Mutige Stimmen in der Türkei
Kommentar von Dietrich Alexander
Daß die Staatsanwaltschaft die Todesstrafe für Abdullah
Öcalan beantragt hat, überrascht nicht. Es war zu erwarten. Eine
andere Frage ist viel interessanter: Zeigt der türkische Staat die
Größe, das unumgängliche Todesurteil für seinen ärgsten
Feind umzuwandeln? Und dies wiederum impliziert die Frage, ob die Türkei
lernfähig ist.
Die Zeit scheint reif. Ungeachtet der vielen tausend Stimmen, die den Tod des PKK-Chefs durch den Strang fordern, mehren sich doch auch solche, die über den niedrigen Beweggrund der blinden Rache den des möglichen Neuanfangs und der Aussöhnung zwischen Türken und Kurden setzen. Einzelne, mutige türkische Zeitungskommentatoren weisen in diese Richtung. Ihre noch zaghaften Appelle, von der Vollstreckung eines Todesurteils abzusehen, um einem höheren gesellschaftlichen Gut der inneren Sicherheit Geltung zu verschaffen, zeugen von Weitsicht.
Es wird der sattelfesten Regierung Bülent Ecevits nicht das Genick
brechen, einen Terroristen per Votum im Parlament zu begnadigen. Wohl aber
birgt Milde im Fall Öcalan die Chance, einen De-facto-Bürgerkrieg
zu beenden. Ankara kann damit nur gewinnen.