Früherer Stellvertreter Abdullah Öcalans zum Tode verurteilt
ANKARA, 20. Mai. Zwei führende Mitglieder der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) sind von einem türkischen Militärgericht zum Tode verurteilt worden. Ein Richter sagte im Gerichtssaal, es hätten ausreichende Beweise vorgelegen, um dieses Urteil zu fällen. Das Gericht in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir, über die der Ausnahmezustand verhängt ist, befand den 46jährigen Semdin Sakik und seinen Bruder Arif Sakik für des Hochverrats schuldig. Den Antrag Sakiks auf Minderung der Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe lehnte das Gericht ab.
Zuflucht im Irak
Nach Ansicht der Richter war Sakik verantwortlich für 191 Überfälle
der PKK, bei denen 283 Menschen getötet wurden. Sakik war jahrelang
die Nummer zwei in der PKK, die zunächst für einen unabhängigen
Kurdenstaat im Südosten der Türkei kämpfte und inzwischen
für die Autonomie eintritt. Kurz vor seiner Gefangennahme durch türkische
Truppen vor 13 Monaten im Norden des Irak hatte sich Sakik wegen Fragen
der Taktik mit Öcalan überworfen. Nach Angaben von Vertretern
der Sicherheitskräfte hatte der "Fingerlose Zeki", wie Semdin Sakik
seit dem Verlust eines Daumens bei einem Gefecht auch geannt wird, bei
einer irakischen Kurden-Gruppe Zuflucht gesucht.
Sakik bestritt vor Gericht die Vorwürfe und sagte, er habe sich
innerhalb der Organisation stets gegen den bewaffneten Kampf gewandt, sich
aber nicht gegen Öcalan durchsetzen könen. Sakik überwarf
sich später mit Öcalan und wurde 1998 von der türkischen
Armee in Nordirak gefangengenommen.
Die Brüder übernahmen ihre Verteidigung vor Gericht selbst,
da ihre Verteidiger zuvor Morddrohungen erhalten hatten. Die Angeklagten
können Berufung gegen die Urteile einlegen. Die Vollstreckung der
Todesstrafe bedarf der Zustimmung des Parlaments. Zudem kann der türkische
Staatspräsident Verurteilte begnadigen. Die letzte Hinrichtung wurde
in der Türkei 1984 vollzogen.
Zeuge gegen Öcalan
Sakik hatte den türkischen Behörden zudem wichtige Hinweise
auf die Rolle Syriens beim Unabhängigkeitskampf der PKK gegeben. Er
hoffe, von einem neuen Amnestie-Gesetz profitieren zu können, das
von der künftigen Regierung verabschiedet werden soll. Sakik bot an,
bei dem anstehenden Öcalan-Prozeß auszusagen. Dadurch könnte
die Todesstrafe gegen Sakik bei einer Berufungsverhandlung reduziert werden.
Das Verfahren gegen PKK-Führer Öcalan vor einem Sondergericht
auf der Gefängnisinsel Imrali soll am 31. Mai mit einer Anhörung
beginnen. Die Staatsanwaltschaft hat bereits in ihrer Anklage die Todesstrafe
für Öcalan verlangt. (AP, Reuters)
Abstimmung über den Weg nach Europa
Von Joachim Widmann
Der Prozeß gegen Abdullah Öcalan hat noch nicht begonnen,
da steht schon fest, daß er zum Tode verurteilt wird. Nachdem ein
türkisches Militärgericht gegen zwei frühere Vertraute des
PKK-Chefs die Höchststrafe verhängt hat, bleibt Öcalans
Richtern für eine mildere Entscheidung kein Spielraum mehr. Die Entscheidung,
ob die Urteile vollstreckt werden, liegt allerdings beim Parlament. Es
wird eine Entscheidung über die Zukunft der Türkei in Europa.
Die Europäische Union und der Europarat könnten Hinrichtungen
noch weniger hinnehmen als die alltäglichen Verletzungen von Rechtsstaatlichkeit
und Menschenrechten, derentwegen der Türkei die Anwartschaft auf den
EU-Beitritt aberkannt wurde. Gern mißverstehen türkische Nationalisten
die humanitäre Haltung Europas als eine Kumpanei mit Separatisten,
Massenmördern und Terroristen. Die nationalistische MHP stellt die
zweitstärkste Fraktion und ist für eine Regierungskoalition im
Gespräch. Auch ihre Parlamentarier werden mit der Entscheidung über
die Urteile zugleich für oder gegen den absoluten Anspruch auf nationale
Einheit, für oder gegen eine Versöhnung mit den Kurden, für
oder gegen die Eingliederung der Türkei in Europa stimmen müssen.
Der Tod der PKK-Leute wäre zugleich das Ende der türkischen Europa-Bindung
und jedes Weges, der zu einem Frieden mit den Kurden führen könnte.
Zwei PKK-Funktionäre zum Tod verurteilt
ISTANBUL (afr). Knapp zwei Wochen vor dem Beginn des Prozesses gegen
gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan hat ein Staatssicherheitsgericht in
der südosttürkischen Stadt Diyarbakir zwei führende Mitglieder
der Kurdischen Arbeiterpartei PKK zu Tod verurteilt. Die drei Richter sprachen
Semdin Sakik und seinen Bruder Arif des Hochverrates schuldig.
Beide hatten sich schon früher von der PKK losgesagt und sich
unter den Schutz einer mit der Türkei befreundeten Kurdenpartei im
Nordirak begeben. Dort wurden sie im April 1998 von türkischen Truppen
aufgegriffen und in ihre Heimat gebracht. Der 46jährige Semdin Sakik
war viele Jahre lang die Nummer zwei der PKK und kommandierte ihre Operationen
in der Türkei. Das Gericht machte ihn verantwortlich für den
Tod von 125 Mitgliedern der Sicherheitskräfte und 123 Zivilisten,
die bei 191 Anschlägen starben. In 51 Fällen soll Sakik selbst
dabei gewesen sein. Nach einem Streit mit Öcalan über die einzuschlagende
Taktik trennten sich die beiden. Sakik hat darum gebeten, im Prozeß
gegen Öcalan aussagen zu dürfen.