Ankaras Polizei in Erklärungsnot
Öcalans Anwälte melden Mißhandlung durch Uniformierte
Von Gerd Höhler
ANKARA, 2. Mai. Sechs Anwälte des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah
Öcalan haben berichtet, sie seien von türkischen Polizisten mißhandelt
worden. Nach Bekanntgabe des Prozeßtermins gegen Öcalan habe
sie die Polizei am Freitag in einem Kleinbus vom Gerichtsgebäude weggefahren,
sagte Anwalt Zeki Okcuoglu in Ankara, angeblich, um sie vor militanten
Demonstranten zu schützen. Nach kurzer Fahrt habe der Wagen angehalten,
dann hätten die Polizisten die Anwälte mit Knüppelschlägen
und Fußtritten aus dem Fahrzeug getrieben.
Einige der Anwälte zeigten Reportern Spuren der Schläge an
den Armen und am Kopf. Beobachter der Menschenrechtsorganisation amnesty
international bestätigten aus eigener Anschauung, daß die Juristen
von uniformierten Polizisten geschlagen worden seien. Ein Sprecher der
Polizei wies die Vorwürfe zurück. Die Anwälte erwägen
nun, sich von dem Fall zurückzuziehen. Zuvor hatte das Staatssicherheitsgericht
in Ankara beschlossen, der Hochverratsprozeß gegen Öcalan solle
am 31. Mai auf der Gefängnisinsel Imrali beginnen. Ausländern
werde der Zugang zum Gerichtssaal nur gestattet, sofern sie den Prozeß
nicht mit einem offiziellen Auftrag beobachten wollten.
Alles andere würde „einen Schatten auf die unabhängige türkische
Justiz werfen“, hieß es zur Begründung. Der Vertreter von amnesty
international, US-Anwalt Wesley Gryk, äußerte die Befürchtung,
daß Öcalan nicht mit einem fairen Prozeß rechnen könne.
Die Jugendorganisation der rechtsextremen Partei der Nationalistischen
Bewegung (MHP) begann unterdessen damit, in vielen türkischen Städten
für die Hinrichtung des PKK-Chefs Stimmung zu machen. Plakate zeigen
Öcalan in Gestalt des Satans, der ein kleines Kind verschlingt. Die
Poster der MHP, die bei den Parlamentswahlen am 18. April zweitstärkste
Kraft wurde, tragen die Aufschrift: „Die türkische Nation hat entschieden
- Exekution!“ Zur Vollstreckung eines Todesurteils bedürfte es der
Zustimmung des Parlaments.