Athens Rolle in der Öcalan-Affäre bleibt unklar
Der neue Aussenminister gewinnt an politischer Statur
Journalisten sind am Freitag in Athen daran gehindert worden, mit drei am Vorabend aus Nairobi nach Athen zurückgekehrten kurdischen Mitarbeiterinnen des PKK-Chefs Öcalan zu sprechen. Vom Geheimdienstoffizier, der die drei Frauen begleitete, fehlt seit seiner Ankunft jede Spur. Dem neuen Aussenminister Georgios Papandreou ist es mit seinem überzeugenden Auftreten gelungen, in kurzer Zeit die Sympathien der Griechen zu gewinnen.
H. G. Athen, 26. Februar
Der Jubel über die Ausreise von drei kurdischen Mitarbeiterinnen
des PKK-Chefs Öcalan aus Kenya, die sich zusammen mit dem Kurdenführer
in der Residenz des griechischen Botschafters in Nairobi aufgehalten hatten,
sowie eines Mitglieds des griechischen Geheimdienstes ist schon bald neuer
Besorgnis gewichen. Am Freitag war es nämlich nicht möglich,
mit den drei Frauen Kontakt aufzunehmen, was den führenden privaten
Fernsehsender Mega zur Frage veranlasste, ob diese gefangengehalten würden
oder in Schutzhaft seien. Erste Enttäuschung bei den am Flughafen
von Athen wartenden Journalisten, kurdischen Aktivisten und Sympathisanten
hatte sich schon am späten Donnerstagabend breitgemacht, als man in
Erfahrung brachte, dass das aus Kenya ankommende Flugzeug zum Militärflughafen
von Eleusis umgeleitet wurde.
Ein neuer Sündenbock?
Noch grösser war die Sorge der Angehörigen des die drei Kurdinnen
begleitenden griechischen Geheimdienstoffiziers. Von ihm fehlt seit seiner
Rückkehr aus Kenya jede Spur. Hinzu kommen Vorwürfe des Justizministers
Giannopoulos. Dieser erklärte, es sei bekannt, dass es sich bei dem
Offizier um einen auch für den israelischen Geheimdienst tätigen
Doppelagenten handle. Im Umkreis des Geheimdienstoffiziers wird daher befürchtet,
dass er als Sündenbock für die Verschleppung Öcalans aus
der Residenz des griechischen Botschafters in Nairobi in die Türkei
herhalten muss.
Zusammen mit den drei Mitarbeiterinnen Öcalans hatte das Athener
Büro der politischen PKK-Organisation Nationale Befreiungsfront Kurdistans
am Freitag zu einer Pressekonferenz in das Hotel eingeladen, in dem sich
die drei Frauen angeblich aufhielten. Die Pressevertreter wurden jedoch
von Polizisten daran gehindert, sich dem Hotel zu nähern. Wer
trotzdem in das Hotel gelangte, sah sich dort von Agenten des griechischen
Geheimdienstes umgeben, die ausgerechnet von Antonis Naxakis dirigiert
wurden, jenem Mann also, den die Regierung für die illegale Einreise
Öcalans nach Griechenland Ende Januar sowie dessen dubiose Überführung
nach Kenya verantwortlich macht. Naxakis gab dann auch als erster die Absage
der Pressekonferenz bekannt.
Diese Ereignisse waren nicht dazu angetan, die griechische Solidarität
zu stärken, die sich angesichts der heftigen türkischen Vorwürfe
an die Adresse Athens herausgebildet hatte. Nach den wiederholten Behauptungen
aus Ankara, Öcalan habe bei seinen Verhören Griechenland als
Lieferanten von Waffen für die kurdischen Terroristen bezeichnet,
war es zu einer Abschwächung der von allen Oppositionsparteien erhobenen
Forderung nach dem Rücktritt des gesamten Kabinetts Simitis gekommen.
Papandreou als politischer Sieger
Fast alle politischen Beobachter in Athen sind sich aber trotz allem
darin einig, dass es innerhalb der Opposition keine wirkliche Alternative
gibt. Das gelte auch für die konservativ-liberale Nea Dimokratia.
Die Wiederherstellung der durch die Affäre Öcalan angeschlagenen
politischen Glaubwürdigkeit könne nur durch die regierende Panhellenische
Sozialistische Bewegung (Pasok) selbst erfolgen. Im Unterschied zu Ministerpräsident
Simitis, dessen Haltung in der Öcalan-Affäre die meisten Griechen
als herzlos und bürokratisch empfanden, entwickelt sich der neue Aussenminister
Georgios Papandreou immer mehr zum politischen Sieger der jüngsten
Krise. Er ist der Sohn des 1996 verstorbenen charismatischen Pasok-Gründers,
Andreas Papandreou. Durch sein überzeugendes Auftreten am Mittwoch
abend in einer mehrstündigen, auch in die Türkei ausgestrahlten
Fernsehsendung und seinen persönlicher Einsatz bei der Ausreise der
drei Mitarbeiterinnen Öcalans aus Nairobi gewann er die Sympathien
fast aller Griechen. Beobachter sind sich darin einig, dass er eine grosse
politische Zukunft vor sich hat.