Prozeß gegen den PKK-Führer beginnt
Von Can Merey
Am Montag wird auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali die Verhandlung gegen den Anführer der kurdischen Arbeiterpartei PKK eröffnet. Öcalan ist unter anderem wegen Hochverrats angeklagt, der Staatsanwalt fordert für ihn die Todesstrafe. Der Andrang von Journalisten ist groß, aber auch Politiker und Diplomaten wollen dem Schauspiel beiwohnen.
Istanbul - Nach Verkündung eines Todesurteils zerbrechen türkische Richter in der Regel ihren Stift - wohl um zu symbolisieren, daß sie ein solches Urteil nicht noch einmal schreiben wollen. Der Stift des Richters von PKK-Chef Abdullah Öcalan, dessen Prozeß am 31. Mai auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer nahe Istanbul beginnen soll, ist bereits vor Prozeßbeginn so gut wie entzwei.
Schon nach seiner Gefangennahme durch die Türken Mitte Februar konnte es bei der Massivität der ihm vorgeworfenen Verbrechen eigentlich keinen Zweifel daran geben, daß Öcalan zum Tode verurteilt werden würde - angesichts der Gesetzeslage bleibt den Richtern kaum eine andere Möglichkeit. Die Liste der Anklagepunkte gegen "Apo", Onkel, wie der Gründer und Führer der kurdischen Arbeiterpartei PKK auch genannt wird, ist lang. Die meisten Vorwürfe würden bei einem Schuldspruch schon für sich genommen ausreichen, die Todesstrafe zu verhängen. Öcalan werden unter anderem Separatismus, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, tausende Angriffe der PKK auf zivile und militärische Ziele und damit verbunden tausende Tote zur Last gelegt. Da der langersehnte "Judgement Day", der Tag der Abrechnung mit dem Staatsfeind Nummer 1, nun endlich gekommen ist, nimmt es die türkische Justiz ganz genau: Öcalan wird sich auch dafür verantworten müssen, seinen Militärdienst ausgerechnet(!) in der türkischen Armee nicht angetreten zu haben.
Wenn es auch kaum Zweifel an dem Todesurteil gab, so schien bis zu den Wahlen im April eine tatsächliche Hinrichtung Öcalans eher unwahrscheinlich. Zwar hat die Türkei offiziell die Todesstrafe nie abgeschafft, trotzdem ist seit 1984 kein Todesurteil mehr vollstreckt worden. Einer Hinrichtung muß neben dem Präsidenten auch das Parlament in Ankara zustimmen, das seine Zustimmung bislang stets versagte und noch vor wenigen Monaten über die Abschaffung dieser Strafform nachdachte. Ausgerechnet Öcalan, der sich damals in Italien aufhielt, war der Auslöser für die Diskussion gewesen - Rom wollte den PKK-Chef bei drohender Todesstrafe nicht an Ankara ausliefern. Einer der engagiertesten Kämpfer für die Abschaffung war damals Ministerpräsident Bülent Ecevit von der sozialdemokratischen DSP.
Doch sein Engagement blieb erfolglos, und inzwischen hat sich vieles geändert. Zwar ging Ecevits DSP, Parteisymbol ist eine weiße Taube, aus den Wahlen am 18. April als stärkste Partei hervor, auf den zweiten Platz schafften es jedoch überraschend die rechtsextremistische MHP. Die Ultranationalisten, für die aufgrund ihrer Verbindung zu den berüchtigten Terrortrupps der "Grauen Wölfe" eben eines jener Rudeltiere als inoffizielles Symbol steht, waren bei der letzten Wahl noch an der Zehn-Prozent-Hürde gescheitert.
Gemeinsam mit einer kleineren dritten Partei werden die Tauben und Wölfe die kommende Regierung bilden. Aus ihrer Meinung zum Öcalan-Prozeß hat die MHP vor den Wahlen keinen Hehl gemacht: Auf einem Wahlplakat verschlingt Öcalan, dargestellt als Teufel, ein Kind. Dazu der Text: "Die Türkei hat sich entschieden: Hinrichtung!" Auch wenn Nationalistenführer Devlet Bahceli nach dem plötzlichen Erfolg seiner Partei moderatere Töne anschlägt, so handelt es sich doch um dieselbe Botschaft: Er verlangt die Vollstreckung des Richterspruchs, "wie er auch ausfallen wird".
Cheftaube Ecevit, der auch in der kommenden Regierung den Ministerpräsidentensessel einnehmen wird, dürfte unwohl sein angesichts dessen, was da droht: Viele Türken befürworten eine Hinrichtung, allen voran die Angehörigen der gefallenen Soldaten. Die Presse tut ein übriges, um die Stimmung anzuheizen: Nach der Gefangennahme des PKK-Chefs zeigte das Massenblatt Hürriyet ein blutverschmiertes Baby und schrieb dazu: "Schlafe ruhig, mein Baby, dein Mörder ist gefaßt". Nicht nur in dem Boulevardblatt, auch in anderen Zeitungen, in Funk und Fernsehen ist "bebek katili", Babymörder, ein Synonym für Öcalan. Weite Teile der Medien, Öffentlichkeit und Politik haben vor Verkündung eines gerichtlichen Urteils ihr eigenes schon längst gefällt.
In dieser Atmosphäre haben besonders die Anwälte Öcalans einen schwierigen Job. Angegriffen werden sie nicht nur von Angehörigen gefallener Soldaten: Anfang Mai wurden Anwälte von Öcalan nach Darstellung von Amnesty International von der Polizei verschleppt, mit Knüppeln verprügelt und getreten. Die Anwälte werfen dem Staat vor, sie bei ihrer Arbeit massiv zu behindern - ihren Mandanten dürfen sie nur selten sehen, alleine sprechen können sie ihn gar nicht. Außerdem kritisieren sie, daß der Fall Öcalan vor einem Staatssicherheitsgericht, dem auch ein Militärrichter angehört, verhandelt wird. "Keine der Voraussetzungen für ein faires Verfahren ist gegeben", so einer der Anwälte in einem Interview mit der Tageszeitung "Turkish Daily News".
Ein "faires Verfahren" ist es auch, was vor allem die EU nicht müde wird zu fordern. Doch gerade mit dieser Forderung, die als Einmischung in innertürkische Angelegenheiten verstanden wird, bringt sie nicht nur die Ultranationalisten, sondern auch gemäßigte Kreise gegen sich auf: Die EU habe lange genug Zeit gehabt, über Öcalan zu richten, als dieser in Italien war. Besonders wenig Verständnis wird gegenüber Appellen aus Deutschland, Italien und Griechenland gezeigt - Bonn wollte Öcalan trotz Haftbefehl nicht vor Gericht stellen, Rom ebensowenig, und Athen unterstützte "Apo" tatkräftig. Die Ankündigung der EU, Prozeßbeobachter schicken zu wollen, stieß in der Türkei auf heftige Ablehnung: Ankara verlange schließlich auch keine türkischen Beobachter bei Prozessen gegen korsische Separatisten, irische IRA oder baskische ETA. Die Forderung an Ankara schließlich, Öcalan nicht zum Tode zu verurteilen, veranlaßte türkische Politiker, auf die Unabhängigkeit türkischer Gerichte zu v! erweisen und weckte in der Bevölkerung den Verdacht, die EU messe mit zweierlei Maß: Hinrichtungen in den USA dulde die EU schließlich auch. Vom Engagement Europas hat Öcalan also wenig zu erwarten - höchstens veranlaßt es angesichts der vorherrschenden nationalistischen Stimmung Richter und Politiker, durch Verhängung und Vollstreckung eines nicht genehmen Urteils der EU demonstrativ die türkische Unabhängigkeit und Stärke zu beweisen.
Nicht zuletzt haben in der Türkei auch immer die im Hintergrund agierenden mächtigen Militärs, selbsternannte Beschützer der unteilbaren Republik, mitzureden - ihr Haß auf "Apo" dürfte nach 15 Jahren Krieg mit der PKK besonders groß sein. Angesichts dieser Front aus Politik, Medien, Militärs und großen Teilen der Bevölkerung gelten diejenigen, die es noch wagen, sich für den PKK-Chef einzusetzen, schnell als Terroristenfreunde - ein unter Umständen tödlicher Ruf.
Die Sterne stehen also schlecht für Öcalan. Einen bitteren
Vorgeschmack auf seinen Prozeß bekam er bereits vor wenigen Tagen,
als der langjährige zweite Mann in der PKK, Semdin Sakik, und dessen
Bruder von einem türkischen Staatssicherheitsgericht zu Tode verurteilt
wurden. Der Richter zerbrach entgegen den Gewohnheiten den Stift nach der
Urteilsverkündung nicht. Vielleicht wird er noch gebraucht, um Öcalans
Urteil zu schreiben.