"Natürlich wird er zum Tode verurteilt"
Von MARLIES FISCHER
Auf Imrali ist es ziemlich still. Selbst die Hühner und Schafe wurden von der türkischen Gefängnisinsel vor Istanbul im Marmara-Meer verbannt, seitdem dort PKK-Chef Abdullah Öcalan einsitzt. Jetzt werden die Sicherheitsvorkehrungen seitens der türkischen Behörden aber noch erheblich verschärft - am kommenden Montag soll nämlich auf Imrali das Verfahren gegen Öcalan beginnen. Dem türkischen "Staatsfeind Nummer eins" droht in diesem Prozeß wegen Hochverrats und Mord an zahlreichen Zivilisten sowie Soldaten die Todesstrafe.So müssen zugelassene Beobachter auf Lebensmittel, Parfüm und Ohrringe ebenso verzichten wie auf Krawattennadeln und Geldmünzen. Außerdem dürfen sie keine Stifte, Halsketten und Armbänder mit nach Imrali bringen. Ferngläser, Handys und Computer sind ebenfalls tabu. Auch die deutschen Sicherheitskräfte sind alarmiert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln rechnet mit bundesweiten Demonstrationen, Sitzstreiks und Menschenketten. In Berlin ist bereits eine Großkundgebung angemeldet, zu der Tausende von PKK-Anhängern erwartet werden. Der Prozeß könnte aber am Montag schon nach wenigen Minuten vertagt werden. Die Verteidiger Öcalans wollen dies beim zuständigen Staatssicherheitsgericht beantragen. Anlaß sind Pläne der neuen Regierungskoalition in Ankara, die Staatssicherheitsgerichte zu reformieren. Den Gerichten gehört bisher jeweils ein Militärrichter an, was unter anderem vom Europarat mehrmals kritisiert worden ist. In Zukunft sollen bei den Staatssicherheitsgerichten nur noch zivile Richter Urteile fällen; für die Reform ist eine Verfassungsänderung nötig. Die Entscheidung darüber, ob der Öcalan-Prozeß aufgrund der Reformpläne unterbrochen wird, liegt aber allein beim Gericht selbst. Ministerpräsident Bülent Ecevit, dessen Regierungsbündnis mit der rechtsextremen Partei MHP und der konservativen Mutterlandspartei (ANAP) in den nächsten Tagen offiziell aus der Taufe gehoben werden soll, zählt die Gerichtsreform zu den dringendsten Aufgaben des neuen Kabinetts. Aber auch sonst gibt es erhebliche Differenzen zwischen der türkischen Justiz und den Öcalan-Verteidigern. Während Richter und Staatsanwaltschaft einen fairen Prozeß garantieren, beklagen die Anwälte massive Behinderungen bei der Vorbereitung. "Es wird ein gerechtes Verfahren geben", sagte Talat Salk, einer der mit dem Fall befaßten Staatsanwälte. Anwalt Ahmet Zeki Okcuoglu erklärte hingegen: "Wir konnten nicht einmal ohne Aufsicht mit Abdullah Öcalan sprechen." Unter diesen Umständen sei eine ordentliche Verteidigung nicht möglich. Richter Turgut Okyay, Vorsitzender des Staatssicherheitsgerichts Nummer 2 in Ankara, betonte hingegen, Öcalan werde alle im Rahmen des Gesetzes vorgesehenen Rechte erhalten. Seine Anwälte bekämen, falls sie dies wünschten, zusätzliche Zeit für die Verteidigung. Auch die Verfassung des Kurdenführers stellen Justiz und Anwälte völlig unterschiedlich dar. "Er steht unter enormen psychischem Druck", sagte Anwalt Okcuoglu, der den PKK-Chef seit seiner Festnahme im Februar fünfmal auf Imrali besucht habe. Nach Angaben des Staatsanwaltes ist der Kurdenführer dagegen in guter Verfassung. Öcalan soll den Prozeß hinter einer Glaswand verfolgen. Der Richter wies Einsprüche der Anwälte gegen die Wand zurück. Diese garantiere Öcalans Sicherheit und sei eine weit verbreitete Methode in Europa. Der Prozeß wird voraussichtlich zwei Monate dauern. Für Verteidiger Okcuoglu steht der Ausgang des Verfahrens bereits fest. "Natürlich wird er zum Tode verurteilt werden." Die jetzige Situation Öcalans sei auch durch die Haltung Europas verschuldet worden. "Wenn Öcalan ein Terrorist ist, dann hätte er international verfolgt werden müssen. Aber das hat Europa nicht getan."
Hamburger Abendblatt, 28.5.99