waffenlieferungspolitik
und Wirtschaftshilfe den Bürgerkrieg in den kurdischen Gebieten mitgetragen«
haben. Mit ihrer Abschiebepolitik versuche sich die Bundesrepublik »vor
ihrer Mitverantwortung zu drücken«. Die Protestnote »Keine
Abschiebung - Keine Waffen an die Türkei« wurde unter anderem
auch von Peter C. Walter, dem Bundessprecher der VVN/BdA, von den Gewerkschaftern
Rudi Munz (IG Medien, Hauptvorstand), Sabine Leidig (DGB-Kreisvorsitzende
Karlsruhe) und Harry Siegert (DGB-Kreisvorsitzender Heidelberg) sowie Hüseyin
Avgan, dem Bundesvorsitzenden der Föderation demokratischer Arbeitervereine
(DIDF), und Heinz Stehr (DKP-Vorsitzender) unterzeichnet.
Rüdiger Göbel
Wie entsteht in der Türkei ein »Geständnis«?
jW sprach mit dem Bremer Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz
(Er ist einer der Verteidiger Abdullah Öcalans und Herausgeber des Buches »10 Jahre grenzüberschreitende Kurdenverfolgung«, erschienen 1998 im GNN-Verlag Köln)
F: Was ist von den Berichten türkischer Zeitungen in den vergangenen Tagen zu halten, Abdullah Öcalan werde im Gefängnis gut behandelt und bekomme alles, wonach er verlange?
Das ist doch stark zu bezweifeln. Dagegen sprechen zunächst schon
die unglaublichen Umstände, unter denen Öcalan illegal in die
Türkei verschleppt wurde. Man erinnere sich nur an das entwürdigende
Foto, auf dem er gefesselt und mit Augenbinde zu sehen ist.
Dagegen sprechen weiterhin alle Erfahrungen, die man in der Türkei
mit ähnlichen Fällen gemacht hat. Selbst das Anti-Folterkomitee
beim Europarat hat in sämtlichen Berichten - die entgegen der sonstigen
Praxis sogar veröffentlicht werden mußten, weil man sich nur
dadurch Druck auf die Türkei erhofft - immer wieder festgestellt,
daß insbesondere in der ersten Zeit der sogenannten Inkommunikado-Haft,
in der Inhaftierte ohne jeden Kontakt mit der Außenwelt sind, systematisch
gefoltert wird. Es wird gefoltert, um von Oppositionellen, Kurden, Politikern
Geständnisse zu erpressen. Der Aussage, Öcalan gehe es gut, kann
also ernsthaft niemand Glauben schenken.
F: Wie bewerten Sie die Aussagen, die Öcalan in den Mund gelegt werden, die BRD wäre Mitfinanzier der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gewesen?
Da kann ich nur drüber lachen. In den vergangenen Jahren sind von den hiesigen Behörden Spenden von Kurden in Millionenhöhe beschlagnahmt und damit der PKK entzogen worden. Die Türkei behauptete ja schon immer, daß es die PKK im Grunde nicht gebe, sondern sie eine ausländische Erfindung und ausländische Einmischung in ihre Angelegenheiten sei. Und wenn es die PKK nicht gäbe, gäbe es angeblich das Kurdenproblem nicht. Es wundert höchstens, daß es so lange dauert, bis irgendwelche »Geständnisse« mit Unterschriften vorgelegt werden. F: In kurdischen Kreisen nimmt man mit großer Sorge die täglichen Berichte in der türkischen Presse über den Gesundheitszustand Öcalans zur Kenntnis. Man sieht in ihnen die Vorbereitung einer extralegalen Hinrichtung des PKK-Vorsitzenden. Ich weiß nur, daß Öcalan auch schon vor der illegalen Verschleppung Probleme mit dem Magen hatte. Ich hatte ihn kurz davor noch gesehen. Auf den Videobildern war dann ein völlig anderer Mensch zu sehen: sein Gesicht aufgedunsen, die Bewegungen fahrig, die Aussprache verwaschen. Da waren mit Sicherheit Psychopharmaka oder gar Drogen im Spiel. Natürlich ist es noch nicht nachgewiesen, aber die Vermutung liegt nahe.
F: Sie versuchen weiterhin, als ein Mitglied des internationalen Anwaltsteams in die Türkei zu gelangen. Haben Sie Kontakt zu den anwaltlichen Vertretern Öcalans vor Ort?
Ja, den haben wir. Und ich hoffe, daß meine Kollegen Öcalan tatsächlich sehen können und sich von seinem Zustand, seinen Haftbedingungen überzeugen und überprüfen können, was er nun wirklich gesagt hat und was nicht. F: Nach einem Bericht der türkischen Zeitung Hürriyet soll von Öcalan ein 36seitiges Geständnis abgelegt worden sein. Ist eine solche Aussage nach rechtsstaatlichen Grundsätzen von Wert, wenn keine anwaltliche Vertretung bei den Vernehmungen zugelassen war?
Nach den Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention wäre ein solches Geständnis wohl nicht viel wert. Hinzu kommt, daß bislang dokumentierte Fälle immer wieder deutlich machen, wie solche Geständnisse zustandekommen: Unter Folter oder Androhung von Folter. Mit verbundenen Augen wird den Betreffenden etwas vorgelegt, was sie unterschreiben müssen. Was auf dem Papier steht, bekommen sie noch nicht einmal zu sehen. Solche erpreßten Geständnisse werden regelmäßig im Laufe des weiteren Verfahrens widerrufen. Das ist eine sehr schlimme Erfahrung, die alle, die sich damit ernsthaft befassen, auch genau kennen.
Interview: Rüdiger Göbel