Nürnberger Nachrichten, 21.6.

Gereizte Stimmung bei der Demo
Aus den erwarteten 300 Teilnehmern waren gleich 4000 aus Süddeutschland geworden Polizei machte vor dem Aufseßplatz strenge Vorkontrollen - Stundenlange gellende Sprechchöre

VON SIEGFRIED RUCKDESCHEL

Die Kurden-Demonstration am Samstag verlief über lange Strecken in aufgeheizter Atmosphäre. Auch wenn am Sammlungsort Aufseßplatz junge Kurden tanzten, mußte Polizeioberrat Roman Fertinger, der ein starkes Polizeiaufgebot führte, bis zuletzt um den reibungslosen Ablauf bangen.

Die auf beiden Seiten aufgeladene Stimmung hatte viele Gründe. Einer lag darin, daß die Zahl der Demonstranten so überraschend anschwoll. Ihre Versammlung war bereits vor drei Wochen beim Ordnungsamt mit etwa 200 bis 300 Teilnehmern angemeldet worden. Niemand ahnte damals, daß das Verwaltungsgericht Karlsruhe eine für den gleichen Tag geplante Kundgebung verbieten würde und die Kurden aus Baden-Württemberg und Bayern nach Nürnberg ausweichen sollten. Weitere Kundgebungen fanden in Hamburg, Köln und Berlin statt.

Bald standen am Aufseßplatz fast 2000 Menschen und warteten ungeduldig, weil noch 40 Busse auf den Autobahnen in Richtung Nürnberg festsaßen; die Polizei kontrollierte streng. 120 Teilnehmer sollen zur Feststellung ihrer Personalien vorläufig festgenommen worden sein.

Die Beamten wollten verhindern, daß sich Leute mit gefährlichen Gegenständen einreihten. An den Zugängen zum Aufseßplatz wurde jede(r), der wie ein Kurde aussah, nach dem Ausweis gefragt. Männer mußten sich abtasten lassen, Frauen ihre Einkauftüten öffnen. Ein Sprecher der Kurden sprach von "Schikanen". Mit großer Verspätung setzte sich der Zug in Bewegung. Er wuchs auf schätzungsweise 4000 Teilnehmer an.

Der hohe Anteil von Frauen und Kindern ließ hoffen, daß alles friedlich verlaufen würde. Andererseits schrillte immer wieder durch die Lautsprecher der Hinweis, daß der türkische Staatsanwalt für den PKK-Chef Öcalan die Todesstrafe gefordert habe. Das gab fünf Stunden lang den Sprechchören durch Nürnbergs Straßen neue Nahrung. Gefordert wurden: "Frieden für Kurdistan, Demokratie für Türkei, Freiheit für Öcalan und keine deutschen Waffen in die Türkei!"

Während das Karlsruher Verwaltungsgericht Öcalan-Bilder verboten haben soll, meinte das Verwaltungsgericht Ansbach, daß der Kurdenführer sich vor dem türkischen Gericht von Gewalt distanziert habe; sein Bildnis also nicht als Unterstützung der verbotenen PKK gelte. So trugen Frauen in kurdischer Tracht ein zwei mal drei Meter großes Öcalan-Bild durch die Straßen. Keinen Spaß verstand die Polizei jedoch, wenn junge Männer die PKK-Fahne mit dem Stern entrollten. In der Schweiggerstraße, Kreuzung Hummelsteiner Weg, kam es zur Kraftprobe. Junge Kurden bildeten um die Fahne einen doppelten Ring, gleichzeitig wurden Polizeibeamte zusammengezogen. Der Einsatzleiter drohte, der Zug werde keinen Meter weiterkommen, wenn die Fahne bleibe. Besonnene Kurden setzten ihr Entfernen durch.

Der Protestzug nahm seinen Weg über Schweigger- und Harsdörffer Straße bis zum Türkischen Konsulat, das durch eine Polizeikette und die Hundestaffel abgeschirmt war. Dann schwenkte die Masse Richtung Innenstadt zum Jakobsplatz ab, wo kurdische Imbißbuden den Charakter der Versammlung merklich friedlicher stimmten.